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Die
unendliche Geschichte:
Die USA, der Irak und der Krieg
von Sabah Alnasseri
„Große Grammatik – viel Palava. Und viel
Palava – viel Tot.“
(Ken Saro-Wiwa)
Seit dem zweiten Golfkrieg 1991 ist die Irak-Frage zu einer innenpolitischen Frage
und einer inneren Angelegenheit der USA geworden, die mitunter über Wahlausgänge,
Geschäftsmachenschaften und Medienpolitik entscheidet. Das
derzeitige Debakel über einen möglichen Irak-Krieg ist zunächst
vor dem Hintergrund der weltweiten ökonomischen und politischen Krise zu
sehen. Den USA geht es um eine verhältnismäßig langfristige Strategie
der Umstrukturierung in diesem und im vorderasiatischen Raum unter ihrer Vorherrschaft.
Das ist aber nur dann möglich, wenn die USA auch in diesem Raum Verbündete
finden, denn sonst ist das Szenario von vornherein zum Scheitern verurteilt oder
aber sie riskieren entsprechend der neuen Doktrin des Präventivkriegs, die
auf eine vom Präsidenten Bush schon während und nach seiner Wahl verkündete
Rüstungsmanie (1) schließen lässt, eine Militärbesatzung!
Der Sturz Saddam Husseins ist zum anderen seit dem zweiten Golfkrieg das erklärte
Ziel der amerikanischen Irak-Politik, dem sich die vergangene und die neuerliche
Unterstützung der irakischen Opposition unterordnet. Allein: In ihrem gegenwärtigen
Zustand ist diese Opposition viel zu schwach und zerstritten, um eine wirkliche
Alternative zur Herrschaft Saddam Husseins darzustellen (s.u.). Indes fragt es
sich hier, worum es eigentlich bei den Kriegsdrohungen geht?
Geschichtlicher
Hintergrund
Als der Staat Irak 1920 kolonial hergestellt wurde, wurden die ehemaligen traditionell
herrschenden Kräfte im Land durch den britischen Kolonialismus auf einen
Schlag von traditionellen Herrschern zu Privateigentümern. Das gesamte Land
wurde unter lediglich 400 Familien aufgeteilt. Diese Familien wurden über
Nacht in eine kapitalistische Klasse verwandelt. Die Staatsform war eine konstitutionelle
Monarchie. Und die Vertreter dieser kapitalistischen Klasse stellten damals das
Parlament. Diese Staats- und Ökonomieform dauerte bis 1958, bis zur Revolution
(2).
1932 wurde die Unabhängigkeit von England mit Ölkonzessionen erkauft.
Dies änderte sich 1958 mit der Juli-Revolution und dem Sturz der Monarchie.
Dieses Ereignis war einmalig in der Geschichte des arabischen Raums. Die Revolution,
die nicht nur politisch, sondern gleichzeitig sozioökonomisch und kulturell
war und die eine Umstrukturierung der Klassenverhältnisse im Lande in Gang
setzte, wurde von breiten Teilen der irakischen Bevölkerung getragen. Es
war kein Palastputsch wie in anderen arabischen Staaten. Auch die kommunistische
Partei spielte damals eine wichtige Rolle. Die kommunistische Partei Iraks war
die einzige im arabischen Raum, die in einem Staat an die Macht kam. Und diese
Revolution war Großbritannien, Frankreich und den USA ein Dorn im Auge,
denn man befürchtete, dass die Sowjetunion im Irak Fuß fassen könnte.
Der Offizier (später Ministerpräsident) Kassim war Nationalist, aber
er ging in eine Koalition mit der kommunistischen Partei gegen das Königshaus.
Das Regime machte jedoch einige strategische Fehler, die dazu führten, dass
andere gesellschaftliche Kräfte, besonders die der Baath-Partei, stärker
wurden. Den Sturz des Regimes muss man indessen vor dem Hintergrund des Kalten
Krieges sehen: 1963, als die Baath-Partei putschte, hatte sie weder in der Bevölkerung
noch im Militär eine Basis. Aber weil die irakische Regierung, vor allem
die kommunistische Partei, in diesem Jahr auf eine Anweisung aus der UdSSR wartete
und nicht gegen die Putschisten handelte, konnte die Baath-Partei genügend
konservative Kräfte mobilisieren: Die Regierung wurde gestürzt.
Die Baath-Partei war 1963 eine nationalistische Partei mit panarabischen Zügen.
Ihr Charakter war vom Zweiten Weltkrieg und der Ost-West-Polarisierung geprägt.
Ihre Strategie setzte darauf, sich von der Sowjetunion und der Nato abzusetzen.
Man suchte eine Art dritten Weg. Diese Mode herrschte in vielen arabischen Ländern.
In Algerien nannte man es islamischen Sozialismus, in Ägypten arabischen
Sozialismus etc. Auch die Baath-Partei nannte diesen Weg arabischen Sozialismus.
Es war eine national-ethnische Form des Technokratismus.
Bis 1968 war der liberale Teil der Baath-Partei unter den Brüdern Arefs an
der Macht. Mit der Machtübernahme von Al-Bakr, dem rechten Flügel der
Baath-Partei, wurde die Macht der Partei untergraben, und sie wurde zu einem Anhängsel
der ideologischen und Sicherheitsapparate des Staates. Die Partei wurde zu einer
Rekrutierungsmaschinerie der Regierung entwickelt. Ihr Ziel waren nicht mehr –
wenn es das jemals gewessen war – „Einheit, Freiheit und Gerechtigkeit“,
sondern die gesamte irakische Bevölkerung in Baath-Parteimitglieder zu verwandeln,
damit es keinen Raum mehr für andere politische Kräfte gäbe. Das
ist allerdings nie gelungen.
In seinen ersten Regierungsjahren musste das Regime erst Fuß fassen. Al-Bakr
musste deshalb Kompromisse mit der kommunistischen Partei eingehen. Das Regime
war mit drei großen Gruppen von Oppositionellen konfrontiert, den Schiiten,
den Kurden und den Kommunisten. Wie die Regierung die Kommunisten vereinnahmte
und dann gegen die Schiiten, Kurden und letztlich auch gegen die Kommunisten vorging,
darauf werden wir später eingehen. Das Vorgehen gegen diese drei großen
Oppositionsgruppen war äußerst brutal. Das brutalste Kapitel begann
allerdings mit der Machtübernahme von Saddam Hussein im Jahre 1979.
Al-Bakr war krank, man schob ihn ab, und Saddam Hussein trat als sein Stellvertreter
auf. So übernahm er seine Geschäfte, aber de facto war dies ein interner
Putsch. Der Putsch war aber nicht nur intern, sondern man muss ihn auch global
betrachten. Die Revolution im Iran 1979 zwang die USA, die Golfmonarchien, Russland
und Westeuropa dazu, innerhalb der irakischen Baath-Partei Kräfte zu unterstützen,
die als eine sunnitische Konterkraft zu dem schiitischen Regime im Iran aufgebaut
werden konnten. Und diese sunnitische Karte spielte Saddam Hussein hervorragend.
