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Wie
stark sind die USA?
Eine Analyse von Manfred Sohn
jungen welt vom 8. August 2002
Der Aggressor. Befindet er sich im Wachstum, oder greift er an, obwohl er den
Höhepunkt seiner Stärke bereits hinter sich hat? Kann er es mit allen
anderen aufnehmen oder verliert er, wenn er seine Kampfgefährten verliert?
Das Folgende ist keine Anklage gegen die USA. Innerhalb der Leserschaft der jungen
welt ist es zum Glück nicht notwendig, Argumente dafür zu sammeln, daß
die USA in unserer Zeit der Aggressor sind, der unter dem Deckmantel eines Kampfes
gegen den Terrorismus dabei ist, sich mit Waffengewalt alle Rohstoffquellen und
Absatzmärkte zu sichern, die ihm wichtig sind.
Nach den Planungen, an denen heute im Pentagon wieder gefeilt wird, sollen in
einigen Monaten amerikanische Raketen und Bomben in irakische Geschützstellungen
und Bunker krachen, und es wird schon jetzt Schätzungen über die Zahl
der dabei mit getöteten Frauen, Kinder und alten Männer geben, die dann
als „Kollateralschaden“ registriert werden. All das ist nicht Gegenstand
der folgenden Ausführungen. In ihnen geht es um eher nüchterne Fragen:
Wie stark ist dieser Angreifer? Befindet er sich im Wachstum, oder greift er an,
obwohl er den Höhepunkt seiner Stärke bereits hinter sich hat?
Wir müssen den Leser bei so emotionslosen Fragen mit ein paar Zahlen langweilen.
Der Economist, ein in London verlegtes und überwiegend in den USA gelesenes,
ebenso stockkonservatives wie unter Besserverdienenden einflußreiches Wochenmagazin,
hat Ende Juni eine Extrabeilage herausgegeben, die sich mit „Amerikas Rolle
in der Welt“ [1] beschäftigt. Dort sind
in einer Grafik die Kernzahlen für Macht aufgeführt. Danach haben die
USA folgende Anteile an der Welt:
- von den sechs Milliarden Menschen leben in den USA 4,7 Prozent
- vom globalen Bruttosozialprodukt von 31,4 Billionen Dollar erwirtschaften
die USA 31,2 Prozent
- von den weltweiten Militärausgaben von 811,5 Milliarden Dollar geben
die USA 36,3 Prozent aus
- von den weltweiten Forschungsausgaben von 652,7 Milliarden Dollar geben die
USA 40,6 Prozent aus
- von den 18,2 Milliarden Dollar, die weltweit an Kinokassen ausgegeben werden,
werden 83,1 Prozent für Filme „Made in USA“ auf den Tisch gelegt.
Die Zahlen zeigen: Diese knapp fünf Prozent der Weltbevölkerung sind
die relativ stärksten in ökonomischen, militärischen und Forschungsfragen
und dominieren – so soll die Kinokassenbilanz sagen – kulturell noch
stärker als militärisch und ökonomisch. Ist es bei einer solchen
Kräftedominanz nicht illusorisch, sich dieser Macht entgegenstemmen zu wollen?
Ist das nicht die stärkste Macht, die es je in der Geschichte gab?
Gemach, gemach. Zunächst zur Frage, ob es so etwas schon mal gab. Vergleichbare
Zahlen liegen aus dem Altertum nicht vor, weil es dem späten Feudalismus
bzw. dem frühen Kapitalismus vorbehalten war, die Welt zu einer ökonomischen
Einheit zu machen. Rom hat bei allen der oben genannten Werte bezogen auf den
gesamten Mittelmeerraum vermutlich noch höhere Stärkeziffern erreicht
als die USA heute, aber von Rom war in Japan oder Amerika nichts zu spüren.
Ein vergleichbares Weltreich hat vorher nur Großbritannien zuwege gebracht.
Das aber war mächtiger. 1870 verfügte die britische Krone bei rund drei
Prozent der Weltbevölkerung über 31,8 Prozent der damaligen Weltindustrieproduktion
[2]. Hinsichtlich des Anteils an der beherrschten Fläche
– allein Indien war zehnmal größer als Britannien – schlugen
die alten Briten die heutigen Amis noch deutlicher.
Aktuell interessanter ist bei diesem historischen Vergleich aber etwas anderes.
