|
|
|
|
Iran-Uran-Krieg?
Bombendrohungen aus dem Glashaus
Claudia Haydt Informationsstelle
Militarisierung 12. April
2006
Es steht viel auf dem Spiel beim Iran-Uran-Konflikt. Es geht dabei nicht nur
um die „zivile“ oder militärische Nutzung von Atomtechnologie,
nein, der Konflikt ist angereichert mit vielen Komponenten. Globale und regionale
Machtpolitiken spielen dabei ebenso eine wichtige Rolle, wie Sicherheitsfragen,
die je nach Akteur verschieden definiert werden; die immer bedeutender werdende
Problematik der Energiesicherheit trägt zur Konfliktkonstellation genauso
bei wie die Frage der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation),
es geht um Wirtschaftspolitik, Währungsstabilität und Forschungspolitik
und nicht zuletzt um persönlich/politische Ambitionen. Vor allem aber dreht
sich der Konflikt um die Durchsetzung westlicher Ordnungsvorstellungen, die ohne
Rücksicht auf geltendes Recht eine hierarchische Weltordnung zementieren
sollen.
Wenn Sanktionen oder sogar Militärschläge als „Ultima Ratio“ durchgeführt
werden sollten, dann wird dies zuallererst die iranische Bevölkerung zu
spüren bekommen. Dass angedrohte Militärschläge umgesetzt werden
können und in der Logik der Mächtigen auch müssen, das haben nicht
nur Rambouillet und der Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien gezeigt. Dass Krieg
das denkbar untauglichste Mittel zum „Export“ von Demokratie und
Rechtstaatlichkeit ist, das verdeutlicht tagtäglich – nicht nur – das
irakische Beispiel. Dennoch scheint das Iran-Quartett (USA plus EU-3), wider
alle Vernunft und unter etwas anderen Vorzeichen als im Irak, am Drehbuch für
eine neue kriegerische Eskalation zu schreiben. Jenseits eines meist heuchlerischen
und instrumentellen Menschenrechtsdiskurses spielen die betroffenen Menschen
in der Region jedoch kaum eine Rolle. Unabhängig davon, ob ein UN-Kompromiss
kurzfristig für Entspannung sorgt, die tatsächliche Problematik des
globalen Umgangs mit Energieressourcen und Atomtechnologie bleibt ausgeklammert.
EU-3: Erpressen statt verhandeln
Der Iran-Konflikt eskaliert im Kontext einer globalen Renaissance der „zivilen“ Atomenergie
und des Wiederauflebens nuklearer Optionen in den Kriegsplänen der westlichen
Welt. Die Höhe des Haushaltsansatzes für Atomforschung wurde im 7.
Forschungsrahmenplan der EU auf 3,1 Milliarden Euro verdoppelt. Die Entwicklung
von „Mininukes“ als Bunkerbuster in den USA oder in Frankreich sind
hier genauso zu nennen wie die zugehörigen staatlichen Strategiepapiere:
die Nuclear Posture Review aus Washington oder das European Defence Paper – der
Entwurf eines zukünftigen Weißbuchs für die Entwicklung der Militärpolitik
der Europäischen Union. Neben den dort mehr oder weniger ausführlich
erwogenen Einsätzen atomarer Waffen stehen auch die offen angedrohten Nuklearschläge
seitens zahlreicher US-Politiker, aber auch die Jacques Chiracs, dessen skandalöse
Aussage von der deutschen Kanzlerin Merkel verständnisvoll verteidigt wurde,
da es ja um eine, angesichts der Umstände, notwendige Abschreckung ginge.
Einer der wesentlichen Unterschiede zum Irak-Countdown ist die neue Rolle der
EU, konkret der drei Hauptakteure Deutschland, Frankreich und Großbritannien
(EU-3). Durch ihre sogenannten Vermittlungsversuche im letzten Jahr haben sie
maßgeblich zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. Sie sind mit „großzügigen“ Angeboten
und „Kompromissen“ in die Verhandlungen mit iranischen Vertretern
gezogen, die faktisch eine bedingungslose Unterwerfung unter europäischen
Goodwill bedeutet hätte.
So wurde vom Iran verlangt, für alle Zeiten auf die Kündigung des Nuklearen
Nichtverbreitungsvertrags (NVV) zu verzichten, der jedoch genau dieses Rücktrittsrecht
in Artikel 10 allen Vertragsparteien mit dreimonatiger Frist zusichert. Der Iran
hätte zudem auf beinahe alles, mit Ausnahme des reinen Betreibens von Leichtwasserreaktoren,
insbesondere auf die Anreicherung von Uran, verzichten müssen. Was aber
im Gegenzug angeboten wurde, war lediglich eine „Sicherheitsgarantie“,
die die realen Bedrohungen Irans nicht berücksichtigt. Denn die EU-3 versprachen
lediglich, den Iran nicht mit französischen und/oder britischen Atomwaffen
anzugreifen – eine Nichtangriffsgarantie mit konventionellen Waffen
wurde nicht gegeben. Aber vor allem gab es keine Garantie, dass US-amerikanische
oder israelische (Atom)Waffen nicht gegen den Iran zum Einsatz kämen, was
aufgrund der regionalen Machtverhältnisse die wahrscheinlichere Bedrohung
ist. Die Versprechungen, den Iran mit atomarer Technologie und vor allem Brennelementen
zu versorgen, waren so wage, dass sie kaum als ernsthaftes Angebot interpretiert
werden konnten. Zudem ist der Zugang zu Atomtechnologie entsprechend des NVV
(am deutlichsten in Artikel IV) ohnehin verbrieftes Recht eines jeden Mitgliedsstaates.
Verhandlungen, die Erfolg haben wollen, versuchen ein plausibles Verhältnis
zwischen Forderungen und Gegenangeboten herzustellen; wenn dies nicht der Fall
ist, nennt man das üblicherweise Erpressung. Dass die iranischen Unterhändler
dem nicht zustimmen wollten verwundert deswegen nicht. Verhandlungen sind ebenfalls
abhängig von der Glaubwürdigkeit der Partner. Sowohl Frankreich und
Großbritannien besitzen Atomwaffen und haben diese Arsenale trotz entsprechender
Vorgaben im NVV (Artikel VI und Präambel) bis heute nicht abgerüstet.