Er setzte sich als Gegengewicht zur schiitisch-persischen Revolution in Szene.
Das Baath-Regime hat versucht, eine neue soziale Basis im Irak zu schaffen, und
zwar durch Fraktionierung der irakischen Bevölkerung entlang ethnischer,
religiöser und politischer Gruppen. Entlang der Achsen Kurden, Araber, Christen,
Muslime etc. versuchte das Regime, sich selbst zu stabilisieren, indem es immer
diese ethnischen und kulturellen Unterschieden zu konstruieren und zu reproduzieren
wusste. Saddam Hussein versuchte seinerseits, sich als eine homogene und völkerverbindende
Kraft darzustellen. Deshalb spielt er in der Öffentlichkeit stets diese verschiedenen
Rollen.
Regimestabilität
In den 70er Jahren gab es einige strategische Fehler der Opposition, vor allem
der damaligen kommunistischen Partei. Sie hat damals falsch kalkuliert, indem
sie mit der Baath-Partei zusammen eine nationale Front gebildet hat. Sie spekulierte
darauf, dass sie in dem Moment, in dem sie in den Staatsapparat eindringen würde,
die politische Richtung der Regierung in ihrem Sinne beeinflussen könnte.
Dadurch hatte aber die Baath-Partei zunächst freie Hand gegenüber den
Schiiten. Hunderttausende von Schiiten wurden zum Beispiel in den Iran abgeschoben. Und
später ging man gegen die Kurden im Nordirak vor. Und dann kamen die Kommunisten
an die Reihe; sie wurden gnadenlos verfolgt und ermordet.
Ende der 70er Jahre putschte der rechte Flügel der Baath-Partei unter Saddam
Hussein gegenüber dem Präsidenten Al-Bakr. Aber dieser Flügel der
Baath-Partei hatte weder in der Partei noch in der Bevölkerung eine Mehrheit.
Was also musste dieser rechte Flügel der Baath-Partei tun, um die Mehrheit
der Partei und der Bevölkerung zu gewinnen?
Er musste die Kriegspropaganda schüren und die nationalistischen Kräfte
im eigenen Land aufrufen. Während dessen wurden die alten und neu hinzukommenden
feudalen Kräfte durch eine Umstrukturierung der Eigentumsverhältnisse
und auf der Basis importierter Lohnarbeiter (meist aus Ägypten) zu Agrokapitalisten
verwandelt. Dies war bedingt durch die Kanonenfütterung der irakischen Lohnabhängigen
(im weitesten Sinne), wodurch nicht nur die sozialen Basen gegnerischer Kräfte
zerstört wurden, sondern vor allem eine neue soziale Basis des Regimes geschaffen
wurde. Durch die Kriegsökonomie und die Kriegspropaganda gegen den Iran schaffte
es also der rechte Flügel der Baath-Partei, breite Schichten der Bevölkerung
hinter sich zu bringen. Gleichzeitig blieb auch die Ökonomie durch Kapitalimport
(Kriegsschenkungen, Kredite etc.) im Lande. Das nahm während des ersten Golfkrieges
zwischen 1980 und 1988 teilweise so absurde Formen an, dass die Kriegstoten in
Kapital für die Angehörigen umgewandelt wurden. Jeder, der einen Bruder
oder Vater im Krieg verlor, bekam beispielsweise ein Auto, ein Haus oder ähnliches.
Während des Krieges hat Saddam Hussein alle Staatsapparate mit seinen eigenen
Leuten besetzt und sich endgültig der oppositionellen Kräfte, der konservativ-schiitischen,
der kommunistischen und der kurdischen, entledigt. Hinzu kam, dass die USA, die
UdSSR und die Golfstaaten den Irak gegenüber dem Iran unterstützten,
denn nach der erfolgreichen Revolution im Iran wollte man weitere Revolutionen
in anderen Staaten verhindern.
Nach dem ersten Golfkrieg geriet das Regime wieder in eine ökonomische, ideologische
und politische Krise. Sehr viele Menschen, vor allem im wichtigsten Sicherheitsapparat
(dem Militär), fragten nach dem Sinn dieses Krieges, und anstatt die ökonomische
Krise zu überwinden, flüchtete sich das Regime in das Kuwait-Abenteuer
im Sommer 1990. Das irakische Regime schaffte es also stets, sich durch Formen
der Gewalt und der Kriegsökonomie am Leben zu erhalten.
Embargo
Durch das Embargo sind die regimenahen Kriegsökonomisten stärker geworden:
Alle Märkte – vom Gemüse- bis zum Ölmarkt – sind oligopolistisch
kontrolliert worden und die Bauern, Angestellten und Arbeiter sind von diesen
Kräften im Irak abhängig geworden. Die Monopole bestimmen die Preise
und die Mengen und haben in den letzten zehn Jahren ein gewaltiges Kapital akkumuliert.
Und diese Kräfte haben Interesse an der Aufrechterhaltung des Embargos, während
die Subalternen durch das „Oil for Food“-Programm Peanuts bekommen;
es reicht nicht einmal für die Grundbedürfnisse. Das zeigt sich zum Beispiel
daran, dass mittlerweile die Mehrheit der Kinder im Irak arbeiten muss und nicht
mehr in die Schule geht, damit sich die Familie überhaupt ernähren kann.
Das Regime macht daneben ständig Angebote an oppositionelle Kräfte,
in das Land zurückzukehren, und verspricht die Rehabilitation. Und in der
Tat, die zahlreichen Oppositionellen, die über die gesamte Welt verstreut
sind, wären für den Irak ein gewaltiges politisches und ökonomisches
Kapital. Diese Taktik ging teilweise aus purem Opportunismus (Aneignung von aufgrund
des Embargos entwerteten Produktionsmitteln, Immobilien etc., wodurch sich eine
neue Mittelschicht der Embargo- und Kriegsgewinnler formiert) auf und hat dadurch
die Opposition noch weiter zersplittert, als sie ohnehin schon ist. Hier findet
eine neue Umstrukturierung der Klassenverhältnisse statt, dieses mal aber
durch Teile der irakischen Handels- und Finanzmigranten und in den Metropolen
gutsituierten Akademiker. In diesem Sinne ist die Aufhebung des Embargos von strategisch-politischer
Bedeutung (s.u.).
Wie stark ist das Regime?