Sowohl nach dem Empfinden der damaligen Zeitgenossen als auch nach Ansicht historisch
gebildeter Menschen lag der Höhe- und Glanzpunkt britischer Machtentfaltung
nicht um 1850 oder 1870, sondern zum Ende des viktorianischen Zeitalters, also
um 1900 herum. Dieses subjektive Gefühl, die unbestrittene Weltmacht Nummer
eins zu sein, hatte aber im Jahre 1900 schon keine wachsende Basis mehr: Mit 2,3
Prozent der Weltbevölkerung verfügte damals Großbritannien nur
noch über 12,4 Prozent des Weltbruttosozialprodukts und 18,4 Prozent der
Weltindustrieproduktion.
Höhepunkt schon
überschritten
So ähnlich verhält es sich auch mit der Entwicklung der USA in den letzten
Jahrzehnten. Der Anteil an der Weltindustrieproduktion in den USA, die nach wie
vor die Basis für die Erwirtschaftung sowohl des Bruttosozialprodukts als
auch der militärischen Stärke darstellt, liegt heute bei einem Drittel
– aber er lag 1920 bei 47 Prozent, also fast der Hälfte.
Die Entwicklungen des britischen Empires wie die des amerikanischen legen den
Schluß nahe, daß der Höhepunkt der politisch/militärischen
Machtentfaltung nicht mit dem Höhepunkt der ökonomischen Dominanz zusammenfällt,
sondern ihm folgt. Obwohl die Welt 1914 und teilweise auch 1940 glaubte, London
und Berlin würden um die Vorherrschaft der Welt kämpfen, war das ökonomische
Kraftzentrum längst über den Atlantik gewandert, und der Zweite Weltkrieg
und die ihm nachfolgende Weltordnung haben diesen Vorgang nur noch notariell bescheinigt.
Weil trotz High-tech die Basis jeder Macht die Menschen sind, schauen wir uns
zum Schluß noch eine letzte Zahlenreihe an:
Hinsichtlich der Anteile an der Weltbevölkerung [3]
hatten die USA:
- 1900: 4,6 Prozent
- 1950: 6,5 Prozent
- 2000: 4,6 Prozent
Der Kern aller längerfristigen Entwicklungslinien ist also: Hinsichtlich
der Grundlagen von Macht – Menschen und Wirtschaftskraft – sind die
USA heute zwar stark, aber sie sind im Weltmaßstab schwächer als zur
Mitte des letzten Jahrhunderts. Der Zusammenbruch der großen sozialistischen
Alternative scheint sie zur Hypermacht gemacht zu haben. Diese weitverbreitete
Sicht aber verstellt den Blick darauf, daß die USA, betrachtet man die Kernzahlen,
eine Weltmacht im Abstieg sind.
Nun läßt sich gegen solche Betrachtungen zu Recht mit Keynes einwenden:
Das mag langfristig alles richtig sein, aber langfristig sind wir alle tot. Wir
müssen uns daher anschauen, wie sich die ökonomische Schwäche auf
die militärische und politische Ebene vorarbeitet. Auch hier kommen wir ohne
ein paar Zahlen nicht aus.
Das Vietnam-Gespenst
Die USA unterhalten heute eine Armee von 1,4 Millionen hochgerüsteter Männer
und Frauen, von denen eine viertel Million in insgesamt 725 Militäreinrichtungen
weltweit dienen, von denen 17 voll ausgerüstete Basen sind [4].
Soviel militärische Männlichkeit kostet eine Menge Geld. Die Verteidigungsausgaben
der USA beliefen sich im Jahr 2000 auf knapp 300 Milliarden Dollar. Das klingt
viel, ist es aber im geschichtlichen Vergleich nicht.
Gemessen am gesamten Bruttosozialprodukt gaben die USA in diesem Jahr drei Prozent
ihrer Wirtschaftskraft fürs Militär aus – und diese Zahl markiert
das untere Ende einer Entwicklung, die ihren vorherigen Höhepunkt in Reagans
Totrüstungsprogrammen hatte: Mitte der 80er Jahre wendeten die USA, gemessen
an ihrer Wirtschaftskraft, rund das Doppelte, nämlich sechs Prozent fürs
Militär auf. Das zeigt zweierlei:
Erstens, die US-Regierung weiß: Irak wird teuer, aber wir haben noch Luft.
