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Schuldig – Urteil des Europäischen
Tribunals über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien
Tribunal gegen die Nato Rüdiger
Göbel 10.
Juni 2000
Clinton und Schröder sind Kriegsverbrecher – Tribunal
in Berlin verurteilte Nato-Staaten wegen Jugoslawien-Krieg.
Hektisch und hochrangig ging es am Wochenende zu in Berlin. US-Präsident
William Clinton weilte seit Donnerstag zum Deutschlandbesuch in der Metropole,
am Samstag gesellten sich 13 weitere Staats- und Regierungschefs sogenannter
Mitte-Links-Regierungen dazu, um über „modernes Regieren im 21. Jahrhundert“ zu
räsonieren. Mehrere tausend Polizisten waren damit beschäftigt, die
Bevölkerung von der großen Politik fernzuhalten. Von den Medien weitgehend
ignoriert fand indes in der evangelischen Kirche zum Heiligen Kreuz in Berlin
am Freitag und Samstag die für den Weltfrieden im 21. Jahrhundert wohl wichtigste
Beratung statt: Das „Europäische Tribunal über den Nato-Krieg
gegen Jugoslawien“ verhandelte Völkerrechtsbruch und Kriegsverbrechen
des westlichen Militärbündnisses beim letztjährigen Überfall
auf den Balkanstaat.
Mehrere hundert Teilnehmer waren aus über 20 Ländern angereist,
um der Verhandlung gegen die führenden Politiker und Militärs der Nato-Staaten
beizuwohnen. Nach zweitägiger Beweisaufnahme und Erörterung verkündete
am Samstag abend der international renommierte Völkerrechtler Prof. Norman
Paech das Urteil: Alle Angeklagten hätten sich der „schweren Völkerrechtsverletzung
schuldig“ gemacht.
Das Urteil war von der zehnköpfigen Spruchkammer einstimmig gefällt
worden. Auf der Grundlage des Tribunalstatutes dürfen US-Präsident
William Clinton, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joseph
Fischer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping sowie die anderen über
600 Angeklagten „Kriegsverbrecher“ genannt werden, erklärte
Paech gegenüber junge Welt.
Beim Krieg der Nato gegen Jugoslawien im vergangenen Jahr handelte es sich
Norman Paech zufolge um eine Aggression gegen einen souveränen Staat. Diese
Aggressionshandlung habe gegen internationales Recht und Normen verstoßen
und sei zu keinem Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen. Keinesfalls habe es sich
um einen Akt der Nothilfe gehandelt. Der Konflikt in der südserbischen Provinz
wurde von dem Gericht als Bürgerkrieg bewertet. Die Situation im Kosovo
sei in den hiesigen Medien und von verantwortlichen Politikern übertrieben
dramatisiert und verfälscht dargestellt worden. Letztlich aber habe die
Nato-Intervention zu einer Verschlimmerung geführt.
Der Krieg habe auch den Nato-Vertrag verletzt. Zudem hatten die Bundesregierung
sowie diejenigen Abgeordneten des Bundestages, die für eine Beteiligung
der Bundeswehr gestimmt hatten, gegen den 2+4-Vertrag, das Grundgesetz sowie
Normen des Strafgesetzbuches verstoßen, heißt es in dem Urteil. Zwar
könne den angeklagten Bundestagsabgeordneten keine direkte Schuld nachgewiesen
werden in bezug auf die Kriegsführung der Nato und insbesondere die Angriffe
auf zivile Ziele und gegen die Bevölkerung Jugoslawiens. Erschwerend sei
allerdings, daß sie nichts gegen die Rechtsverstöße unternommen
hätten, nachdem das Ausmaß des Krieges und seine Folgen bekannt geworden
sind.