Das Baath-Regime ist nicht so stark, wie es derzeit an der Oberfläche erscheint
und von den USA dargestellt wird. Es ist sehr viel schwächer als in den 80er
Jahren. Bereits seit Jahren werden der Norden und Teile des Südens des Irak
nicht mehr von diesem Regime kontrolliert. Und ein großer Teil der Bevölkerung,
der während des ersten Golfkrieges gegen den Iran vermutlich noch wohlwollend
gegenüber dem eigenen Regime war, steht jetzt nicht mehr hinter ihm. Das
irakische Regime ist momentan auch militärisch abgewirtschaftet: Viele Generäle,
Offiziere und andere dem Regime nahestehende Kräfte verlassen dauernd das
Land und gründeten mittlerweile ihre eigene oppositionelle Organisation (die
sogenannte INA: Iraqi National Accord). Das deutet daraufhin, dass sie die Privilegien,
die sie einstmals hatten, verloren haben. In der westlichen Presse scheint es,
als wäre die Militär- und Geheimdienstmaschinerie des Irak gigantisch,
de facto wird das Regime aber wahrscheinlich zusammenbrechen, wenn es zu einem
ernsthaften Aufstand im eigenen Land kommt.
Opposition, Krieg und
Widerstandsszenario – Aufstand 1991
Der Aufstand im Süden des Irak während und nach dem zweiten Golfkrieg
im Jahre 1991 war ein spontaner Aufstand und wurde nicht von den USA angeheizt.
Es waren aus Kuwait zurückkehrende irakische Soldaten, die in Basra auf ein
großes Bildnis von Saddam Hussein schossen. Das war eine spontane Reaktion,
durch die sie erstmals ihre Angst überwunden haben. Daraus folgte ein spontaner
Aufstand breiter Volksmassen, zuerst in Basra, und dann breitete er sich blitzartig
in vielen Provinzen des Südiraks aus und zwar ohne die Unterstützung
der USA.
Seitens der USA hat man vor der Welt proklamiert, dass man auf diesen Aufstand
der „Schiiten“ gehofft hat. Die Aussage, dass die USA die Schiiten
zu einem Aufstand angeheizt hätten, suggeriert, dass es zu einer schiitischen
Machtübernahme im Irak kommen könnte. Das aber wäre aus Sicht der
USA eine Bedrohung für die gesamte Region, und deshalb haben sie den Aufstand
nicht unterstützt. Sie haben indirekt verlautbaren lassen, dass die Schiiten
das Land besetzen wollten und voraussichtlich eine Koalition mit dem Iran eingehen
würden. Es wurde auch immer wieder so dargestellt, als hätten nur die
Schiiten diesen Aufstand bewerkstelligt.
In Wirklichkeit haben sich kurdische Kräfte im Norden, linke Kräfte
und auch völlig unabhängige Menschen daran beteiligt. Selbst Hausfrauen
und Kinder haben Waffen getragen und gekämpft. Fast alle Teile der irakischen
Bevölkerung haben an diesem Aufstand teilgenommen. Aber vor der Weltöffentlichkeit
wurde dieser Aufstand als eine Bedrohung dargestellt, und insofern entschieden
die USA, sich lieber mit dem toten Löwen Saddam Hussein zu arrangieren als
mit den aufständischen „Schiiten“. Diese Haltung behielten sie
in den letzten zehn Jahren bei, und sie führte dazu, dass man die Opposition
nicht unterstützte.
Dieses Mal aber haben die USA oppositionelle Gruppierungen, wie zum Beispiel die Al-Hakim-Gruppe
(s.u.), eingeladen, um mögliche Beteiligte an einer späteren Regierung
teilnehmen zu lassen. In Wirklichkeit haben die USA überhaupt keine Probleme
mit gegensätzlichen oppositionellen Gruppierungen, denn man denke einmal
an die Unterstützung Osama bin Ladens und der Taliban durch die USA, die
nun wirklich nicht auf der politischen Linie der USA liegen. Also gewisse politische
Differenzen zu oppositionellen Kräften im Irak sind nichts als ein vorgeschobenes
Argument, um die Interessen der USA und der Golfstaaten in diesem Raum zu sichern.
Eins muss hier aber klar gestellt werden, dass die Schiiten keine einheitliche
politische Größe sind. Sie sind kein homogener Block und gehören
auch nicht nur Al-Hakim oder Al-Da'wa (s.u.) an. Viele Schiiten sind zum Beispiel Angehörige
der kommunistischen Partei, der Baath-Partei oder liberaler Parteien. Und Al-Hakim
rekrutiert seine Mitglieder vor allem aus der in den 70er und 80er Jahren in den
Iran abgeschobenen Bevölkerung. Bei diesen Menschen gibt es natürlich
ein Rachepotential gegen das irakische Regime. Aber innerhalb des Irak ist die
schiitische Bevölkerung nicht homogen, deshalb muss man in bezug auf die
politischen Optionen dieser Menschen sehr differenziert hinschauen.
Schwache Opposition und Kriegsszenario
Die Mitglieder der kommunistischen Partei haben nach ihrem Verbot Ende der 70er
Jahre bis heute im Untergrund gearbeitet. Seit dem zweiten Golfkrieg gibt es auch
ständig Selbstmordattentate und Putschversuche, auch kleinere Gefechte mit
den Schiiten in den Sumpfgebieten im Süden und mit den Kurden im Norden.
Selbst in Bagdad gab es mitunter kleinere Gefechte. Aber die einzelnen Gruppen
des Widerstands konnten sich wegen der kriegerischen Auseinandersetzungen und
auch wegen des Embargos nicht für eine gemeinsame Strategie zusammenschließen.
Deswegen ist der Widerstand bis heute fraktioniert, vereinzelt und sporadisch.
Dieser Schwäche entspricht eine Schwäche der irakischen oppositionellen
Kräfte im Exil. Auf dieser Basis kann sich keine das Baath-Regime ernsthaft
gefährdende politische Kraft entwickeln.
Diese Schwäche hat mehrere Gründe: andauernde Kräfteverschiebungen
innerhalb der Opposition, interne Konflikte um unvereinbare Partikularinteressen,
die durch das Embargo bedingten soziostrukturellen Verschiebungen und damit eine
mangelnde soziale Basis der Opposition im Land, stetige Migrations- und Fluchtwellen
und nicht zuletzt regionale und internationale Einmischungsversuche, die jeweils
von den diversen oppositionellen Kräften artikuliert werden und damit stets
fraktionierend wirken.
Noch in den siebziger Jahren gab es drei wichtige Oppositionskräfte, die
vom Ba'ath-Regime nach und nach zerschlagen wurden: Die Kommunistische Partei,
die kurdische Befreiungsbewegung und die schi'itische Da'wa-Partei. Die irakische
KP wurde Opfer ihrer eigenen Strategie, sich mit dem Ba'ath-Regime auf einen „national-patriotischen
Pakt“ einzulassen, um so schrittweise die Staatsapparate durch die Teilnahme
an der Macht zu erobern. Vielmehr bekam das Regime auf diese Weise freie Hand,
gegen die verbliebenen kurdischen und schi'itischen Kräfte brutal vorzugehen.