Wenn wir über Steuererhöhungen und Kürzungen von Sozial- und Bildungsprogrammen
mit dem Gespenst der Sowjetbedrohung in den 80er Jahren in der Lage waren, von
jedem erwirtschafteten Dollar sechs Cent für Basen und Raketen auszugeben,
wird es uns nach dem 11. September 2001 auch gelingen, mit dem Gespenst des Terrorismus
den Leuten deutlich mehr als die gegenwärtigen drei Cent pro Dollar fürs
Militärische aus der Tasche zu ziehen.
Zweitens: Die gegenwärtige Überlegenheit der USA beruht nicht auf einem
Hochrüstungsprogramm der letzten Jahrzehnte, sondern vor allem darauf, daß
die USA vom Hochrüstungsplateau der 80er Jahre deutlich langsamer heruntergewandert
sind als alle anderen großen Nationen. Der Hauptfaktor, der die USA heute
so scheinbar übermächtig macht, ist der Zusammenbruch des sozialistischen
Lagers. Verglichen mit den 300 Milliarden Dollar, die das Pentagon verplanen kann,
sind die in Rußland zur Verfügung stehenden 60 Milliarden Dollar nicht
mehr sehr beeindruckend – selbst wenn eine größere Effektivität
und die Stabilität etablierter Raketenarsenale in Rechnung gestellt wird.
Vor allem aber haben die USA kontinuierlich mehr für ihre Armee ausgegeben
als der künftige Hauptkonkurrent Europa. Frankreich und Großbritannien
kommen mit jeweils knapp 2,5 Prozent Militärausgaben zwar in die Nähe
der USA, aber Nato-Europa liegt insgesamt nur bei gut zwei Prozent. Deutschland
vor allem zieht mit seinen rund 1,5 Prozent offizieller Militärausgaben den
europäischen Schnitt (noch) nach unten.
Allerdings: Das Netzwerk der Budgets der USA zeigt bereits jetzt erste Wirkungen
der anstehenden Kursänderungen. Die Clinton-Ära endete mit einem Haushaltsüberschuß.
Bush war angetreten, dies nicht für eine Verbesserung der sozialen Leistungen
oder der Bildung, sondern für Steuererleichterungen zu verwenden. Das ist
inzwischen – vor allem zugunsten der mittleren und oberen Einkommensschichten
– geschehen. Gleichzeitig sind aber (unplanmäßig) die Steuereinnahmen
infolge der Börsenkrise seit Herbst 2000 beständig rückläufig.
Das trifft aufgrund der Steuerstruktur der USA vor allem die einzelnen Bundesstaaten,
deren Defizit sich in diesem Jahr auf 27 Milliarden Dollar belaufen wird. Zu diesen
beiden Belastungen kommt nun die mit dem 11. September begründete Militärbudget-Erhöhung
von 46 Milliarden Dollar [5].
Der marxistische US-Ökonom Art Perlo wies jüngst darauf hin, daß
die gegenwärtigen Schwierigkeiten der Bundesstaaten sich lösen würden,
wenn nicht die Regierung in Washington zeitgleich mit der Erhöhung des Militäretats
die schon bescheidenen Hilfen für die Einzelstaaten um 2,6 Milliarden Dollar
heruntergefahren hätte [6]. Da das nicht geschieht,
gibt es gegenwärtig massive Kürzungen in den Feldern, für die die
Bundesstaaten aufkommen müssen: soziale Grundversorgung, Gesundheit, Bildung,
Verkehrsinfrastruktur. Der Verfall dieser Bereiche ist also bereits jetzt die
Kehrseite der Medaillen, die die Afghanistan-Soldaten demnächst angeheftet
bekommen.
Wenn der Krieg gegen den Irak nicht so schnell und relativ billig zu erledigen
ist wie der in Afghanistan, dann wird eine alte Erfahrung, die im Moment noch
eher drohend im kollektiven Bewußtsein der US-Bürger schlummert, sich
schnell reaktivieren. Art Perlo formuliert das so: „Lyndon Johnson versprach,
daß der Vietnamkrieg den Aufbau der ‚Großen Gesellschaft‘
[7] nicht stören würde. Aber die eskalierenden
Kosten dieses Krieges stoppten den Fortschritt, den das amerikanische Volk in
den frühen 60ern gemacht hatte. Das Versprechen, Medicare (ein medizinisches
Minimal-Versorgungs-Programm – M.S.) zu einem nationalen Gesundheitsprogramm
auszubauen, wurde niemals Wirklichkeit. Der Fortschritt hin zur Rassengleichheit
kam zum Halt, die Realeinkommen begannen zu stagnieren, und das garantierte Minimaleinkommen
begann eine lange Reise nach unten, von der es sich niemals wieder erholt hat.