Verurteilt wurde insbesondere auch der Einsatz international geächteter
Waffen (Cluster- bzw. Splitterbomben) sowie die Verwendung
von mit abgereichertem Uran versehener Munition. Der Angriff auf das Sendegebäude
des serbischen Staatsfernsehens RTS wurde ebenfalls verurteilt. Letztlich habe
es sich dabei um einen Eingriff in die Informationsfreiheit gehandelt. Die von
den Teilnehmern des Tribunals mit anhaltendem Applaus aufgenommene Urteilsbegründung
schloß mit den Worten: „Krieg darf nicht das Modell für eine
neue Weltordnung abgeben. Krieg darf nicht wieder Mittel der Politik sein.“
Bei Verlesung der Anklageschrift am Freitag mittag weilte Clinton zur Entgegennahme
des Karlspreises in Aachen. Als am Samstag abend das Tribunal sein Urteil verkündete,
war der US-Präsident bereits nach Moskau abgereist, andere Angeklagte debattierten
im Berliner Schloß Charlottenburg über „modernes Regieren im
21. Jahrhundert“. Doch bereits am kommenden Samstag soll beim Internationalen
Tribunal in New York insbesondere die US-Führung für ihre Kriegsverbrechen
im Krieg gegen Jugoslawien angeklagt werden. Die Ergebnisse von Berlin sollen
in die Urteilsfindung des vom ehemaligen US-Justizminister Ramsey Clark iniitierten „Tribunals
von unten“ in Übersee einfließen.
junge Welt dokumentiert
im folgenden den vollen Wortlaut des von Prof. Norman Paech am Samstag abend
in der Berliner Kirche zum Heiligen Kreuz vorgetragenen Urteils des Europäischen
Tribunals über den Nato-Krieg gegen Jugoslawien.
Das Urteil vor allem gegen die Staats- und Regierungschefs der 19 Nato-Staaten
wurde von einem zehnköpfigen, international besetzten Richterkollegium einstimmig
verfaßt. Diesem gehörten an: Valery Aleksandrow aus Belorußland (Abgeordneter
der Nationalversammlung), Barbara Krygier aus Polen (Slawisches
Komitee), Stanislav Patejdl aus der Tschechischen Republik (Stellvertretender
Vorsitzender der Tschechischen Friedensgesellschaft), Dr. Rezsö Banyasz
aus Ungarn (ehemaliger ungarischer Botschafter in Kanada und
Präsident der Stiftung für Frieden und Neutralität Ungarns),
Heinz Moll aus der Schweiz (Journalist und Vertreter der Schweizer
Friedensbewegung), Paolo Pioppi aus Italien (Nino Pasti
Foundation und Vertreter des italienischen Tribunals), Lea Launokari aus
Finnland (Women for Peace, Alternative to EU Information Center) sowie
Wolfgang Schulz (Rechtsanwalt, Berlin), Laura von Wimmersperg (Friedenskoordination
Berlin) und Prof. Wolfgang Richter (Gesellschaft zum Schutz
von Bürgerrecht und Menschenwürde, Berlin). Den Vorsitz des
Tribunals hatte der Völkerrechtler Prof. Norman Paech (Hochschule
für Wirtschaft und Politik in Hamburg) inne, stellvertretende Vorsitzende
war Prof. Claudia von Werlhof aus Österreich.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir eine kurze Vorbemerkung. Die Vorbereitung
des Tribunals hat einem zehnköpfigen internationalen Richterkollegium gerade
eine Stunde der Beratung und der Abfassung eines Urteils gegeben. Daß das
nicht eingehalten werden konnte, das war, glaube ich, klar, und ich bitte Sie
um Entschuldigung, daß Sie so lange haben warten müssen.
Was von mir jetzt vorgetragen wird, ist von allen akzeptiert, in der literarischen
Reife allerdings noch nicht so, wie wir es eigentlichen haben wollten. Es wird
ergänzt und in den einzelnen Aspekten auch noch vertieft werden. Hier kommt
es nur auf den Rahmen des Urteils an. In einer späteren Publikation werden
wir Ihnen unsere Gründe detaillierter darlegen. Das war in der Kürze
nicht möglich.