Nachdem die zerschlagen waren, erlitt die Kommunistische Partei ein nicht minder
blutiges Schicksal.
Danach brauchten die oppositionellen Kräfte mehr als ein Jahrzehnt, um sich
im Land, aber vor allem außerhalb zu reorganisieren. Zuvor entstand Anfang
der achtziger Jahre im Iran eine neue (konservative) irakische Opposition unter
der Führung von Mohammed Baqer al Hakim: Der „Hohe Kongreß der
Islamischen Revolution“, dessen soziale Basis sich vor allem aus den vom
Ba'ath-Regime vertriebenen Schi'iten rekrutierte. Die beiden schiitischen Kräfte
sind sich nicht einig. Hier im Westen wird oft von der Einheit dieser Kräfte
gesprochen, in Wirklichkeit unterscheiden sie sich erheblich. Sie unterscheiden
sich in Fragen der Taktik, der Strategie, Organisation- und Sozialstruktur. Somit
sind ihre politischen Positionen und Bündnisentscheidungen unterschiedlich.
Eine wirkliche Neuformierung der irakischen Opposition, deren Zusammensetzung
durch die neu hinzukommenden liberalen und monarchistischen Kräfte verkompliziert
wurde, fand erst im Zuge des zweiten Golfkrieges statt. Anfang 1991 traf man sich
in Beirut (Libanon), um mit der irakischen Entwicklung, insbesondere dem spontanen
Aufstand gegen das Regime im März jenes Jahres, Schritt zu halten und eine
gemeinsame Handlungslinie festzulegen. Aus diesem Treffen ging das sogenannte
Joint Action Committee (JAC) hervor, eine Dachorganisation irakischer Oppositioneller,
deren Spektrum von der Kommunistischen Partei bis zu rechtskonservativen Kräften
reicht.
Das JAC bekam aber bald Konkurrenz, als sich liberale Kräfte abspalteten
und den sogenannten Iraqi National Congress (INC) im Jahre 1992 in Wien gründeten.
Ein Projekt, das ursprünglich unter der Ägide des JAC geplant war und
alle oppositionellen Strömungen Iraks zusammenfassen sollte.
Das Schisma ist denn auch die eigentliche Schwäche der irakischen Opposition.
Der INC wollte den vielfältigen ethnischen, politischen, religiösen
und ideologischen Differenzen Rechnung tragen und strebte ein föderalistisches
System liberaler Prägung nach us-amerikanischem Vorbild an. Die Verwirklichung
dieses von Washington favorisierten Szenarios sollte durch eine Doppelstrategie
aus bewaffnetem Widerstand und „Befreiungsdiplomatie“ gegenüber
den konservativen Golfstaaten ermöglicht werden.
Damit geriet der INC in direkte Konkurrenz zu oppositionellen Kräften in
Syrien und Iran sowie zum 1996 in London gegründeten linken Block der „Bewegung
der irakischen Demokraten“. Seinem Selbstverständnis nach will der
INC eine Alternative „jenseits von links und rechts“ sein, der von
den konservativen und liberalen Kräften in- wie außerhalb der Region
gestützt wird.
Real sah und sieht sich der INC jedoch mit drei Problemen konfrontiert. Erstens
setzt sein kurdischer Operationsraum eine politische Stabilität voraus, die
aufgrund der Rivalitäten zwischen den Kurdenführern Talabani und Barzani
nicht gegeben ist. Zweitens schränkt die Nähe zu den USA eine Reihe
von Handlungsoptionen ein, und drittens fehlt es dem INC im Irak an sozialer Basis
und politischer Glaubwürdigkeit.
Insgesamt wird die Zahl irakischer Oppositionsgruppen auf 70 bis 150 geschätzt.
Ihr Boom nach dem zweiten Golfkrieg war nicht nur Ausdruck der (illusorischen)
Hoffnung auf einen baldigen Sturz des Regimes und anschließende Teilhabe
an einer neuen Regierung. Hinzu kam eine generelle Unzufriedenheit mit der traditionellen
Opposition. Doch die Zahlen verstellen die Realität eher, als sie zu erhellen:
Dahinter steht weder eine breite Repräsentanz noch eine faktische Präsenz
im Irak selbst. Die Mehrheit der IrakerInnen weiß nicht einmal von ihrer
Existenz und fühlt sich nach wie vor mit dem Regime und dem UN-Embargo allein
gelassen.
Anfängliche Versuche der USA, Saddam Hussein durch einen internen Putsch
zu stürzen, sind nicht zuletzt auch an den effektiven Machtstrukturen des
Regimes gescheitert. Das Hauptproblem dieser Putsch-Strategie lag jedoch darin,
dass sie dem Washingtoner Szenario von einem föderalistisch-liberalen Irak
zuwiderliefen. Ein Putsch hätte die Macht des Militärs nicht gebrochen.
Der zweite Versuch der USA, mit Hilfe des INC zum Erfolg zu kommen, ist vor allem
an der halbherzigen Unterstützung und den Konflikten innerhalb des INC gescheitert.
Daraus hat man gelernt. Washington will den INC zukünftig stärker unterstützen
und den Druck auf das Regime durch Einschluss weiterer konservativer Oppositionskräfte
erhöhen. Damit aber bleiben relevante Teile der irakischen Opposition außen
vor und erleichtern es Saddam Hussein, auch diese Strategie zu durchkreuzen.
Der INC ist heute vor allem in Großbritannien und den USA verankert. Und
dieser INC wurde in den letzten Wochen zusammen mit der Al-Hakim-Gruppe, dem INA
und der monarchistischen Gruppe in die USA eingeladen und quasi als politische
Kräfte anerkannt. Das sind die Kräfte, die jetzt auf der politischen
Bühne erscheinen. Es sind die konservativ-liberalen Kräfte, die aber
de facto nicht alle oppositionellen Kräfte des Irak repräsentieren.
Viele kommunistische, andere linke und intellektuelle Kräfte werden ausgegrenzt.
Deswegen ist zu befürchten, dass es nach einem Sturz des irakischen Regimes
zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte (s.u.).
Optimistisches Kriegsszenario
Es scheint und wird so suggeriert, als ob sich die USA deshalb Gedanken machen,
wie sie eine zukünftige politische Kraft militärisch und ideologisch
unterstützen und ökonomisch im Irak einbetten können. Es könnte
beispielsweise eine Übergangsregierung sein, die darauf hinwirkt, dass es
im Irak zu einem demokratischen Übergang kommt. Es wird suggeriert, dass
wenn man eine solche politische Kraft im Irak verankern kann, die gleichzeitig
glaubhaft deutlich macht, dass sich alle politischen Kräfte in naher Zukunft
an der Macht beteiligen können, dann könnte man einen Bürgerkrieg
verhindern. Diese politische Kraft müsse im Dialog mit allen oppositionellen
Kräften stehen, um ihnen zu versichern, dass sie nicht vom politischen Leben
ausgeschlossen würden.