Der Vietnamkrieg trug zur galoppierenden Inflation in den 70ern bei, die tief
in den Lebensstandard der US-Arbeiter schnitt.“
Dies aber führte dazu, daß große Teile der amerikanischen Arbeiterbewegung,
die vorher gegen links in Stellung gebracht werden konnten, mit der Antikriegsbewegung
sympathisierten und dazu beitrugen, daß die innenpolitischen Probleme der
Vietnam-Aggressoren immer größer wurden. Für diesen Prozeß
gibt es eine Zahl. Sie heißt „neun Prozent“. Das ist der Anteil
der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt zum Höhepunkt des Vietnamkrieges.
In einer ausführlichen Untersuchung über die gegenwärtigen Trends
der Verteidigungsindustrie, die der Economist ebenfalls kürzlich herausgab
[8], werden die Kosten, die die Wunschprogramme des
Pentagon für den Irak erfordern, immer wieder mit „Vietnam“ und
„neun Prozent“ in Beziehung gesetzt.
Es gibt bei uns in der Linken gegenwärtig eine Argumentationsrichtung, die
davon ausgeht, daß das Losschlagen gegen Bagdad schon ausgemachte Sache
sei und es nur noch um den Zeitpunkt ginge. Man sollte bei solchen Diskussionen
immer im Auge behalten, daß ein Massenbewußtsein von der Unvermeidlichkeit
eines Krieges die Mobilisierung gegen diesen Krieg nicht stärkt, sondern
schwächt. Aber abgesehen von diesen eher politisch-taktischen Erwägungen
zeigt ein Blick in die rechte Elitenpresse eher, daß unser Gegner tatsächlich
noch kontrovers Chancen und Kosten des großen Irak-Krieges miteinander verrechnet.
Die Diskussionen dort laufen ungefähr so: „Zwischen drei und sechs
Prozent Militärausgabenanteil bekommen wir die damit zusammenhängenden
innenpolitischen Probleme in den Griff. Wenn es darüber hinaus gegen neun
Prozent geht, ist das ohne massenhaft spürbare Beeinträchtigungen des
Alltags nicht mehr zu bezahlen, und das würde uns ernsthafte innere Unruhen
bringen, wenn uns keine besseren Begründungen als Osama bin Laden und Menschenrechtsverletzungen
einfallen.“
Dazu kommt, daß der Krieg in eine der heftigsten Abschwungsphasen der US-Wirtschaft
hinein starten würde. Als Bush am 20. Januar 2001 sein Amt antrat, stand
der Dow Jones auf 10 600 Punkte. Jetzt steht er bei 8 000. Einen Fall
von 24 Prozent nach unten hat es zuletzt in den ersten 18 Monaten von Präsident
Hoover gegeben – am Beginn der Weltwirtschaftskrise 1929.
Die Labilität der
Stärke
Hinter dem Zögern beim Losschlagen verbergen sich unter der Oberfläche
des diplomatischen Gerangels also auch ökonomische Erwägungen. Die USA
sind nicht so stark, wie sie gerne wären und vor allem: Sie waren schon mal
stärker. Zumindest Teile ihrer Führungszirkel wissen das.
Die Anzeichen der Labilität dieser Dominanz aber sind bei genauerem Hinsehen
auch oberhalb der Zahlenebene schon offensichtlich:
- Die weltweite Verfügbarkeit von Schlüsseltechnologien nimmt dank
der Fortschritte der Datentechnik und der Vernetzungen zu. Die Dominanz Großbritanniens
ruhte im Jahre 1850 auf weitreichenden technologischen Quasi-Monopolen in der
Dampfmaschinentechnologie und ihrer Verbindung mit elektrischen und hydraulischen
Anlagen, so wie 100 Jahre später die Überlegenheit der USA sich auf
ihr Vierjahresmonopol bei der Atomtechnologie stützte. Trotz aller US-amerikanischen
Überlegenheit gibt es eine vergleichbare Monopolisierungsfähigkeit moderner
Schlüsseltechnologien heute nicht mehr. Das Aufkommen gleichwertiger technologischer
Zentren nicht nur in den unmittelbaren kapitalistischen Konkurrenzländern
Westeuropas und Japan, sondern auch in Ländern wie China, Indien, Iran und
sogar Nordkorea legt dafür beredtes Zeugnis ab.