Das Tribunal hat einstimmig folgendes beschlossen: Daß die Angeklagten
schuldig sind durch den Angriff auf die Bundesrepublik Jugoslawien vom 24. März
bis 10. Juni 1999 der schweren Völkerrechtsverletzung
1. wegen Verstoßes gegen das absolute Gewaltverbot nach Artikel 2 Ziffer
4 der UN-Charta, Verletzung der territorialen Souveränität nach den
Prinzipien der Deklaration über das friedliche Zusammenleben der Staaten
und nach dem Aggressionsverbot der UN-Resolution 3314.
Ohne von der Bundesrepublik Jugoslawien angegriffen worden zu sein und unter
bewußter und zielgerichteter Umgehung eines Mandats des UN-Sicherheitsrates
nach Artikel 39, 42 und 53 der UN-Charta haben die Staaten der Nato einen souveränen
Staat militärisch angegriffen, was ein schwerer Verstoß gegen geltendes
zwingendes Völkerrecht bedeutet.
Diese Aggression war auch nicht dadurch gerechtfertigt, daß es sich
– wie sich die Bundesrepublik Deutschland und andere Regierungen der Nato
eingelassen haben – um einen Akt der Nothilfe mittels einer sogenannten
humanitären
Intervention handelte. Abgesehen davon, daß es im geltenden Völkerrecht
nur eine Nothilfe für einen angegriffenen Staat im Rahmen des Artikel 51
der UN-Charta gibt, was hier nicht vorlag –, ermangelte es nach Ansicht
des Tribunals, die es sich nach intensiver Auseinandersetzung mit den vorgelegten
Beweismitteln und den Vorträgen der Sachverständigen gebildet hat,
schon der tatsächlichen
Voraussetzungen einer solchen „humanitären Intervention“.
Das Tribunal ist zu der Überzeugung gelangt, daß es eine humanitäre
Katastrophe, wie sie insbesondere von den deutschen Ministern Fischer und Scharping
beschworen worden ist, nicht gegeben hat. Zwar hat der vor allem im Kosovo zwischen
den separatistischen Verbänden der UCK und der jugoslawischen Polizei, Miliz
und Armee entbrannte Bürgerkrieg zu großen Verlusten an Menschenleben
auf beiden Seiten, Zerstörung von Häusern und Ortschaften und Vertreibungen
von Menschen, und zwar sowohl Albanern als auch Serben, Kroaten und Roma, sowie
zu Menschenrechtsverletzungen geführt. Diese beklagenswerten Opfer rechtfertigen
jedoch nicht die ganz außergewöhnliche Charakterisierung als eine „humanitäre
Katastrophe“. Die Nato und ihre Regierungen konnten zahlloser Übertreibungen,
Dramatisierungen und Verfälschungen überführt werden.
Aber selbst wenn das Tribunal- was es nicht tut – die Situation einer „humanitären
Katastrophe“ in den Jahren 1998 und 1999 vor der Bombardierung annehmen
würde, ergäbe dies noch nicht die Legitimation für eine militärische
Intervention derart, wie sie die Nato unternommen hat. In der Praxis der Staaten,
die das Völkergewohnheitsrecht begründet, und in der ganz überwiegenden
Meinung der Völkerrechtslehre ist die „humanitäre Intervention“ nicht
als eine Institution anerkannt, die eine Ausnahme vom absoluten Gewaltverbot
zuläßt.
Es gilt nach wie vor, was der IGH, der Internationale Gerichtshof in Den Haag,
im Rechtsstreit zwischen Nikaragua und den USA in seinem Urteil von 1986 zur „humanitären
Intervention“ gesagt hat: „Die Anwendung von Gewalt kann keine geeignete
Methode sein, die Achtung der Menschenrechte zu überwachen oder zu sichern.