Eine neue irakische Regierung müsse sich weiterhin mit allen oppositionellen
Gruppen auf unterschiedlichen Ebenen ins Benehmen setzen, gleichzeitig müsse
sie sich mit anderen arabischen Staaten, zum Beispiel den Golfstaaten, verständigen.
Denn jede Veränderung im Irak könnte zu einer gravierenden Wirkung auf
diese Staaten führen. Wenn es im Irak zu einer Demokratie kommen sollte,
dann würden starke Kräfte in den Golfstaaten ebenfalls nach einer Demokratie
verlangen. Das sind die Probleme (oder erhofften Verschiebungen?), die bis zu
einem möglichen Irak-Krieg geklärt werden müssen.
Weiterhin steht die kurdische Frage im Mittelpunkt des Kriegsszenarios.
Bedingt ist dies durch die geostrategische Lage des kurdischen Gebiets im Norden
des Irak. Die Kurden sind abhängig von den Verhältnissen im Irak, der
Türkei und von denen im Iran. Das kurdische Problem hängt mit den Bodentruppen
zusammen. Solange der Irak, nach den gängigen Kriegsplänen, durch Großbritannien
und die USA nur aus der Luft angegriffen wird, wird der Nordirak voraussichtlich
unberührt bleiben.
Wenn aber Bodentruppen einmarschieren, dann kann es sein, dass diese nicht nur
aus dem Süden, sondern auch aus dem Norden kommen, also aus der Türkei.
In letzterem Fall wird dann der Nordirak wahrscheinlich von türkischen Truppen
besetzt. Die Türkei wird die Gelegenheit nutzen, die kurdische Befreiungsbewegung
zu bekämpfen, andererseits wird die Türkei auch imperiale Interessen
durchsetzen, zum Beispiel die Besetzung von Ölquellen. Das ist die berechtigte Befürchtung
der Kurden im Nordirak, eine Befürchtung, die solange aufrechterhalten bleiben
wird, wie in der Türkei de facto das Militär herrscht. Deswegen versuchen
die USA alles, um die Kurden einzuladen und sie davon zu überzeugen, dass
es zu keiner türkischen Besetzung des Nordirak kommen wird und dass sie ihre
Autonomie behalten können.
Aber die kurdische Führung ist nicht dumm und sie haben in den letzten 50
Jahren so viele schlechte Erfahrungen mit unterschiedlichen Regimen gemacht, dass
sie keineswegs auf bloße Versprechungen eingehen werden. Das ist eines der
Probleme, die es zu lösen gälte.
Die gutwilligen, erhofften, aber nicht begründeten Erwartungen der Demokratisierung
des Irak und mit ihm der ganzen Region, die zu einem dauerhaften, befestigten
und demokratischen Frieden unter all den Völkern dort führen könnte,
all das ist einfach viel zu schön, um wahr zu sein. Doch dazu später
mehr.
Wenig optimistisches
Kriegs- und Bedrohungsszenario:
Al-Qaida- Connection und/oder Chemie-Staat?
Die Verschiebung des Irak auf die Achse des Terrors verläuft auf zwei Gleisen,
die zwangsläufig in einen Krieg münden sollen.
Zunächst: Seitens der USA wird in letzter Zeit immer wieder eine Verbindung
zwischen Al-Qaida-Mitgliedern und dem Irak ins Spiel gebracht, zum Beispiel dass gewisse
Al-Qaida-Mitglieder im Irak ausgebildet worden sein sollen.
Es ist zunächst nicht daran zu glauben, dass hinter dem Anschlag auf das
World Trade Center und das Pentagon Osama bin Laden gestanden hat. Beweisen muss
ich dies nicht, dies sind die anderen schuldig, die es vertreten. Aber wenn meine
These stimmt, ist alles andere, was aus den bisher offiziell verkündeten
Thesen abgeleitet wird, sehr problematisch. Osama bin Laden ist zwar eine politische
Kraft, aber in dem Szenario vom 11.09.2001 fungiert er als eine Konstruktion.
Als solche dient er für die Intervention der USA in dem besprochenen geographischen
Raum. Ferner gibt es in westeuropäischen Staaten und in den USA politische
und rechtliche Verschiebungen, die ohne den 11. September nicht möglich gewesen
wären, zum Beispiel die Einschränkung demokratischer Rechte und das Zunehmen
des Überwachungsstaates.
Man sollte nicht auf Verschwörungstheorien hören, dass die Amerikaner
es selbst gemacht haben. Es war leichter und zweckmäßiger für
die USA, den Anschlag in die Schuhe von Al-Qaida zu schieben, als nach den wahren
Tätern zu suchen, was politisch eine sehr turbulente Zeit bedeutet hätte:
Für eine Administration, die unter problematischen Startbedingungen gerade
einige Monate im Amt war und deren innen- wie außenpolitische Bilanz bis
dato alles andere als rosig war, könnte diese Zeit das politische Ende bedeuten.
Die Bin Laden-Konstruktion bedeutet in diesem Sinne einerseits Externalisierung
von möglichen innenpolitischen Unruhen und andererseits eine Chance, in eine
ohnehin auf der Interventionsliste stehende Gegend der Welt einzumarschieren.
Zum Zweiten: Die Proklamierung eines Bedrohungspotentials von chemischen, bakteriologischen
und atomaren Waffen im Irak dient m.E. dazu, die Öffentlichkeit gegen den
Irak und für einen Irak-Einsatz der USA zu mobilisieren. Ähnlich war
es im Golfkrieg 1991, als im vorhinein das militärische Potential des Irak
über die Maßen hochgeredet wurde. Man musste damals fast den Eindruck
bekommen, als wäre der Irak einer der militärisch stärksten Staaten
der Welt. Nur deshalb konnte man eine derartig gigantische Kriegsmaschinerie mobilisieren.
Die Proklamierung der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen des Irak dient
also der ideologischen und politischen Untermauerung für einen Militärschlag
der USA. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen
besitzt. Aber das ist m.E. nicht das Entscheidende. Wenn
die USA den Irak politisch und militärisch kontrollieren können, dann
sind sie in der Lage, den ganzen umliegenden Raum zu kontrollieren. Sie können
dann den Iran eindämmen und die von innen her bedrohten Golfstaaten schützen,
auf Syrien Druck ausüben oder das Baath-Regime dort zum Fall bringen (3).
