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Iran-Krieg wegen Dollar?
Winfried Wolf junge Welt 22. März 2006


Teherans Plan einer Internationalen Ölbörse kein Kriegsgrund. Washington bereitet dennoch Angriff vor.

Ein Gerücht beschäftigt viele Linke. Danach wird der drohende Krieg gegen den Iran von der US-Regierung vorbereitet, um einem Plan Teherans gegen die Dollar-Herrschaft zuvorzukommen. Tatsächlich hatte die iranische Führung angekündigt, am 20. März 2006 eine Internationale Ölbörse (International Oil Bourse/OIB) auf der Freihandelsinsel Kish im Persischen Golf in Betrieb zu nehmen. Auf dieser sollte Öl erstmals in Euro statt in US-Dollar abgerechnet werden. Obgleich der Start der neuen Öl-Börse, der im Übrigen seit drei Jahren angekündigt wird, erneut verschoben wurde, erscheint vielen im linken Lager die Theorie einleuchtend. Hatte nicht auch Saddam Hussein vor Beginn des Irak-Kriegs 2003 angekündigt, das irakische Öl zukünftig nur noch in Euro fakturieren zu wollen? Kurz darauf kam der Krieg.

Es scheint auch einen Kronzeugen für diese Theorie zu geben: den republikanische Kongressabgeordnete Ron Paul aus dem US-Bundesstaat und Ölland Texas. Seine Rede vom 17. Februar 2006 macht im Internet die Runde. Wer diese aufmerksam liest, erkennt allerdings, dass der gesamten Story eine fragwürdige Verschwörungstheorie zugrunde liegt. Danach ist es allein das böse Papiergeld, das die Welt regiert. Ron Pauls Grundthese lautet: „Als noch Gold als Zahlungsmittel benutzt wurde und als die Welthandelsgrundregeln den ehrenhaften Handel schützten, entwickelten sich produktive Nationen.“ Als 1971 die Goldbindung des Dollars wegfallen sei, sei diese faktisch dadurch ersetzt worden, dass seitdem das Erdöl weltweit in Dollar abgerechnet wird. Immer dann, wenn die Ölpreis-Dollarkurs-Bindung und damit der Dollar als Leitwährung bzw. die USA als Weltmacht Nummer eins in Frage gestellt würden, würde die US-Regierung zu militärischer Gewalt greifen. Ron Pauls Folgerung: „Gewaltanwendung, um Leute zu zwingen, Geld ohne wirklichen Wert anzuerkennen, kann nur sehr kurzfristig erfolgreich sein. Am Ende wird dieses Modell zu einem ökonomischen Chaos führen.“


Weltmachtwährung

Tatsächlich sprechen drei Aspekte gegen die zitierte Theorie: Erstens ist der Dollar nicht primär Ölwährung. Der Ölhandel macht bei den Weltexporten nur gut ein Zehntel aus. Der Grund, weswegen mehr als 75 Prozent des Welthandels in Dollar abgerechnet werden, hat wenig mit dem Ölhandel zu tun. Der Grund dafür lautet: Die USA sind die entscheidende Wirtschafts- und Militärmacht der Welt und ihre Währung lautet auf Dollar.

Zweitens ist der Dollar nicht deshalb wichtig, weil er als Zirkulationsmittel beim Ölhandel dient. Für die täglichen Ölkäufe sind gerade mal 5,5 Milliarden US-Dollar erforderlich. Tatsächlich haben sich Ausländer in den USA in Anlagen in einer Höhe von 10 000 Milliarden US-Dollar engagiert. Warum? Werden sie dazu gezwungen? Und wenn ja, von wem? Das ist Unsinn. Tatsächlich kann man mit den Kapitalanlagen in den USA einen maximalen Profit machen: wegen des höheren – gegenüber der EU mehr als doppelt so hohen – Wirtschaftswachstums, wegen der hohen Börsenkurse der US-Konzerne (deren „Marktkapitalisierung“), wegen des Immobilienbooms in den USA, wegen der optimalen Finanzstruktur bei den US-Börsen- und Finanzplätzen in New York und Chicago.

Drittens sollte bedacht werden: Das Dilemma eines Dollar, der „nichts wert“ ist (Ron Paul), bei dem die Dollar-Gold-Basis aufgegeben wurde, existiert seit 35 Jahren. In der Geschichte der kapitalistischen Produktion ist das eine ziemlich lange Zeit. Der Grund für die seitdem weiter anhaltende „Dollar-Herrschaft“ kann nicht die „Deckung durch den Ölhandel“ sein, zumal gerade der Ölpreis in diesem Zeitraum extrem „volatil“, also von Ausschlägen nach oben und unten gekennzeichnet war und ist. Der Grund für die lang anhaltende Hegemonie des Dollars liegt in erster Linie in einer US-Wirtschaft, die weiterhin beim Warenexport auf Platz zwei und bei den gesamten Ausfuhren (inklusive Dienstleistungen) auf Platz eins rangiert. Entscheidend ist vor allem: Die US-Wirtschaft und ihre Abrechnungseinheit US-Dollar können ihren Anspruch, auf dem Weltmarkt die Nummer eins zu sein, gegebenenfalls militärisch dokumentieren. Der Grund für die Dollar-Hegemonie liegt im Übrigen auch darin, dass die EU keinen einheitlichen Block darstellt und der Euro eine höchst fragile, gerade einmal sechs Jahre alte Währung darstellt. Hinzu kommt, dass die EU ihre wirtschaftliche Macht bisher in keiner Weise militärisch untersetzen kann.