Ganz im Gegenteil, durch neue Generationen von Atomwaffen und Trägersystemen
hat faktisch eine „vertikale Proliferation“ stattgefunden – ein
Verstoß gegen den NVV (zu den genauen Regelungen des NVV siehe unten).
Deutschland, Frankreich und Großbritannien präsentieren sich gerne
als neutrale Vermittler. In Deutschland findet jedoch im industriellen Maßstab
Uran-Anreicherung statt, also genau das, was dem Iran verweigert werden soll.
Die Anlage des deutsch-britisch-niederländischen URENCO-Konsortiums in Gronau
an der deutsch-niederländischen Grenze wurde sogar jüngst ausgebaut
und eine weitere Expansion ist geplant (der deutsche Anteil ist 33 Prozent, er
gehört je zur Hälfte RWE und E.ON). Das alles findet statt trotz vorgeblichem
Atomausstieg. In der Anlage ließe sich genauso einfach wie im iranischen
Natanz durch eine Erhöhung der Anreicherungsdurchläufe hoch waffenfähiges
Uran produzieren. Im Forschungsreaktor in Garching wird mit hochangereichertem
waffenfähigem Uran gearbeitet. Etwas, was Iran zwar unterstellt wird, aber
bis jetzt trotz umfangreicher Kontrollen nicht nachgewiesen werden konnte.
Die EU-3 sind als Prediger atomarer Abstinenz nicht wirklich überzeugend,
als glaubwürdige Garanten für Brennstofflieferung leider auch nicht.
Bereits 1974 hatte sich der Iran mit einer Milliarde Dollar in das französische
Anreicherungskonsortium EURODIF eingekauft und bis heute weder ein Gramm angereichertes
Uran (ursprünglich für medizinische Zwecke gedacht) erhalten, noch
die Investitionen erstattet bekommen. Hieraus erklärt sich auch die iranische
Skepsis, angereichertes Uran aus Russland zu beziehen, da es keinerlei Garantie
gibt, dass sich so etwas unter westlichem Druck auf Moskau nicht wiederholt.
In einem Interview erklärte der iranische Verhandlungsführer Ali Larijani: „Der
Baustopp des Bushehr Reaktors durch Siemens aus Deutschland, die Weigerung der
Französischen EURODIEF Uran zu liefern und die Unterlassung der Vereinigten
Staaten ihre Verpflichten einzuhalten, Uran für den Teheraner Forschungsreaktor
zu liefern ... Dies sind einige der Gründe, die unser Mistrauen dem
Westen gegenüber verursacht und uns ermutigt haben, unser eigenes friedliches
Nuklearprogramm zu vervollständigen. Wenn ein glaubwürdiges internationales
System für die Versorgung mit nuklearen Brennstoffen zur Verfügung
stünde, dann wäre die islamische Republik Iran bereit, ihre nuklearen
Brennstoffe aus diesem System zu beziehen. Ein solches System existiert zurzeit
jedoch nicht.“ [1]
Vor dem Hintergrund dessen, dass der Iran ein großes und drängendes
Energieproblem hat, ist es nachvollziehbar, wenn iranische Vertreter sich nicht
völlig abhängig von externen Brennstofflieferungen oder eben auch möglichen
Brennstoffembargos machen wollen. Diese Argumentation trifft auf breite Zustimmung
innerhalb der iranischen Bevölkerung, was nicht zuletzt in den zahlreichen
und weitgehend unzensierten iranischen Weblogs gut nachvollzogen werden kann.
Gerade weil Atomenergie ein fataler Irrweg ist, sollten die Gegenargumente seriös
auf das im Folgenden erläuterte iranische Energiedilemma eingehen.
Das iranische Energieproblem
Die meisten Menschen im Iran verstehen sich selbstbewusst als Bürger eines
Landes mit großer historischer Bedeutung. Große Teile der im regionalen
Vergleich relativ gut ausgebildeten iranischen Bevölkerung sehen in einer
technischen Entwicklung des Landes sowohl die Chance, die momentane ökonomische
Krise zu überwinden als auch an „alte Größe“ anzuknüpfen.
Fatalerweise verknüpfen viele die High-Tech Euphorie mit der Entwicklung
der Atomtechnik, die allgemein als Spitzentechnologie gilt. Ein Irrtum, der leider
nicht nur im Iran zu finden ist, dem allerdings auch ein reales Problem zugrunde
liegt. Fast die gesamte iranische Gasproduktion sowie dreiachtel des geförderten Öls
wird im Land selbst verbraucht, täglich werden 1,4 Million Barrel Öl
im Land verbraucht und 2,5 Million Barrel exportiert. [2]
Bei stark wachsender Bevölkerungszahl ist in Zukunft mit einer steigenden
Energienachfrage zu rechnen, während aber zugleich möglichst viele
Rohstoffe exportiert werden sollen, um möglichst lange Devisen einzubringen.
20 Prozent der Energie wird über Wasserkraft produziert und der Rest soll
nun möglichst vollständig mit AKWs abgedeckt werden.
Der erste kommerzielle Reaktor soll bereits in diesem Jahr in Bushehr ans Netz
gehen, Milliardenverträge über den Bau weiterer Kraftwerke sind mit
den russischen Partnern bereits vereinbart. Da der Iran über eigene Uranvorkommen
verfügt und der Nichtverbreitungsvertrag (NVV) zivile Urananreicherung nicht
verbietet, erscheint es der Bevölkerung plausibel, wenn der iranische Präsident
Machmud Ahmandinejad auf dem „Recht“ besteht, den vollen Nuklearkreislauf
zu entwickeln, denn „... im Protest gegen die Behinderung der nationalen
Forschungsautonomie weiß er die gesamte Bevölkerung hinter sich.“ (NZZ,
13. März 2006) Dabei geht es neben Forschungsautonomie, wie bereits erwähnt,
vor allem um Energieautonomie, denn ohne gesicherten Zugang zu angereichertem
Uran wären die geplanten AKWs im Krisenfall nicht in der Lage, die benötigte
Energie zu produzieren. Um Erpressbarkeit und Abhängigkeit von anderen Staaten
möglichst gar nicht entstehen zu lassen ist es „logisch“, Brennelemente
in eigenen Produktionsstätten aufzubereiten, insbesondere solange von westlicher
Seite plausible Nichtangriffsgarantien ausbleiben.