Durch ihre gleichzeitige Anwesenheit in Afghanistan und den verschiedenen ehemaligen
Sowjetrepubliken dominieren die USA dann fast den gesamten ostarabischen wie zentralasiatischen
Raum. Insofern hat der regionale Konflikt zwischen den USA und dem Irak eine globale
Bedeutung.
Denn global stehen die USA in Konkurrenz zu Europa, China und Japan. Aufgrund
dieses Kräfteverhältnisses kann man momentan die unterschiedlichen Positionen
von den USA, Deutschland, Frankreich, Russland und Großbritannien erklären.
Auch wenn alle so tun, als hätten sie ein gleiches Ziel und ähnliche
Mittel, so haben sie doch alle unterschiedliche Interessen.
Der Sturz des Regimes in Irak und die Installierung pro-amerikanischer Kräfte
würde beispielsweise die Ölinteressen französischer und russischer
Ölkonzerne direkt tangieren, indem sie ihre vom Baath-Regime kontraktlich
abgesicherten Ölkonzessionen an amerikanische (und britische) Konzerne definitiv
verlieren würden. Dies ist insofern von Bedeutung, als der Irak die zweitgrößten
Ölreserven der Welt besitzt und zukünftig eine Alternative für
Saudi-Arabien darstellen kann.
Und wenn die USA den Irak kontrollieren, können sie natürlich auch Saudi-Arabien
kontrollieren.
In den USA wissen die Sicherheitsstrategen, dass die Golfmonarchien unter einem
enormen politischen Druck stehen, und zwar schon seit Anfang der 90er Jahre. Diese
Regimes sind mit unterschiedlichen politischen Kräften konfrontiert. Der
Fehler der USA nach dem zweiten Golfkrieg 1991 war, dass sie nicht darauf hingewirkt
haben, dass sich die ultrakonservativen Regimes in den Golfstaaten politisch öffnen.
Denn dann hätten auch andere politische Kräfte in diesen Staaten eine
Teilhabe an der Macht gehabt. Das ist ein offenes, nicht eingelöstes Versprechen.
Deshalb gibt es zum Beispiel in den Golfstaaten immer mehr gewaltbereite Kräfte,
deren Hintergründe nicht primär kulturell oder religiös sind, sondern
deren Ursache darin liegt, dass sie ihre politischen Interessen in den jeweiligen
Staaten nicht artikulieren und umsetzen können. Für
die Bevölkerung dort sind die USA keine neutrale Macht, sondern ein Akteur
mit einer bestimmten politischen Position. Bei der Bevölkerung geht es keineswegs
nur darum, dass die USA im palästinensisch-israelischen Konflikt stets auf
Seiten Israels stehen, was nicht stimmt, sondern vor allem darum, dass die USA
Bündnispartner vieler arabischer Regierungen ist, die von großen Teilen
der Bevölkerung mehr oder weniger abgelehnt werden. Und man geht mehrheitlich
in der Bevölkerung davon aus, dass diese Regimes ohne die Unterstützung
der USA, und auch der von Großbritannien, nicht überleben könnten.
Durch die Unterstützung dieser Regimes werden die USA zum Feindbild der arabischen
Massen hypostasiert (4).
Aber daraus kann man folgendes ableiten: Hätten sich die USA, nachdem der
Großteil der Araber 1991 für den Krieg gegen den Irak war, in politischer
Verantwortung in dieser Region eingesetzt, dann hätten sie die Mehrheit der
konservativen und liberalen Kräfte dort – und das ist die Mehrheit
der Menschen – auf ihrer Seite gehabt. Dann wäre auch das Image der
USA in diesem Raum zum Positiven verschoben worden. Mit dem Nahost-Friedensprozess
haben die USA einen gewissen Schritt in diese Richtung gemacht, aber dann endete
ihr Engagement. Statt eines weiteren Engagements im israelisch-palästinensischen
Friedensprozess, und statt sich um die ökonomischen und demokratisch-politischen
Belange in den arabischen Ländern zu kümmern, war man zunehmend bemüht,
dort amerikanische Truppen zu stationieren.
Eine (welche?) Demokratie
wäre wünschenswert, aber ein Krieg für Demokratie?
Es ist ein Gemeinplatz geworden, dass jedes Mal, wenn es zu Kriegserklärungen,
Kriegsvorbereitungen, Kriegsdrohungen etc. kommt, humanitäre, friedliche,
gerechte, ja revolutionäre „Gesichter“ des Kriegs entworfen werden:
Alles um den Krieg herum, nur nicht den Krieg selbst politisieren! Dabei ist Politik
seit Hobbes die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln gewesen, findet jetzt
doch eine Kulturalisierung des Kriegs bei gleichzeitiger Entpolitisierung von
Kultur und Krieg statt.
Nicht nur Teile der deutschen Linken (vgl. exemp. www.wadinet.de)
sowie der konservativ-liberale Teil der irakischen Opposition (exemp. INC, INA),
sondern auch einige der irakischen Linken setzen sich für den Krieg ein,
erhoffen sie sich doch demokratische Veränderung im Irak nach einem „Regimewechsel“
(Präsident Bushs oberste Priorität!). Sind die Interessen der Kriegsbefürworter
unterschiedlich zu verorten, so gehen alle doch davon aus, dass ungeachtet der
„nationalen Interessen“ der USA und ihrer Kriegsintentionen der Krieg
das einzige Mittel des Regimewechsels und der Demokratisierung im Irak darstellt,
nach dem Motto, zuerst kommt der Krieg, dann die Demokratie: Clausewitz lässt
grüßen. Nicht also vor und während des Krieges, sondern erst in
einer Postkriegsphase schlägt die Stunde der Politik. Auch eine Logik!
Die USA fungieren dabei lediglich als „das unbewußte
Werkzeug der Geschichte“, die eine „radikale Revolutionierung der
sozialen Verhältnisse in Asien“ (Marx, die britische Herrschaft in
Indien) fertig brächte.
Wie sind diese Kriegseuphorie und diese Gewaltgeilheit (5) zu
verstehen? Oder, anders ausgedrückt: Was muss, wenn schon Krieg, geschehen,
damit die Hoffnungen, die an einem solchen Krieg geknüpft werden, nicht reines
Wunschdenken bleiben, sondern begründet erscheinen? Und selbst dann: wieso
wäre der amerikanische Krieg nicht nur vermeidbar, sondern böse?
Zunächst: Aus der Perspektive der amerikanischen Sicherheits- und Ordnungspolitik
und aus den erweiterten ökonomischen und politischen Interessen wäre
dieser Krieg irrational insofern, als die Demokratisierung des Iraks einem politisch-regionalen
Erdrutsch gleichkäme, da diese einen Dominoeffekt in den benachbarten Staaten
auslösen und somit der USA die Kontrolle über die Region entzogen würde.
