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Interview mit Heinz Loquai zum Kosovo
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
26. März 2004
Kleine Einleitung von uns: Heinz Loquai, ehemaliger Bundeswehrgeneral und langjähriger
OSZE-Mitarbeiter kritisiert seit langem die deutsche Balkanpolitik. Er stellt
fest: „Abgeordnete des Bundestages und Mitglieder der deutschen Regierung
haben ja zur Rechtfertigung des Nato-Krieges behauptet, man müsse wegen eines
Völkermordes an den Kosovo-Albanern militärisch eingreifen. Das war
natürlich eine maßlose Übertreibung. Wenn man auf den Irak-Krieg
blickt, dann kann man heute sagen, dass die angeblichen Massenvernichtungswaffen
des Irak für den amerikanischen Präsidenten Bush das waren, was für
die deutsche Regierung die so genannte humanitäre Katastrophe war –
Übertreibungen, Manipulation der Wahrheit und Lügen, um einen Kriegsanlass
zu finden und einen Krieg zu rechtfertigen.“
Konsequenz des Krieges
Die antiserbischen Pogrome im Kosovo sind „im Grunde genommen eine Konsequenz“
des von der deutschen Regierung forcierten Überfalls auf die Bundesrepublik
Jugoslawien. Dies erklärt Heinz Loquai, vor dem Beginn des Krieges am 24.
März 1999 Balkan-Mitarbeiter der deutschen OSZE-Vertretung in Wien, im Gespräch
mit dieser Redaktion.
(...) Der Krieg gegen Jugoslawien – „illegal, d.h. völkerrechtswidrig“
– versetzte einer Politik der multilateralen Konfliktsteuerung mit nichtmilitärischen
Mitteln einen schweren Schlag. Diese Entwicklung, so Loquai, hat sich mit dem
Krieg gegen den Irak fortgesetzt. Der deutschen Regierung, die den Überfall
auf Jugoslawien maßgeblich befürwortete, schreibt der Brigadegeneral
a.D. eine Mitverantwortung für die weltweit zunehmende Kriegspolitik zu.
Interview mit Heinz Loquai
Über die Entwicklung im Kosovo sprach german-foreign-policy.com mit Brigadegeneral
a.D. der Bundeswehr Heinz Loquai. Loquai arbeitete von 1995 bis 1999 bei der deutschen
OSZE-Vertretung in Wien, wo er auch für den Balkan zuständig war.
Seit dem Krieg gegen Jugoslawien sind mehrere hunderttausend Menschen aus dem
Kosovo vertrieben worden, in der vergangenen Woche kam es zu pogromartigen Attacken
gegen Serben und serbische Einrichtungen mit fast 30 Todesopfern. Wie beurteilen
Sie das inzwischen fünfjährige Besatzungsregime?
Das Besatzungsregime, oder sagen wir die UNO-Verwaltung, hat relativ wenig erreicht.
Es ist nicht gelungen, die über 200 000 serbischen Flüchtlinge
und Vertriebenen – unter den Flüchtlingen waren ja auch Roma und andere
Minderheiten – wieder zurückzuholen bzw. ein Umfeld zu schaffen, in
das sie ohne Angst und Furcht zurückkommen können und wollen. Das, was
wir jetzt erlebt haben, dieser Ausbruch von Hass und Gewalt, ist im Grunde genommen
auch eine Konsequenz des Krieges von 1999. Ich erinnere mich an einen Ausspruch
des ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Djindjic, der sagte: „Vor
dem Krieg war eine normale multiethnische Gesellschaft im Kosovo wenigstens vorstellbar,
heute kann man nicht einmal mehr darauf hoffen.“ Seit dem Ende des Krieges
sind nicht einmal fünf Jahre vergangen. Das ist natürlich auch eine
extrem kurze Zeit für eine Befriedung.
Der Krieg wurde unter dem Vorwand geführt, die jugoslawische Regierung
plane einen Völkermord an ihren albanisch sprechenden Bürgern. Entsprach
dies nach Ihrer Kenntnis den Tatsachen?
Es wurde nicht nur gesagt, dass die jugoslawische Regierung einen Völkermord
plane, sondern dass sie ihn schon verübe. Abgeordnete des Bundestages und
Mitglieder der deutschen Regierung haben ja zur Rechtfertigung des Nato-Krieges
behauptet, man müsse wegen eines Völkermordes an den Kosovo-Albanern
militärisch eingreifen. Das war natürlich eine maßlose Übertreibung.
Wenn man auf den Irak-Krieg blickt, dann kann man heute sagen, dass die angeblichen
Massenvernichtungswaffen des Irak für den amerikanischen Präsidenten
Bush das waren, was für die deutsche Regierung die so genannte humanitäre
Katastrophe war – Übertreibungen, Manipulation der Wahrheit und Lügen,
um einen Kriegsanlass zu finden und einen Krieg zu rechtfertigen.