Nicht nur ich bin der Meinung, dass Atomenergie kein Zukunftsmodell ist, weder ökologisch
noch ökonomisch. Doch alle guten Argumente werden durch das Agieren der
westlichen Staaten diskreditiert. Zum Jahrestag der islamischen Revolution im
Iran erklärte Ahmadinejad am 12. Februar 2006: „Sie sagen uns, ihr
braucht keine Atomenergie. Und wir sagen ihnen, wenn die Atomenergie schlecht
ist, stellt sich die Frage, warum ihr sie für euch verwendet. Euer Ziel
ist, dass Iran rückständig bleibt.“ [3]
Ohne globale Initiativen für alternative Energiequellen, eine westliche
Führungsrolle beim Ausstieg aus der Atomenergie und auch generell der Senkung
des Energieverbrauchs wird das Problem nicht zu lösen sein, da es eben kein
iranisches, sondern ein globales ist. Wenn nur eine iranische Sonderlösung
erzwungen wird, dann liegt der Verdacht nahe, dass es um vorgeschobene Argumente
geht, hinter denen sich geopolitische und ökonomische Interessen verbergen;
konkret der Zugang zu Rohstoffen und auch die Art der Vermarktung der Rohstoffe.
Öl und Währung
Schon im iranischen Entwicklungsplan 2000 bis 2005 wurde angekündigt, zukünftig
das Öl nicht mehr nur über Dollar abrechnen zu wollen, sondern auch über
Euro und zu diesem Zweck einen eigenen Handelsplatz, die Iranian Oil Bourse (IOB),
einzurichten. Die IOB sollte am 20. März 2006 die Pforten in der Freihandelszone
auf der Insel Kish öffnen und allen interessierten Käufern und Verkäufern
offen stehen. Sowohl China und Indien haben bereits Interesse bekundet, dort
zukünftig ihr Öl einzukaufen. Potentielle Verkäufer wären
etwa Venezuela oder auch Russland, das schon seit längerer Zeit laut darüber
nachdenkt, sein Öl in Euro abzurechnen. Obwohl der geplante Termin für
die Eröffnung der Börse zwischenzeitlich ereignislos verstrichen ist,
gehen doch viele Beobachter davon aus, dass mit der Eröffnung der IOB in
den nächsten Monaten zu rechnen ist. Die Turbulenzen der Regierungsbildung
nach Ahmadinejads Wahl haben dafür gesorgt, dass relevante Positionen, wie
etwa das Ölministerium, bis zu einem halben Jahr unbesetzt blieben, was
zu entsprechenden Verzögerungen bei der Umsetzung der IOB-Päne führte.
Ob nun schon im April die Pforten öffnen – wie iranische Regierungskreise
erklären, oder später, ein rein technisches Scheitern des Projekts
scheint zurzeit nicht wahrscheinlich. Zu den Beratern gehörte auch Chris
Cook, der ehemalige Direktor der International Petroleum Exchange (IPE) in London.
Die IPE ist neben dem New Yorker NYMEX bis jetzt der wesentliche Handelsplatz
für Öl und Gas und beide basieren auf dem Dollar. Einige Experten
sehen in dieser Gefahr für den Dollar als Weltleitwährung die Hauptmotivation
für die US-amerikanischen Kriegspläne gegen Teheran. [4]
Welche Auswirkung die Einführung des „Petroeuros“ als Konkurrenz
zum „Petrodollar“ auf die Weltwirtschaft und besonders auf die Dollarstabilität
haben wird, das wird nach langem Schweigen nun seit Mitte März auch in den
Mainstreammedien diskutiert. Nachdem das Leistungsbilanzdefizit der USA 2005
auf über 800 Milliarden Dollar gestiegen ist, stellt sich die drängende
Frage, wie lange dies noch, wie in den letzten Jahren, durch ausländische
Investitionen, Anleihen oder Aktienkäufe aufgefangen wird. Der Hauptvorteil
für Anleger war bis jetzt die hohe Rendite bei Dollar-Anleihen. Vergleichbares
wird es im Euro-Raum nach momentan geltender EZB-Politik erst einmal nicht geben.
Deswegen gehen einige Beobachter davon aus, dass die IOB keine gravierenden Auswirkungen
haben wird. Doch der Streit darüber, wie sich die IOB längerfristig
auf das Währungsgefüge auswirken könnte, scheint gerade erst zu
beginnen. In einem internationalen Finanzmarkt, in dem „Stimmungen“ auf
der Börse manchmal wichtiger sind als reale Wirtschaftsdaten kann es sein,
dass die IOB allein als Signal bereits Wirkung entfalten kann und nach Einschätzung
von Wirtschaftsexperten ist „...die Finanzierung der Ertragsbilanzlücke
der USA ein heikle Angelegenheit. Und jedes Anzeichen, dass der Kapitalimport
dazu nicht mehr ausreicht, könnte den Dollarkurs stark unter Druck setzen.“ (NZZ,
20. März 2006)
An einem – drastischen – Verfall des Dollars und entsprechender
Aufwertung des Euro hat auch die auf dem Euro basierende Exportwirtschaft, also
besonders die deutsche, keinerlei Interesse. Was durchaus ein Grund für
die auffällige Einigkeit im Kurs von EU-3 und USA sein könnte. Diese Überlegungen
zur Währungsstabilität reichen als alleiniger Kriegsgrund sicher nicht
aus, dürften aber in der Gesamtabwägung möglicherweise doch eine
gewichtige Rolle spielen.
