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Auf
dem Altar der sozialen Sicherheit
Gegeninformationsbüro
1. November 2002
Was sich kaum ein Hinterbänkler des Bundestags wagen würde öffentlich
zu äußern, ist des Öfteren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
zu lesen. Kurz vor den Bundestagswahlen bekräftigen alle Parteien ihren Friedenswillen
und sprechen sich mehr oder weniger geschlossen gegen eine deutsche Beteiligung
am US-Krieg gegen Irak aus. Sind die deutschen Krieger zu Friedenstauben mutiert?
Gilt es im Irak nicht – wie 1999 in Jugoslawien – ein neues Auschwitz
zu vermeiden, wie Außenminister Fischer vor dreieinhalb Jahren die Kriegsstimmung
anheizte?
Nein, Friedensliebe ist es keinesfalls, die deutsche Politiker von dem Irak-Krieg
zurückschrecken läßt. Wehrpolitiker aus SPD und CDU sowie die
Lobbyisten der Rüstungsindustrie sind sich sowohl darüber einig, dass
Rüstungsexporte vereinfacht werden sollten, als auch dass die Bundeswehr
mit erheblich erhöhten Mitteln ausgestattet werden müßte. Wofür
und aus welchen Mitteln der Bundeswehretat gestärkt werden soll, verraten
die Parteifunktionäre nicht, dafür aber Jürgen Jeske in seinem
Beitrag „Sicherheit gegen Sicherheit“ in der FAZ vom 12. Juni.
Beklagenswerte Bundeswehr?
„Inzwischen wird die Sicherheit durch einen internationalen Terrorismus
bedroht, weil die Globalisierung nicht nur eine Globalisierung der wirtschaftlichen
Risiken mit sich gebracht hat, sondern auch der politischen Risiken“, stellt
der altgediente Mitherausgeber des Blattes fest. Statt über Ursachen ökonomischer
und politischer Instabilitäten nachzudenken, beklagt Jeske, dass „die
Ausgaben für nationale Sicherheit auf dem Altar der sozialen Sicherheit geopfert“
werden. Selbst „pazifistische Gemüter“ würden über
den beklagenswerten Zustand der Bundeswehr den Kopf schütteln. Wäre
eine abgespeckte Bundeswehr für ambulante Pflegedienste oder Essen auf Rädern
überhaupt nicht beklagenswert, sondern eine gesellschaftlich sinnvolle und
Kosten sparende Variante, so möchte man doch eher über das – längst
überwunden geglaubte – militaristische Denken des Autors den Kopf schütteln.
Dem drittklassigen Schauspieler und eiskalten Krieger Ronald Reagan zollt Jeske
im nachhinein Hochachtung für dessen Aufrüstungs- und Kriegspolitik
zu Beginn der 80er Jahre, die zum Zusammenbruch des Kommunismus geführt hätte.
Der Gefahr des Terrorismus, so folgert Jeske, sei daher nur mit „ausreichenden
Ausgaben für innere und äußere Sicherheit zu begegnen.“
Doch es geht den deutschen Eliten um weit mehr: „Ohne vermehrte Ausgaben
für Sicherheit wird Europa keine gewichtige Rolle in der Weltpolitik spielen
und sich nicht aus der wachsenden Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten
lösen können.“ Hier spricht Jeske aus, was hinter der Aufkündigung
der „uneingeschränkten Solidarität“ Deutschlands mit den
USA im Hinblick auf den anstehenden Irak-Krieg steckt. Die von Deutschland geführte
Europäische Union soll stärker ihre eigenen Interessen verfolgen, die
wie im Falle Iraks, des Iran oder auch Kubas den Interessen der USA widersprechen.
Eine größere Unabhängigkeit von den USA, bedeutet gleichzeitig
die offene Konkurrenz zur letzten Supermacht und setzt eine eigenständige
militärische Option voraus, die sich im Rahmen der Europäischen Sicherheits-
und Verteidigungspolitik (ESVP) im Aufbau befindet.
Arbeitslose an die Front
Die Bundeswehr hat in ihrer neuen Doktrin den „erweiterten Sicherheitsbegriff“
eingeführt. „Unsere“ Truppe soll Flüchtlingsströme
abfangen, weltweit Terroristen aufspüren und die Rohstoffwege sichern. Hinter
der neuen Doktrin verbirgt sich die Option, Auslandseinsätze für die
sogenannten „vitalen“ (Rohstoff-) Interessen Deutschlands zu ermöglichen
und wenn möglich, ohne jedes mal vorher den Bundestag fragen zu müssen.
Von den Parlamentariern aller Fraktionen ist z. Zt. zwar kaum Widerstand gegen
militärische Interventionen zu erwarten, aber zum einen könnte sich
das irgendwann wieder ändern und zum anderen bedeutet eine Parlamentsdebatte
Öffentlichkeit und damit in jedem Falle Reibungsverluste. Diese sollen im
Sinne der Politik aber natürlich auch der wirtschaftlichen Interessen möglichst
gering gehalten werden. Zwar ist der Fall der E.ON-Ruhrgas-Fusion etwas anders
gelagert, er gehört aber in die strategische Konzeption einer größeren
Unabhängigkeit von den USA und deren Vormachtstellung in den Ölförderländern
am persischen Golf. Schließlich soll Ruhrgas seinen Anteil am russischen
Gas-Monopolisten Gazprom von 5 auf 10 Prozent erhöhen und mit anderen Gesellschaften
eine weitere Gastrasse durch die Ukraine bauen. Derlei kostenintensive Investitionen
in Infrastrukturprojekte bis nach Zentralasien oder die nordafrikanischen Staaten
werden künftig nicht nur durch Hermesbürgschaften sondern auch durch
Bundeswehrtruppen abgesichert.
Politische und ökonomische Entwicklungen erinneren derzeit an das „great
game“ der Großmächte zu Beginn des 20. Jahrhunderts, inklusive
des Säbel rasseln der Militärs und Politiker. So weit geht Jürgen
Jeske bei seiner Betrachtung nicht. Dies ist verständlich, denn sein Ziel
ist die Formierung der innenpolitischen Verhältnisse, die Deutschlands Weg
zu neuer Größe ermöglichen soll: „Es geht um die Wiederherstellung
einer vernünftigen Relation zwischen Verteidigungs- und Sozialausgaben“
schreibt er und denkt vielleicht schon einen Schritt weiter: Arbeitslose an die
Front und Sozialhilfeempfänger zum Pipelinebau nach Kasachstan! |
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