Ich möchte nur zwei kompetente Quellen anführen, die kurz vor Beginn
des Krieges gegen Jugoslawien die Lage im Kosovo beurteilten. Die OSZE, die mit
1500 Beobachtern im gesamten Kosovo präsent war, hat die Lage am 18. oder
19. März, also nur wenige Tage vor Kriegsbeginn, so zusammengefasst: „Die
Lage über die ganze Provinz hinweg bleibt angespannt, aber ruhig.“
Und die Nachrichtenexperten des deutschen Verteidigungsministeriums haben noch
am 23. März, einen Tag vor Beginn des Krieges, festgestellt: „Tendenzen
zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen.“ Das war
die Situation, die dann Scharping und Fischer mit dem Holocaust, mit dem Mord
an sechs Millionen Juden, verglichen haben.
Der Krieg beruhte auf einem fingierten Vorwand und war also Ihrer Auffassung
nach völkerrechtswidrig?
Der Krieg war illegal, daher völkerrechtswidrig. Es gab kein Mandat des UNO-Sicherheitsrats,
Jugoslawien hatte auch keinen Nato-Staat angegriffen. Das hat auch eine hochrangige
Kommission unter dem schwedischen Ministerpräsidenten Persson festgestellt.
Doch diese Kommission kam auch zu dem Ergebnis, der Krieg sei legitim gewesen
wegen der massiven Menschenrechtsverletzungen. Es gab natürlich Gewalt, Vertreibungen
und massive Menschenrechtsverletzungen. Das Auswärtige Amt stellte am 19.
März fest: Von Flucht, Vertreibung und Zerstörung im Kosovo sind alle
dort lebenden Bevölkerungsgruppen gleichermaßen betroffen. Es herrschte
also ein Bürgerkrieg. Der Krieg der Nato richtete sich einseitig nur gegen
eine Bürgerkriegspartei, nämlich gegen Jugoslawien. Und der Krieg leitete
die wirkliche humanitäre Katastrophe erst ein. Zu Beginn des Krieges gab
es in den Nachbarländern 70 000 Flüchtlinge aus dem Kosovo, zum
Ende des Krieges waren es etwa 800 000.
Das Centrum für angewandte Politikforschung von Werner Weidenfeld schlägt
vor, den Kosovo von Serbien abzuspalten und unter direkte UN-Verwaltung zu stellen.
Lief die deutsche Jugoslawien-Politik nicht von Anfang an darauf hinaus?
Also, wissen Sie – wenn ich mir anschaue, was jetzt angesichts der Gewalt
an Vorschlägen kommt, dann würde ich mir wünschen, dass die Leute,
die solche Vorschläge machen, sich noch einmal die UNO-Resolution 1244 vom
10. Juni 1999 anschauen. Denn man kann ja nicht ganz plötzlich, nur weil
Gewalt ausgeübt worden ist, eine damals eingeschlagene Politik zur Befriedung
des Kosovo über den Haufen werfen. Das würde ja bedeuten, dass die Gewalttäter
ihre Ziele erreichen. Ich kann auch nicht sehen, was der von Ihnen erwähnte
Vorschlag bewirken soll. Der jüngste Ausbruch der Gewalt wurde ja wohl nicht
von Serbien aus inszeniert. Faktisch ist Kosovo doch unter eine UN-Verwaltung
gestellt. Doch die Art und Weise, wie diese Verwaltung ausgeführt wird, ist
ein Teil des Problems.
In der UNO-Resolution steht ganz eindeutig, was zu geschehen hat, nämlich:
Alle Flüchtlinge müssen zurückkehren. Über 200 000 Serben
warten auf diese Rückkehr. Außerdem steht dort: Die Nato-Truppe müsse
ein sicheres Umfeld schaffen. Das ist ihr offenbar noch nicht gelungen. Das heißt,
bevor man jetzt etwas völlig Neues macht und Teilungspläne auf den Tisch
legt, sollte die UNO-Verwaltung erst einmal das erreichen, was aufgrund einer
UNO-Resolution ihre Aufgabe ist.
Es müsste auch geschehen, was in jedem geordneten Staatswesen eigentlich
selbstverständlich ist: Die Gewalttäter und insbesondere die Rädelsführer
müssen dingfest gemacht und vor Gericht gestellt werden. Das heißt,
man muss dort Recht und Ordnung schaffen. Dies ist Aufgabe der UN-Vewaltung und
der inzwischen aufgebauten Verwaltung im Kosovo. Der bisher laxe Umgang mit Gewalttätern
war möglicherweise eine der Ursachen für den Ausbruch der Gewalt.
Ich bin auch der Auffassung, dass die internationale Gemeinschaft zu ihren langjährigen
Grundsätzen steht. Seit mehr als zehn Jahren war die Vorgabe für den
Status des Kosovo: Bewahren der Souveränität und territorialen Unversehrtheit
der Bundesrepublik Jugoslawien (und ihres Rechtsnachfolgers) und substantielle
Selbstverwaltung für das Kosovo. Dies sollten auch weiterhin die Markierungen
für zukünftige Gespräche über den Status des Kosovo sein.