Iranische Ostorientierung
Im Rahmen der Neuaushandlung globaler Macht- und Marktpositionen spielt der Zugang
zu Rohstoffen eine zentrale Rolle. Welches Gewicht zukünftig die USA, die
EU, Russland, China oder auch Indien spielen, das ist nicht völlig unabhängig
von der Entwicklung im Iran. Seine geographische Lage zwischen persischem Golf
und Kaspischem Meer und den dort jeweils vorhandenen Öl- und Gasreserven
machen die Frage, wer im Iran die Macht hat, zu einem geostrategisch brisanten
Thema. Im Verhältnis zum Irak birgt der Iran eine noch größere
Gefahr für die regionale Umsetzung US-amerikanischer aber auch EUropäischer
Interessen. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu den EU-Staaten, besonders zu
Deutschland, verzeichneten in den letzten Jahren zweistellige Zuwachsraten. Wesentlich
rasanter wächst jedoch der wirtschaftliche Austausch Richtung Osten. Mit
seinem östlichen Nachbarn Pakistan und dessen Nachbarn Indien hat Iran ein
umfangreiches, sieben Milliarden Dollar schweres Abkommen über die Erstellung
einer Gaspipeline abgeschlossen. Pakistan und Indien stehen seither unter massivem
Druck der US-Regierung, dieses Projekt wieder aufzugeben. Die Indisch-US-amerikanische
Kooperationsvereinbarung, die faktisch eine Anerkennung von Indien als Atommacht
bedeutet, kann auch unter dem Gesichtspunkt verstanden werden, Indien Energiesicherheit
ohne Rückgriff auf iranische Ressourcen zu ermöglichen. Japans Ölversorgung
wird zu zirka 16 Prozent aus iranischen Quellen gespeist. Das japanische Unternehmen
Inpex Corp. schloss mit Iran einen Vertrag über 75 Prozent der Erschließungsrechte
des Ölfelds von Asedegan, in dem Vorkommen von 26 Milliarden Barrel vermutet
werden.
Noch stärker ist China ökonomisch im Iran präsent, der mit einem
Anteil von 14 Prozent Pekings zweitgrößter Öllieferant ist. Die
chinesische Sinopec Group wird das iranische Yadavarn-Ölfeld erschließen.
Dieses Geschäft im Umfang von 70 Milliarden Dollar sichert China 25 Jahre
lang Lieferungen von iranischem Flüssiggas. Für die Ausbeutung der
Vorkommen von Öl im Kaspischen Meer wird ebenfalls eine Kooperation angestrebt.
Chinas Wirtschaft profitiert zudem von hunderten von Aufträgen im Iran wie
etwa von der Erstellung eines unterirdischen Schienennetzes in Teheran, das einen
Teil der Teheraner Verkehrsprobleme lösen soll. Die Kooperation mit Russland
bezieht sich schwerpunktmäßig auf das iranische Atomprogramm und auf
Rüstungsgüter wie die Bodenluftraketen Tor M-1, die für zirka
700 Millionen in Russland erworben wurden. Es ist eine logische Konsequenz dieser
Kooperationen, dass iranische Vertreter mit Beobachterstatus bei der Shanghai
Cooperation Organization (SCO) vertreten sind. Die SCO, als Zusammenschluss von
China und Russland mit vier zentralasiatischen Staaten, versteht sich als sicherheitspolitisches
Bündnis, mit dem langfristigen Ziel einer gemeinsamen Außen- und Wirtschaftspolitik
(eventuell mit Freihandelszone).
Die ökonomische und sicherheitspolitische Ostorientierung erzeugt auch bei
traditionellen iranischen Handelspartnern wie der deutschen Regierung eine gewisse
Besorgnis. Schon allein deswegen, weil die Wachstumsraten im ökonomischen
Austausch zwischen dem Iran und der EU bei einer stärkeren Westorientierung
Teherans wesentlich höher sein könnten. Das „großzügige
Angebot“ der EU-3 im Sommer letzten Jahres kann auch als (gescheiterter)
Versuch gesehen werden, den Iran mit einem Knebelvertrag stärker Richtung
Westen zu orientieren. Dass deutsche Vertreter trotz (noch) guter Wirtschaftsbeziehungen
in den Iran sowohl Embargos erwägen als auch ganz konkret bereits die Hermeskredite
für Geschäfte mit dem Iran zurückfahren [5]
macht deutlich, dass derzeit ein Paradigmenwechsel in der deutschen Iran-Außenpolitik
stattfindet.
Die Kriegspläne liegen auf dem Tisch
Der angedrohte Krieg gegen den Iran wird von manchen für unrealistisch gehalten,
da besonders die US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan bereits bis
an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit eingebunden sind. Mit einem Bodenkrieg
einschließlich Einmarsch, Sturz des herrschenden Regimes und Auswechseln
der Machthaber ist vorläufig tatsächlich nicht zu rechnen. Die US-amerikanischen
und in letzter Konsequenz wohl auch die Pläne der EU-3 gehen von einem Luftkrieg
aus, dessen Ziel vorrangig die Zerstörung der atomtechnischen Einrichtungen
und der Trägersysteme für mögliche Atombomben sein dürften.
Doch auch ein solches begrenztes Szenario hätte gravierende Auswirkungen
für die Menschen im Iran und kann mittelfristig zu einer weiteren Destabilisierung
der gesamten Region führen. Die Oxford Research Group (ORG) hat im Februar
2006 in einer Studie [6]
darauf aufmerksam gemacht, dass ein Luftkrieg bereits in einer ersten Welle zu
Tausenden von Toten führen könnte. Die mittelfristigen Folgen seien
abhängig davon, wie viel Radioaktivität bei den Bombardements freigesetzt
und wie sich in der Folge das regionale politische Kräfteverhältnis
verschieben würde. Wenn etwa der Reaktor in Bushehr bei einem Angriff bereits
in Betrieb ist, und so eine unkontrollierte Kettenreaktion ausgelöst würde,
dann wäre die gesamte Region um den persischen Golf bis nach Kuwait betroffen.