Und dennoch: Angenommen dies wird in Kauf genommen, weil die Demokratisierung
die beste Heilmittel gegen den „Terrorismus“ wäre, was für
einen solchen „demokratischen“ Krieg sprechen würde, vorausgesetzt,
dass dieser ein Anti-Terror Krieg ist und dass der „Schurkenstaat“
Irak ein Netz des globalisierten Terrors darstellt. Wenn dies so ist, so müssen
m.E. mindestens drei Voraussetzungen erfüllt sein, damit nicht nur der „demokratische
Wille“ der USA unter Beweis gestellt wird, sondern auch weil diese Voraussetzungen
den Vertretern jenes Kriegsprojekts eine Glaubwürdigkeit verleihen würden.
Erstens müssen die verdrängten Elemente der UNO-Resolution 688 von 1991
endlich in die Taten umgesetzt werden. Bis dato wurde das Waffenarsenal des Iraks
kontrolliert und teilweise zerstört. Die Forderung, die UNO-Inspektoren ins
Land zu schicken, ist in der Tat lebensnotwendig, um jedoch nicht wie bisher Rüstungskontrollen
durchzuführen, sondern vor allem um auf die Achtung der Menschenrechte (politische,
soziale, ökonomische, gesundheitliche etc.) zu drängen, die ökologischen
Zerstörungen (nicht nur seitens des Regimes, sondern auch durch die dauernden
Bombardierungen der USA und Großbritanniens, die durch die Luftangriffe
auf Waffendepots, möglicherweise auch durch den Einsatz uns nicht bekannter
Waffengattungen, unkontrollierte ökologische Katastrophen verursachen) zu
stoppen und nicht zuletzt Rechts- und Kriegsverbrecher vor dem internationalen
Gericht zur Rechenschaft zu ziehen. Diese, in der Resolution festgelegten Forderungen
müssen von der USA als wichtigste, die Demokratisierung des Landes im „Vor-Feld“
stützende Maßnahmen durchgesetzt werden.
Zweitens, da das Baath-Regime stets die Palästinafrage aus propagandistischen
Zwecken an die Irakfrage knüpft, müssen spürbare und zukunftsweisende
Schritte im Friedensprozess von der USA erzwungen werden, damit dem Baath-Regime
der propagandistische Wind aus den Segeln genommen wird, d.h., einige seiner ideologischen
„Schützengräben“ ein für allemal dicht gemacht werden.
Drittens, und dies ist am allerwichtigsten, muss das Embargo gegen den Irak aufgehoben
werden bei gleichzeitiger Kontrolle der Rüstungsmärkte/Exporte, deren
Heimat bekanntlich in den Metropolen liegt. Die Aufhebung des Embargos würde
nicht nur der Mehrheit der irakischen Bevölkerung zu Gute kommen, sondern
vor allem ist es von strategischer Bedeutung, weil so die durch das Embargo wachsende
soziale Basis des Regimes und mit ihm die Kriegsgewinnler geschwächt werden
können, was neue Räume und politische Weichenstellungen für oppositionelle
Kräfte ermöglichen würde.
Dadurch käme ein Krieg für „Demokratie“ im Irak tatsächlich
einer „Revolution“ gleich insofern, als er dann von breiteren Klassen
und Schichten der irakischen Bevölkerung getragen wird und er (der Krieg)
als ihr eigenes historisches Ereignis veranstaltet wird.
Ein amerikanischer Krieg für Demokratie und gegen den Terror wäre dann
so überflüssig wie perfide.
Es ist sehr wohl verständlich und nachvollziehbar, dass Teile der irakischen
Opposition das Baath-Regime mit Hilfe des amerikanischen Kriegs stürzen wollen,
da sie aufgrund strategischer, ideologischer, logistischer, finanzieller etc.
Gründe allein nicht in der Lage sind, dies zu vollbringen. Dies und die dahinter
stehenden, legitimen Interessen unterscheidet ihre Position von der einiger antideutschen
Linken, die am liebsten einen Krieg der verbrannten Erde im ganzen arabischen
wie vorderasiatischen Raum hätten, setzen sie diesen Raum und seine Menschen
doch mit Terror gleich: Benchmarking eines arabo-islamischen Spezies als der Terrorist
par excellence.
Bis jetzt hören wir jedoch viel Gerede von einem „Regimewechsel“
– was für die Bush-Administration eher eine personelle, putschartig-chirurgische
Veränderung bedeutet als eine strukturelle Verschiebung des politischen Regimes,
was wiederum die demokratische These ad absurdem führt -, erleben wir doch
provokative und ordnungspolitische Floskeln dagegen, die eher an den Reaganismus
der 80er Jahre erinnern als einen „neuen demokratischen Geist“ erkennen
zu lassen.
Zu befürchten – und dies zeigen die Erfahrungen in Ex-Jugoslawien,
in Afghanistan, in einigen afrikanischen Ländern etc. – ist, dass es
der USA doch um ihre „nationalen“ Interessen geht und dass dies am
besten zu gewährleisten wäre in einem schwachen, dezentralisierten und
in drei Zonen (analog zu den sogenannten „Schutzzonen“) zerfallenen
Irak. Dies käme einem Bürgerkrieg um Macht und Einflusszonen rivalisierender
oppositionellen Kräfte gleich, was die militärische Präsenz der
USA „vor Ort“ notwendig macht.
Und dies genau könnte das amerikanische Ziel sein, d.h. die Kontrolle über
ökonomische und geostrategische „Stützpunkte“ innezuhaben
und weniger das sogenannte „nation-building“ – eine Metapher,
die Reminiszenzen der alten kolonialen Politik der Treuhand und des Protektorats
hervorruft, die jedoch angesichts der Kriegserfahrungen der letzten Jahre und
angesichts der hier vertretenen Befürchtungen eine ethnisch-territoriale
Segementierung vorahnen lässt und letztere als Traditionalisierung im Sinne
von Vorwegnahme innerer Dynamik der Entwicklung des Landes zementiert –
und territoriale Integrität des Landes, was wiederum eine Veränderung
des Gleichgewichts im regionalen Kräfteverhältnis und damit weitere
Instabilität bedeutet, was die amerikanische Militärpräsenz auf
Dauer erforderlich macht und die Region geradewegs in einen nie da gewesenen Rüstungswettlauf
treibt.
Dies, und nicht die unbegründeten Hoffnungen scheint mir von der Sicht der
USA rationaler und somit wahrscheinlicher zu sein als ein „demokratischer“
Krieg.
Bis jetzt sind ungeachtet all des Geredes von der Diktatur und dem Schlächter
von Bagdad und dem plötzlich entdeckten großen Herz des Präsidenten
Bushs für die irakische Bevölkerung nicht einmal Teile der irakischen
Opposition, die der USA und Großbritannien sehr nahe stehen (INC), von diesen
Staaten ernst genommen worden. Diesen Staaten ist von Anfang an ein interner Putsch
im Irak lieber gewesen, als auf wehr-lose Exil-Demokraten zu setzen.