Lassen Sie mich noch das hinzufügen: Die Mehrzahl der Menschen im Kosovo
interessiert der sogenannte Status relativ wenig. Sie wollen endlich nach Jahren
der Unterdrückung und Gewalt mit ihren Familien sicher in Frieden leben,
sie wollen Arbeit und Brot und ein sicheres Dach über dem Kopf. Die jetzige
Situation wurde geschaffen durch organisierte Gewalt und wurde getragen von Gewalttätern,
die rücksichtslos ihre politischen Ziele mit Gewalt erreichen wollen.
In Ihrem letzten Buch haben Sie den ohne UN-Mandat geführten Überfall
auf Jugoslawien als schweren Schlag gegen die „multilaterale Konfliktsteuerung
mit nichtmilitärischen Mitteln“ bezeichnet. Sehen Sie Ihre Einschätzung
durch die aktuelle globale Entwicklung bestätigt?
Ja – eigentlich schon. Insbesondere natürlich im Irak. Der Motor des
Krieges gegen den Irak und des Krieges gegen Jugoslawien waren die USA. Sie drängten
mit Unterstützung besonders williger Länder auf eine Lösung des
Problems durch Krieg und ließen nichtkriegerischen diplomatischen Lösungen
kaum Chancen. Diese beiden Präzedenzfälle waren ein schwerer Schlag
gegen eine Politik der multilateralen Konfliktsteuerung mit nichtmilitärischen
Mitteln. Dass die derzeitige US-Regierung von einer solchen Politik nichts hält,
hat sie mehrfach bewiesen. Von der Bundesregierung hört man ja zur Rüstungskontrolle
allenfalls noch Lippenbekenntnisse.
Berlin hat sich am Überfall auf Jugoslawien beteiligt. Trägt die deutsche
Regierung eine Mitverantwortung für die von Ihnen skizzierte globale Entwicklung?
Ja selbstverständlich! Die Bundesregierung war in dieser Hinsicht nicht nur
Getriebener, sondern aktiver Gestalter.
Wie würden Sie – in wenigen Worten – die deutsche Außenpolitik
gegenüber dem Kosovo charakterisieren?
Zeitweise völlig einseitig antiserbisch bzw. antijugoslawisch und im Gleichschritt
mit den USA. Im Ganzen unstetig, zu viel Taktik, zu wenig langfristige Strategie.
Heinz Loquai, Brigadegeneral a.D. der deutschen Bundeswehr, ausgebildet zum
Generalstabsoffizier. Nach Lehrtätigkeit an der Führungsakademie der
Bundeswehr arbeitete er von 1980 bis 1989 im Verteidigungsministerium und bei
der Nato auf dem Gebiete der Militärpolitik, 1995 bis 1999 bei der deutschen
OSZE-Vertretung in Wien, wo er auch für den Balkan zuständig war.
Von Heinz Loquai erschien im vergangenen Jahr:
Weichenstellungen für einen Krieg
Internationales Krisenmanagement und die OSZE im Kosovo-Konflikt
Baden-Baden 2003 (Nomos Verlagsgesellschaft)
ISBN 3-8329-0150-7 29
Euro
Loquai, Brigadegeneral a.D. und bis zu seiner Pensionierung in zahlreichen hohen
Positionen in der Bundeswehr, im Verteidigungsministerium und bei der Nato tätig,
beschreibt detailliert, wie sich während der Kriegsvorbereitungen die Unterordnung
der OSZE unter die Nato vollzog. Gezielt nahm die – von den USA dominierte
– westliche Militärorganisation Einfluss auf die OSZE, marginalisierte
sie zunehmend. Schließlich wurde der „Krieg (...) wieder zum legitimen
und erfolgversprechenden Mittel der Politik demokratischer Staaten in Europa“
– einhergehend mit „einer zunehmenden Missachtung und Abwertung des
Völkerrechts“.
Die Recherchen des Autors, der bis Ende März 1999 als Leiter der Militärberatergruppe
bei der deutschen OSZE-Vertretung in Wien arbeitete, legen nahe, dass es einige
der beteiligten Akteure und insbesondere die deutsche Regierung schon früh
auf einen militärischen Überfall abgesehen hatten. Anders wäre
die erstaunliche Informationspolitik der Bundesregierung kaum zu erklären.
Loquai vermittelt einen Eindruck von der unglaublichen Informationsdichte, die
die militärische Aufklärung und das Auswärtige Amt zur Verfügung
hatten. Er zeigt auf, wie sehr öffentliche Verlautbarungen der Regierung
dazu in Widerspruch standen – und auch die nahezu gleich lautende Berichterstattung
der deutschen Medien, deren Balkankorrespondenten sich der regierungsamtlichen
Informationspolitik willig anpassten. |
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