Die Liste der möglichen Ziele für Luftangriffe auf den Iran ist lang:
Sie reicht vom Forschungsreaktor, radioisotopischen Produktionsstätten und
Forschungslaboratorien in Teheran und Umgebung über das Nukleartechnologiezentrum
in Isfahan, dem nahezu fertiggestellten 1000-Megawatt Leichtwasserreaktor in
Bushehr, bis hin zum entstehenden Schwerwasserreaktor in Arak und zu den Anreicherungsanlagen
in Natanz. Insgesamt geht man von zirka 40 Anlagen und damit entsprechend vielen
potentiellen Zielen aus. Paul Rogers (ORG) geht davon aus, dass das Ziel nicht
nur die Zerstörung der nuklear relevanten Anlagen, sondern auch die des
zugehörigen Wissens sei. Die Angriffe würden deswegen weitgehend simultan
stattfinden, wegen des Überraschungseffekts und auch, um möglichst
viel technisch kompetente Mitarbeiter zu töten. Zu diesem Kalkül gehöre
es auch, ausländische Mitarbeiter zu treffen, nicht zuletzt zum Zweck der
Abschreckung zukünftiger Kooperation von Experten mit der iranischen Regierung.
Um das Risiko für amerikanische Flugzeugbesatzungen (Tod oder Gefangennahme)
zu verringern würde parallel versucht werden, so Renner in seiner Studie,
wenigstens Teile des iranischen Verteidigungspotentials zu zerstören. Besonders
iranische Abfangjäger und iranische Radars seien hierbei das Ziel. Damit
wird die Liste der betroffenen Regionen noch länger, denn betroffen wären
Radareinrichtungen und Kommandozentralen des westlichen Kommandos und die Luftwaffenbasen
in Teheran, Täbris, Hamadan, Dezful, Umidiyeh, Shiraz und Isfahan; darüber
hinaus das südliche Kommando und die zugehörigen Luftwaffenbasen in
Bushehr, Bandar Abbas und Chah Bahar. Die erste Welle dieses Luftkrieges wäre
wahrscheinlich innerhalb von wenigen Stunden abgeschlossen und würde wohl
von weiteren Angriffen im Verlauf der nächsten Tage „ergänzt“.
Um mögliche Vergeltungsschläge auf Israel oder us-amerikanische Stützpunkte
zu verhindern, würden auch die iranischen Mittelstreckenraketen und zugehörige
Forschungs- und Produktionsstätten ins Fadenkreuz geraten. Da diese aber
zum Teil von mobilen Abschussbasen aus einsatzbereit sind, dürfte das nur
sehr unvollständig möglich sein, womit eine militärische „Lösung“ die
Gefahr für Angriffe auf Israel mittelfristig eher erhöht als verringert.
Die Frage danach, wann ein Krieg gegen den Iran beginnen könnte, muss leider
mit „jederzeit“ beantwortet werden. Ein Truppenaufmarsch ist nicht
nötig, da alles benötigte Kriegsgerät bereits in der Region vorhanden
ist. Die für Militärschläge zudem nötige Aufklärung
führen US-Militärs über Drohnen, elektronische Überwachung
und Satelliten bereits seit längerer Zeit durch. Möglicherweise auch
in diesem Fall mit tatkräftiger Unterstützung des BND, der traditionell
gute Verbindungen in der Region unterhält. Die militärische Infrastruktur
steht im wahrsten Sinne des Wortes „Gewehr bei Fuß“.
Mindestens ein Flugzeugträger mit Kampfflugzeugen steht im persischen Golf
bereit. Mehrere hundert Cruise Missiles und zahlreiche landgestützte Flugzeuge
(zum Beispiel B2-Bomber) können von den verschiedenen Basen in und außerhalb
der Region starten. Stealthbomber aus Fairford (GB) könnten in einer ersten
Angriffswelle die iranischen Radarstellungen ausschalten. Sowohl für diese
britischen Flüge, als auch für den Nachschub der US-amerikanischen
Truppen, stellt sich auch hier die Frage der Überfluggenehmigungen über
Deutschland.
Kurzfristige militärische Antworten des iranischen Militärs würden
vor allem die Öl- und Flüssiggastransporte durch die Straße von
Hormuz treffen. Am 31. März begannen iranische Streitkräfte mit einem
Manöver im persischen Golf, bei dem mit „Supertorpedos, ferngelenkten
Spähflugzeugen und Schnellbooten offensichtlich genau die Empfindlichkeit
der Erdölrouten vorgeführt werden sollte. Um die Route zu schützen,
könnte die Irankriegskoalition „präventiv“ die Raketenwerfer
der Küstenwache ebenso zerstören wie Irans kleine Kriegsflotte. Hauptbasis
ist wiederum Bushehr und die in Bandar Abbas liegende Kommandozentrale. Dort
befinden sich auch drei U-Boote. Es gibt außerdem weitere Stationierungsorte
von leichten Schnellbooten, die für den Tankerverkehr die größte
Gefahr darstellen könnten. Außerdem besteht die Möglichkeit,
dass die iranischen Revolutionsgarden im Irak mit befreundeten Milizen zusammen
US-amerikanische Stellungen angreifen könnten. Deswegen sind Angriffe auf
Landstreitkräfte und Garden besonders an der irakischen Grenze wahrscheinlich.
Die Folgen für die Menschen im Iran wären gravierend. Tausende toter
Soldaten, hunderte toter Zivilisten (oder mehr), zerstörte Infrastruktur
und verseuchte Regionen würden ein normales Leben in absehbarer Zeit unmöglich
machen und den Hass gegen den Westen so steigern, dass das heutige Regime gestärkt
und nicht geschwächt würde.
Folgen für die internationalen Beziehungen wären ebenfalls weitreichend.
Die iranische Regierung würde mit großer Wahrscheinlichkeit das Atomprogramm
sofort (wieder) aufnehmen sowie den NVV kündigen und damit alle heute noch
vorhandenen Kontrollmöglichkeiten unterbinden.
Dies würde die globalen Bemühungen zur Verhinderung von Proliferation
massiv zurückwerfen. Neben der regionalen Destabilisierung (Irak, Libanon ...)
ist völlig unklar, wie Russland oder China, eventuell auch Pakistan oder
Indien reagieren würden. Militärische „Lösungen“,
selbst sogenannte chirurgische Optionen, haben Konsequenzen, die sehr viel schwerwiegender
sind als die Probleme, die damit gelöst werden sollen. Militäraktionen
sollten deswegen in jedem Fall ausgeschlossen werden.