- Die Verschuldung der USA beim Rest der Welt nimmt weiterhin rasant zu. Das
reichste Land der Erde steht stabil mit weit über 400 Milliarden Dollar bei
anderen Ländern in der Kreide und muß unterm Strich jeden Werktag rund
zwei Milliarden Dollar ins Land saugen, um diese Außenstände zu bedienen.
- Trotz heftiger Kämpfe unterm Tisch ist es den USA nicht gelungen, die
Etablierung des Euro als einer potentiellen Nachfolge-Weltwährung zu verhindern.
Wie stark die USA gegenüber dem alten Konkurrenten Europa und neuen Mächten
ökonomisch schon in die Defensive gekommen sind, zeigen jüngst die Verhängung
von Stahl-Abwehrzöllen, die Höhersubventionierung
- Seit Jahrhunderten – ob gegen Spanien, Kuba oder Vietnam – gewohnt,
praktisch allein gegen wahre oder vermeintliche Gegner loszuschlagen, machen die
USA die Erfahrung, gegen Afghanistan erst nach Herstellung eines Bündnisses,
das ihnen Landerechte zur Verfügung stellt, starten zu können.
- Vor allem aber: Zum ersten Mal seit dem siegreichen Krieg gegen England 1776
haben die USA einen Angriff auf ihr eigenes Hauptterritorium erlebt. Deutschland
hatte 1914 und 1939 reichlich Pläne für Kriegshandlungen gegen die USA
selbst, es aber nicht geschafft, auch nur eine Granate gegen Washington oder New
York zu feuern. Japan hat am 7. Dezember 1941 einen Angriff auf die Peripherie
des Empires fertiggebracht – aber dreitausend Tote im eigenen Kernland sind
in der Tat ein Schockerlebnis, unvorstellbar wie ein Angriff auf Rom zur Zeit
von Kaiser Augustus.
Rosa Luxemburg hat zu Zeiten, als nahezu alle anderen noch von „dem“
Weltkrieg sprachen, vom „Zeitalter der Weltkriege“, geschrieben, das
im August 1914 begonnen habe – wählte also den Plural. Damit drückte
sie – wie Lenin auch – aus, daß Imperialismus Weltkrieg im Dauerzustand
bedeutet. George W. Bush hat nolens volens Luxemburg und Lenin bestätigt,
als er zum Krieg gegen den Terrorismus aufrief, der sich über Jahrzehnte
hinziehen werde. Dieser Weltkrieg als Normalzustand ist mal intensiver, mal schwächer,
er tobt mal außerhalb, mal innerhalb der kapitalistischen Zentren. Seine
treibende Hauptkraft sind zur Zeit die USA. Sie operieren zur Sicherung ihrer
Herrschaft dabei mit dem Nimbus der Unbesiegbarkeit, wie einst Rom und London.
Zumindest die Linke sollte sich davon nicht bange machen lassen. Die USA sind
zwar kein Großmaul, aber sie haben den Zenit ihrer Macht bereits überschritten.
Wenn es den Friedenskräften vor allem innerhalb jenes Landes gelingen sollte,
das dem eigenen Volk deutlich zu machen, hilft das vielleicht, den Angriff auf
Bagdad nicht nur zu verschieben, sondern ganz abzublasen. Wenn nicht, wird die
relative Schwäche der USA auf Art der Klassengesellschaft, also im Krieg,
manifest.
Fußnoten:
- Present at the creation. A survey of America’s world role. The Economist,
29. Juni 2002 [back]
- Zahlen nach Ernst Lüdemann: Die Weltwirtschaft im 20. Jahrhundert. Eine
statistische Übersicht. IMSF, Frankfurt am Main 1996 [back]
- Die folgenden Zahlen nach Lüdemann, a.a.O. und dem aktuellen „Fischer
Weltalmanach“. Sie differieren leicht von den Zahlen des Economist, sind
aber im Trend identisch [back]
- Zahlen nach Economist, 29. Juni 2002 [back]
- Hier wie überall, wo nicht anders angegeben, verwende ich die staatsoffiziellen
Zahlen. Daß sie hinsichtlich der Militärausgaben geschminkt sind, ist
klar – aber ihre Steigerungen sind selbst dann erschreckend genug. [back]
- Art Perlo: Who pays the costs of empire? People’s weekly world, 8. Juni
2002, S. 8 [back]
- hinter diesem Begriff stand das nach dem New Deal in den 30er Jahren wohl
umfassendste Sozialreformprogramm in der US-Geschichte [back]
- A survey of the defence Industry, The Economist, 20. Juli 2002 [back]
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