Weltmarktterror

Markt heißt Gewalt. Weltmarkt erfordert Terror. Weltmarktherrschaft erfordert die Massenvernichtung von Werten und die Bereitschaft, mit Kriegen und damit gegebenenfalls mit der massenhaften Vernichtung von Leben diesen Anspruch durchzusetzen. Beim drohenden Iran-Krieg geht es nicht um den Dollar. Sondern in erster Linie um den Anspruch aller westlichen Ökonomien, sich den Zugang zur entscheidenden Ressource Rohöl gegebenenfalls mit Gewalt, mit einem weiteren Krieg zu sichern. Und so stehen denn die EU-Staaten – einschließlich der Regierungen in Paris und Berlin – hinter den Kriegsvorbereitungen in Washington. Warum sollten sie dies tun, wenn der Krieg der Dollar-Herrschaft dient und wenn die Regierung in Teheran die eigene Währung, den Euro, fördern wollte?


Entscheidende Gründe für einen neuen US-Krieg

Die Kriegsziele der US-Regierung kann man einem offiziellen Sitzungsprotokoll des Unterausschusses Asien und Pazifik des US-amerikanischen Repräsentantenhauses aus dem Jahr 2000 entnehmen. In diesem heißt es: „Die neuen Länder (Aserbaidschan, Kasachstan, Turkmenistan, Kirgisien, Tadschikistan und Usbekistan), die Zentralasien ausmachen (...) haben einmal mehr die weltweite Aufmerksamkeit auf sich gezogen durch die phantastischen Öl- und Erdgasvorräte, die in der Region lagern ... Die erklärten energiepolitischen Ziele der USA für diese Region umfassen: die Stärkung der Unabhängigkeit dieser Staaten und ihrer Bindungen an den Westen; die Brechung des russischen Monopols über die Transportwege für Öl und Gas; das Betreiben einer Ost-West-Pipeline, die nicht durch den Iran führt; die Sicherung der Energieversorgung des Westens durch eine Vervielfältigung der Anbieter ... Vor allem wollen die USA verhindern, dass ein einzelnes Land die Kontrolle über diese Region erlangt.“

Seit dieser – wohlgemerkt: vor dem 11. September 2001 getätigten – Feststellung wurden diese Zielsetzungen Punkt für Punkt abgearbeitet. Die „Unabhängigkeit“ der genannten – ohne Zweifel oft diktatorisch regierten – Staaten und deren „Bindungen an den Westen“ wird systematisch „gefördert“ – unter anderem durch die Errichtung von Militärstützpunkten. Das „russische Monopol über die Transportwege für Öl und Gas“ wurde gebrochen – durch die Ölpipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan (Türkei), die 2005 in Betrieb genommen und für die der sehr hohe Betrag von vier Milliarden Dollar investiert wurde. Mit ihr kann das Öl aus der zweitwichtigsten Ölregion Kaspisches Meer unter Umgehung des russischen und des iranischen Gebiets über Aserbaidschan, Georgien und die Türkei direkt in den Westen geleitet werden. Schließlich soll verhindert werden, „dass ein einzelnes Land die Kontrolle über diese Region erlangt“. Der Iran ist das einzige Land, das im wichtigsten Ölgebiet der Welt, am Persischen Golf, ebenso präsent ist wie im zweitwichtigsten Ölgebiet, am Kaspischen Meer.

Die Regierung in Teheran versuchte, die US-Zielsetzungen mit einem neuen „Swap-System“ zu unterlaufen: 2004 wurde eine neue Ölpipeline von Neka, der iranischen Stadt am Kaspischen Meer, nach Teheran in Betrieb genommen. Seither wird Rohöl aus den lukrativen kaspischen Ölfeldern Kasachstans, Turkmenistans und Russlands nach Neka verschifft. Von dort gelangt es zu den Raffinerien von Teheran und Tabriz, um den heimischen iranischen Markt zu versorgen. Im Gegenzug erhalten die Verkäufer Rohöl aus den iranischen Feldern am Persischen Golf, die in der Nähe der großen Tanker-Terminals liegen. Dieses auch „Cross Project“ genannte System ist deutlich preisgünstiger als der Transport durch die 1700 Kilometer lange Pipeline Baku-Ceyhan. Es wurde zwei Jahre vor dem Machtantritt des neuen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad verwirklicht. Die Tatsache, dass der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangen und damit eine weit reichende „Kontrolle über die Region“ erlangen könnte, akzentuiert natürlich die Zielsetzungen der US-Regierung. Im Fall eines Kriegs gegen den Iran werden US-Kampfjets zwar auch mögliche Standorte der iranischen Atomtechnik bombardieren. Sie werden vor allem aber die Infrastruktur der iranischen Öltransportwege zerstören.
 22. März 2006