Machtfrage – regionale Vorherrschaft
Ein Perspektivenwechsel ist manchmal sehr hilfreich um Konfliktkonstellationen
zu verstehen. Der Iran erlebt sich als sicherheitspolitisch verletzlich – auch
ohne die oben ausgeführte direkte Kriegsoption. Er sieht sich umzingelt
von den Atommächten USA, Israel und Pakistan – plus Nato Atombomben
in Incirlik / Türkei. Besonders die massive US-amerikanische Militärinfrastruktur
mit 150 000 Soldaten im Irak und 20 000 Soldaten in Afghanistan mit
Basen teilweise dicht an den iranischen Grenzen wird als bedrohlich erlebt – und
das nicht nur von der Regierung. Dazu kommen Stützpunkte in Kuwait, Bahrain
und Katar sowie die 5. Flotte, die den persischen und arabischen Golf kontrolliert.
Die US-Regierung unterhält zudem weitere militärische Verbindungen,
Abkommen und Stützpunkte in Ländern nördlich und östlich
des Iran. US-Vertreter haben mehrfach erklärt, ein Ende des Teheraner Regimes
sei wünschenswert. Auch die israelische Armee ist hochgerüstet, mit
atomaren Erst- und Zweitschlagsoptionen. Mit F16-Bombern und Bunkerbustern, beide
aus US-amerikanischer Produktion und Raketen, abgeschossen von Dolphin U-Booten
Made in Germany, ist iranisches Territorium einfach zu erreichen. Die Angst in
der israelischen Bevölkerung vor einer iranischen Regierung, die bis heute
das Existenzrecht Israels nicht anerkannt hat und über Mittelstreckenraketen
verfügt, die Israel erreichen können, ist real und nachvollziehbar.
Umgekehrt sieht allerdings auch die iranische Bevölkerung das israelische
Atomarsenal als Bedrohung. Dass in beiden Ländern die Bedrohung in teure
Aufrüstungsprogramme kanalisiert wird, deren ökonomische Folgen die
ohnehin wachsende arme Bevölkerung trifft, ist eine fatale Entwicklung ohne
jedes Potential für eine wirkliche Lösung der Sicherheitsprobleme.
In dieser Lage scheint es für das Verhältnis Israel und Iran drei Alternativen
zu geben:
- Ein unkontrolliertes Wettrüsten, das sowohl Israel als auch den Iran
einem Kriegsrisiko näher bringt. Atomare Abschreckung in einem „Gleichgewicht
des Schreckens“ war auch in Zeiten der Blockkonfrontation kein Erfolgsmodell – auch
wenn es im Nachhinein gern so dargestellt wird. Zu real war die Gefahr totaler
Vernichtung durch den nuklearen Overkill.
- Eine militärische „Abrüstung“ des Irans im Rahmen des
oben beschriebenen Szenarios. Die Eskalationsgefahr ist allerdings schwer zu
kontrollieren, die Fronten werden dadurch noch unversöhnlicher. Spätestens
dann ist mit einem (heimlichen) Atomprogramm des Iran zu rechnen und die Sicherheitslage
für den gesamten Mittleren Osten wäre noch labiler als heute schon.
- Die Einleitung eines regionalen Abrüstungs- und Kooperationsprozesses,
eventuell nach dem Vorbild der KSZE/OSZE, mit dem Ziel eines massenvernichtungsmittelfreien
Mittleren Ostens. Alternativen zum Krieg brauchen Lösungen des iranischen
und des israelischen Sicherheitsdilemmas. Ein erster Schritt könnte die
Anerkennung Israels durch den Iran im Gegenzug zu einer atomaren Nichtangriffsgarantie
sein.
Keine der Möglichkeiten ist ohne Risiko, aber die ersten zwei Optionen führen
so konsequent in die Sackgasse, dass es keine Alternative zu einem Abrüstungsprozess
gibt.
Müssen wir uns an doppelte Standards gewöhnen? Nukleare
Apartheid?
Die Angst vor einem iranischen Atomprogramm ist begründet. Doch alle Gründe,
die gegen das iranische Atomprogramm sprechen, sprechen auch gegen die anderer
Länder. Anreicherungsanlagen und der Zugang zu entsprechenden Technologien
ermöglichen den Zugriff auf die Bombe, auch in Deutschland! Doch auch Plutonium,
das im „normalen“ Kraftwerksbetrieb anfällt, eröffnet die
Bombenoption – wenngleich technisch etwas aufwendiger. Auch die Risiken
der zivilen Nutzung sind unkalkulierbar. Doch selbst unter der Voraussetzung,
dass alle Risiken und Nebenwirkungen der „zivilen“ Nutzung von Atomkraft
technisch kontrollierbar wären (woran niemand ernsthaft glauben kann), setzt
eine gefahrlose Nutzung politische Stabilität über Tausende von Jahren
voraus und wenn diese je in irgendeiner utopischen Region möglich sein sollte,
dann ist es immer noch nötig, alle kriminelle Energie, die aus dem strahlenden
Material eine Gefahr für zahllose Menschen machen könnte, im Griff
zu halten. In letzter Konsequenz bedingt die Atomwirtschaft immer eine mehr oder
weniger massive staatliche Sicherheitspolitik und kann jederzeit als Argument
oder Vorwand für Repression benutzt werden.