Indessen lassen weder die historischen Erfahrungen in dieser Region, noch die
aktuellen politischen, militärischen und diplomatischen Provokationen, Konturen
jenes optimistisch- demokratischen Szenarios erkennen.
Statt also auf Godot zu warten, ist es angemessener, zugegeben ein schwieriges,
aber im Vergleich zum Krieg ein zu bewältigendes und politisch-moralisch
würdiges Tun, dass die irakische Opposition sich selbst demokratisiert, d.h.
strategisch ihre politischen Streitigkeiten und ideologischen Grabenkämpfe
ablegt und sich den Sturz des Regimes als oberstes Ziel setzt, auf eine Revolution
im Lande hinarbeitet, statt auf eine importierte und der Bevölkerung durch
einen imperialen Krieg auf den Leib gebombte Demokratie zu hoffen und zu warten.
Und wenn dies, d.h. die interne Demokratisierung der irakischen Opposition, aufgrund
all jener, meist hausgemachter Aporien nicht möglich wäre, so frage
ich mich, wie soll es dann mit einem Krieg möglich sein?
Anders ausgedrückt: Ob nicht die USA dies genau wissen und darauf bauen,
dass es sowohl zur Schwächung der Opposition als auch des Landes kommt, wodurch
ihre militärische und politische Anwesenheit eine Situation in Permanenz
wird?
Ich mag mich ja irren, und dies ist wahrscheinlicher als umgekehrt, und ich lasse
mich gern eines Besseren belehren, aber eine Demokratie, die kontrafaktisch, mit
großen Wörtern und viel Grammatik (Ken Saro-Wiwa, Sozaboy) virtuell
inszeniert wird, ist wenig überzeugend: Nicht „aus freien Stücken
..., sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten
Umständen“ (Marx) wird Geschichte gemacht. Und diese lasse ich mir
gern erzählen.
Fußnoten:
- Interessant ist, dass die gleiche Administration, die hoch
aufrüsten will, wenn nötig mit aller Gewalt, die Abrüstung gegnerischer
Staaten fordert. Worauf läuft das hinaus? Auf einen „Sonderweg“
der USA? Oder einen Standortsvorteil in der Konkurrenz der Verbündeten? Oder
..., was auch immer. [back]
- Es ist keineswegs so, wie die Kriegsanhänger behaupten,
dass das Land nur durch einen amerikanischen Krieg zu demokratisieren wäre,
weil in den arabischen Staaten keine Demokratie möglich sei. Denn bis in
die 50er Jahre gab es ein liberal-parlamentarisches Regime mit Mehrparteiensystem.
Erst mit der Revolution entstand das Einparteien-Regime. In vielen anderen arabischen
Staaten war dies ganz ähnlich. Die Existenzbedingungen dieser Regimeformen
müssen u.a. unter der damaligen bipolarisierten Welt gesehen werden. [back]
- Der Irak versucht in diesem Sinne, dem Iran und auch Syrien
zu vermitteln, dass bei einem Sturz des irakischen Regimes auch der Iran und Syrien
an der Reihe seien. Das wären die nächsten Gegner der USA, wenn es nach
der sogenannten „Achse des Bösen“ geht. Der Irak versucht also
zu vermitteln, dass das Überleben des Irans und Syriens vom Überleben
des irakischen Regimes abhinge. [back]
- Die Idee einer Demokratisierung der Region unter der Vorhut
der USA, wie mittlerweile von diversen Seiten konstruiert wird, widerspricht nicht
nur der Spezifität der bestehenden Machtverhältnisse dort, sondern blendet
und grenzt vor allem all das aus, was sich hinter, während und nach einem
amerikanischen Krieg gegen den Irak entwickelt, ja, in dem die Konstrukteure ein
rosig-demokratisches Bild medial in die Welt projizieren, wirken sie zensierend.
Insofern strahlt diese Praxis so viel an Demokratie aus, wie die Berichterstattung
des amerikanischen und russischen Militärs. Die Missachtung all der historischen
Erfahrungen und der gegebenen Machtverhältnisse kann nur auf der Basis eines
angenommenen, radikalen Bruchs zwischen Kolonialismus, Imperialismus und einer
neuen Ära (Empire?) vertreten werden, in der die Welt außerhalb des
atlantischen Raums in ein grenzenloses Niemandsland zerfällt. Die politischen
Verhältnisse in dieser Welt werden in innenpolitische Angelegenheiten metropolitaner,
starker Staaten aufgehoben. Letztere sollen wider Willen als Gladiatoren für
Demokratie und Menschenrechte fungieren: Ein Ultra-Liberalismus, der die Erwartungen,
Hoffnungen und Fragen des anderen Lebens der Menschheit dort für langweilige
Details, für ein falsches Bewusstsein hält. Ob die Menschen im Irak
sich den Krieg wünschen oder ob sie nach zwanzig Jahren anhaltenden Kriegszustands
andere Forderungen stellen, sich andere Ziele setzen und diese mit anderen Mitteln
erreichen wollen etc., wird gern überhört, wissen diese Menschen doch
nicht, was sie tun und wollen. [back]
- Der Terrorangriff vom 11.9. scheint seinem Ziel ein Stück
näher gekommen zu sein: nicht nur unter den metropolitanen politischen Klassen,
sondern auch von Seiten einiger ihrer Kritiker werden Gewalt und Krieg als Mittel
der Politik wieder salonfähig. Die Bahamas und in Ansätzen die Jungle
World stellen, zugegeben, eine extrem karikierte Position dar. Jedoch selbst die
Argumente einer humanitären Organisation wie Wadi, die hervorragende Arbeit
in und zu Irak geleistet hat, reihen sich ein unter die der Kriegstreiber, ja
fungieren in ihrer normativen und moralischen Form als Rechtfertigung imperialer
Kriege. Thomas v. der Osten-Sacken verliert hundert Worte über den „linken“
Antiimperialismus (vgl. ders, in: www.wadinet.de), unter den er die Bewegung der
Globalisierungskritiker subsumiert und diese kurzerhand in die Nähe faschistischer
Schlächter rückt (vgl. ders.: Vicios circles closing in, Interview in:
Haaretz, Fr. 4. Oktober 2002), scheint doch nach dieser Logik der Imperialismus
nicht nur ein Hirngespinst linker Verschwörungstheoretiker zu sein, schlimmer
noch wirkt er (der Imperialismus) unter den Händen von der Osten-Sackens
emanzipativ im Sinne von „Verteidigung der Westlichen Welt“ (vgl.
ebd.). [back]
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