Wer nun aber die Gefahren der Atomenergie allein im Iran bekämpft,, der
sorgt faktisch dafür, dass aus dem ohnehin schon asymmetrischen NVV-Vertrag
(Unterscheidung zwischen Atomwaffenstaaten und Nicht-Atomwaffenstaaten) ein nukleares
Apartheidsregime wird. Neben Staaten mit Atomwaffen, die ihre eigenen Abrüstungsverpflichtung
ignorieren, gibt es „zuverlässige“ Staaten, die anreichern dürfen
(und die Brennelemente verkaufen) und als unterste Stufe diejenigen, die lediglich
AKWs betreiben dürfen (und abhängig von Lieferungen sind). Genau dies
schlug US-Präsident George W. Bush in einer Grundsatzrede im Februar 2004
vor, als er angab, die Anreicherungstechnik solle auf die gegenwärtigen
Technologiebesitzer beschränkt werden (unter anderem Deutschland, Japan,
Brasilien ...). Darüber hinaus forderte er, dass allen Staaten, die
nicht bereit seien, sich umfassenderen Kontrollen seitens der Internationalen
Atomenergiebehörde (IAEO) zu unterziehen, jeglicher Zugang zu „ziviler“ Atomtechnologie
versagt werden müsse. [7]
Dies sind aber Schritte, die sich nicht aus dem NVV ableiten lassen, ja sogar
die dort vertraglich verbrieften Rechte und Zugeständnisse für den
dauerhaften Verzicht auf Atomwaffen rückgängig machen. Gleichzeitig
wird weiterhin die Einhaltung der Vertragspflichten der nuklearen „Habenichtse“ (Atomwaffenverzicht
nach Artikel II) überwacht, die der Kernwaffenstaaten (Abrüstung nach
Artikel VI) jedoch nicht. Damit wird nukleares Faustrecht etabliert.
Der NVV ist reformbedürftig – oder besser, durch einen neuen
effektiven Abrüstungs- und Atomausstiegspakt zu ersetzen. Da der momentane
NVV aber als Vorwand für einen Krieg gegen den Iran benutzt wird, sei hier
noch einmal erwähnt, dass dem Iran bis heute kein Verstoß gegen den
NVV nachgewiesen werden konnte. Die iranische Regierung hatte eine Reihe ihrer
Programme und Anlagen nicht bei der IAEO gemeldet, „ähnliche Verstöße
und Fehler sind auch von zahlreichen anderen Ländern bekannt geworden, ohne
dass dies – mit Ausnahme von Irak und Nordkorea – eine
nennenswerte internationale Reaktion hervorgerufen hätte.“ [8]
Seit dem Jahr 2003 hat der Iran seine Programme offen gelegt sowie am 18. Dezember
2003 ein freiwilliges IAEO-Zusatzprotokoll, das umfangreichere Inspektionen ermöglicht,
unterzeichnet und dessen Anwendung sofort möglich gemacht – obwohl
es bis heute nicht ratifiziert ist. Einige Anlagen etwa zur Laseranreicherung
wurden abgebaut. Das Anreicherungsprogramm in Natanz wurde ausgesetzt und durch
freiwillige Sondermaßnahmen die Kontrolle dieses Stopps überprüfbar
gemacht. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit den EU-3 im Sommer 2005 hat
die iranische Regierung diese freiwilligen Zugeständnisse zurückgenommen,
um ihr eigenes Anreicherungsprogramm wieder aufzunehmen. Im Gegensatz zur Medienberichterstattung
wurden die Siegel der Anlage in Natanz nicht „aufgebrochen“, sondern
unter Anwesenheit von IAEO-Vertretern entfernt. Die Berichte der IAEO an den
Sicherheitsrat beinhalteten keinen „Schuldspruch“, sondern die Feststellung,
dass ein militärisches Programm des Iran nicht ausgeschlossen werden kann – aber
eben auch nicht bewiesen ist. Im Kern geht es also um die Dual-Use-Problematik,
die im Rahmen des NVV nicht ausreichend geregelt ist – und auch grundsätzlich
nicht ausgeschlossen werden kann.
Wenn die westlichen Staaten nicht einen vollständigen Atomausstieg für
alle Staaten in Angriff nehmen wollen, dann sollten sie wenigstens substantielle
Angebote auf den Tisch legen. Einer tatsächlichen Lösung kommt man
wohl nur näher, wenn das Iran-Quartett oder wenigstens die EU-3 an ihrer
eigenen Glaubwürdigkeit arbeiten. Etwa indem sie beginnen, ihren eigenen
Verpflichtungen aus dem NVV nachzukommen und ihr Atomwaffenarsenal abbauen. Ein
erster Schritt könnte der Abzug der zirka 150 Atomwaffen aus Deutschland
und ein Stopp des Garchinger Reaktors sein. Als Zwischenschritt zum Ausstieg
ist auch ein globaler Verzicht auf hochangereichertes Uran in Forschungsreaktoren
und eine Internationalisierung aller Anreicherungsanlagen denkbar und möglich!
Leider wird allein das Droh- und Kriegsszenario verfolgt. Seit dem 29. März
2006 läuft das 30-tägige Ultimatum des UN-Sicherheitsrates. Wenn auch
noch ohne Embargo- und Kriegsdrohung. EU-Resolutionen, IAEO-Berichte und Involvierung
der Vereinten Nationen gehören offensichtlich zum Eskalationsszenario. Die
Fülle der Aktionen lässt Zug um Zug die tatsächliche Rechtslage
(kein iranischer Verstoß gegen den NVV) vergessen, indem hiermit suggeriert
wird, vom Iran gehe eine immer akuter werdende direkte Gefahr aus. Für die
abschließende Kriegsentscheidung ist es dann möglicherweise gar nicht
mehr wichtig, ob der Sicherheitsrat als ganzer Zwangsmaßnahmen (Embargo
und/oder Militärschläge) nach Artikel 7 zustimmt. Es ist auch eher
unwahrscheinlich, dass sich Russland und besonders China darauf einlassen werden,
Irans Atomprogramm als „Gefährdung des Weltfriedens“ einzustufen
und ohne eine solche Einstufung sind UN-mandatierte Kampfeinsätze schwer
möglich. Wenn die Eskalation jedoch weit genug fortgeschritten ist (zwei
verstrichene Ultimaten oder ähnliches), dann ist es auch denkbar, den Sicherheitsrat,
wie vor dem Irakkrieg, als „handlungsunfähig“ darzustellen
und auf das Prinzip der Selbsmandatierung durch USA plus EU-Staaten zurückzugreifen.
Das Szenario einer unbeweglichen und veralteten UN lässt sich umso glaubwürdiger
inszenieren, als diesmal keine kritischen Stimmen von EUropäischen Staaten
zu erwarten sind.
Gegen Krieg, Atomprogramme und Feindbilder
Das iranische politische System ist repressiv und autoritär. Die Einhaltung
von Menschen- und Bürgerrechten ist immer wieder nicht gewährleistet,
streikende Busfahrer landen im Gefängnis und Pressezensur gehört zum
Alltag. Dennoch: den Iran als totalitäres System zu bezeichnen ist schlicht
falsch und irreführend, zu lebendig ist die Zivilgesellschaft, zu aktiv
sind zum Beispiel Frauenrechtlerinnen oder auch KünstlerInnen. Dass Frauen,
wie die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi trotz aller Widrigkeiten immer wieder
auch erfolgreich für Menschenrechte kämpfen zeigt, dass die politische
Landschaft im Iran lebendig ist und das Potential für nötige Reformen
durchaus besteht. Ein „Demokratieexport“ oder „Regimechange“ bringt
selten Verbesserung, meist stärkt er repressive Tendenzen und zerstört
gewachsene Basisstrukturen – siehe Irak. Nicht „der Iran“ hat
unsere Solidarität verdient, sondern die Menschen im Iran, die sowohl von
ihrer eigenen Regierung als auch von USA und EU-3 quasi in Geiselhaft genommen
werden.
Ein iranisches Atomprogramm kann für progressiv denkende Menschen nicht
erstrebenswert sein, zu hoch sind die Risiken selbst bei der zivilen Nutzung
von Atomenergie, allein das hohe Erdbebenrisiko im Iran sollte nachdenklich machen.
Doch ohne eine globale Diskussion dieser Problematik verlieren selbst die besten
Argumente ihre Glaubwürdigkeit – denn wie steht es etwa mit den
Erdbebenrisiken für japanische Reaktoren?
Die Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit ist es, die Alternativlosigkeit
von Drohungen, Sanktionen und Krieg zu hinterfragen. Das Signal, dass Krieg als
Lösung nie akzeptiert werden wird, muss möglichst laut und deutlich
wahrnehmbar sein. Die Demonstrationen gegen den Irak-Krieg wurden in den arabischen
und islamischen Medien umfangreich gewürdigt. Dass nicht alle westlichen
Regierungen sich offen für einen Krieg aussprachen, aber vor allem, dass
Millionen Menschen auf den Strassen gegen einen Krieg demonstrierten, machte
die Frontenbildung gegen „den Westen“ auch für militante Hardliner
in islamischen Ländern schwer. Auf EU-Regierungs-Gegenstimmen gegen
einen Irankrieg darf man dieses Mal wohl nicht hoffen. Umso dringender ist es,
dass der Protest auf der Straße sichtbar und laut wird. Nur so kann auch
Ahmadinejads plumper und gefährlicher Hetze der Boden entzogen werden, wenn
er seiner Bevölkerung nicht mehr plausibel ein geschlossenes Feindbild präsentieren
kann. Nicht „der Iran“ ist das Problem; die Probleme sind global
und heißen: Dual-Use Problematik, Atomare Ab- und Aufrüstung, Energiesicherheit, ökonomische
Entwicklung, Feindbilder und Demagogie.
Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (Auszüge
aus dem NVV)
Artikel II
Jeder Nichtkernwaffenstaat, der Vertragspartei ist, verpflichtet sich, Kernwaffen
und sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber
von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen, Kernwaffen oder sonstige
Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonst wie zu erwerben und keine
Unterstützung zur Herstellung von Kernwaffen oder sonstigen Kernsprengkörpern
zu suchen oder anzunehmen.
Artikel IV
1. Dieser Vertrag ist nicht so auszulegen, als werde dadurch das unveräußerliche
Recht aller Vertragsparteien beeinträchtigt, ... die Erforschung, Erzeugung
und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln.
2. Alle Vertragsparteien verpflichten sich, den weitest möglichen Austausch
von Ausrüstungen, Material und wissenschaftlichen und technologischen Informationen
zur friedlichen Nutzung der Kernenergie zu erleichtern und sind berechtigt, daran
teilzunehmen ...
Artikel VI
Jede Vertragspartei verpflichtet sich, in redlicher Absicht Verhandlungen zu
führen über wirksame Maßnahmen zur Beendigung des nuklearen Wettrüstens
in naher Zukunft und zur nuklearen Abrüstung sowie über einen Vertrag
zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung und strenger und wirksamer
internationaler Kontrolle.
Artikel X
1. Jede Vertragspartei ist in Ausübung ihrer staatlichen Souveränität
berechtigt, von diesem Vertrag zurückzutreten, wenn sie entscheidet, dass
durch außergewöhnliche, mit dem Inhalt dieses Vertrags zusammenhängende
Ereignisse eine Gefährdung der höchsten Interessen ihres Landes eingetreten
ist. Sie teilt diesen Rücktritt allen anderen Vertragsparteien sowie dem
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen drei Monate im voraus mit ...
Fußnoten:
- Broadcast live from Tehran, Iran reaffirms that it has no intention of obtaining
nuclear weapons. 16. February 2006; http://acdn.france.free.fr/spip/article.php3?id_article=153 [back]
- CIA World Factbook, „Iran“; http://www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/ir.html [back]
- iran-report Nr. 3/2006 (Heinrich-Böll-Stiftung), S. 5; http://www.boell.de/de/04_thema/4061.html [back]
- Vgl. diesbezüglich v.a. Clark, William, The Real Reasons Why Iran is
the Next Target: The Emerging Euro-denominated International Oil Marker, Centre
for Research on Globalisation, 27 October 2004. [back]
- iran-report Nr. 3/2006 ebenda. [back]
- Vgl. zum folgenden Rogers, Paul, „Iran: Consequences of a War”,
Oxford Research Group (February 2006); http://www.iranbodycount.org [back]
- Remarks by the President on Weapons of Mass Destruction Proliferation, White
House, February 11, 2004 [back]
- W&F / IPPNW, „Atomenergie: Zugriff zur Bombe“, W&F Dossier
51, 1-2006, S. 7 [back]
|
|
|