Hinsichtlich der ergriffenen Maßnahmen ist festzustellen“, so der
Internationale Gerichtshof weiter, „daß der Schutz der Menschenrechte,
ein strikt humanitäres Ziel, unvereinbar ist mit der Verminung von Häfen,
der Zerstörung von Ölraffinerien ... Das Gericht kommt zu dem Ergebnis,
daß das Argument, das von der Wahrung der Menschenrechte in Nikaragua hergeleitet
wird, keine juristische Rechtfertigung für das Verhalten der USA liefern
kann.“
An diesem Stand des Völkerrechts hat sich entgegen der Behauptungen so
mancher bis heute nichts geändert. Aber auch für den Fall, daß man
von der „humanitären Intervention“ als gerechtfertigter Ausnahme
von dem absoluten Gewaltverbot ausgeht- was das Tribunal auch nicht tut -, selbst
dann kann man nicht davor die Augen verschließen, daß die Nato ihr
angestrebtes Ziel der Wiederherstellung erträglicher Menschenrechtsverhältnisse
nicht nur nicht erreicht hat, sondern die ohnehin prekäre Situation noch
dramatisch verschlechtert hat.
Die Zahl der Flüchtlinge und Vertreibungen wie die der Toten, Verletzten
und ihres ganzen Hab und Guts Beraubten ist mit Beginn der Bombardierungen um
ein Vielfaches gestiegen. Hierfür bleibt die Nato dem jugoslawischen Volk
voll verantwortlich.
2. Die Bombardierung der Bundesrepublik Jugoslawien durch die Nato hat aber
auch den Nato-Vertrag selbst gebrochen. Nach Artikel 5 ist die ausschließliche
Funktion der Nato die Verteidigung, nicht aber die militärische Intervention
in Regionen des Bürgerkriegs und innerstaatlicher Auseinandersetzungen.
Zur Prävention oder nachträglichen Befriedung krisenhafter Gebiete
stehen vielfältige friedliche politische und ökonomische Instrumente
im Rahmen der UNO und der OSZE zur Verfügung, die aber bewußt umgangen
worden sind. Der Nato-Vertrag gibt kein Mandat für eine militärische
Intervention außerhalb der Verteidigung des Bündnisgebietes.
3. Darüber hinaus hat sich insbesondere die Bundesrepublik Deutschland
einer Verletzung des Zwei-plus-vier-Vertrages schuldig gemacht, in dem sie sich
noch 1990 dazu verpflichtet hat, daß von ihrem Gebiet nie wieder ein Krieg
ausgehen werde und sie alle militärischen Maßnahmen nur in voller Übereinstimmung
mit den Vorschriften der UNO-Charta vornehmen werde. Diese Verpflichtung hat
sie mit ihrer maßgeblichen Beteiligung am Jugoslawien-Krieg bewußt
gebrochen.
4. Das Tribunal ist ferner der Ansicht, daß die von der Anklage vorgetragenen
Verletzungen des Grundgesetzes und des deutschen Strafgesetzes durch die Bundesregierung
vorliegen. Dies hat auch der Vortrag des Sachverständigen bestätigt.
Desgleichen lassen gute Gründe die Verletzung des Soldatengesetzes durch
die Bundeswehr als wahrscheinlich erscheinen. Das Tribunal sieht sich jedoch
durch den rechtlichen Rahmen, den das Statut ihm gibt, daran gehindert, zu diesen
Rechtsverletzungen einen Schuldspruch auszusprechen. Es möchte diesen Komplex
jedoch weiteren Untersuchungen und Tribunalen für die Rechtsordnung aller
beteiligten Länder, nicht nur Deutschland, sondern auch Frankreich, England,
Italien, übertragen und dazu aufrufen, die Suche nach der Wahrheit dieses
Krieges nicht für beendet zu erklären, sondern weitere Untersuchungen
zu veranlassen und selbst voranzutreiben.
5. Schließlich möchte das Tribunal seiner Befürchtung Ausdruck
geben, daß der Krieg gegen Jugoslawien in der Formulierung des neuen Strategiekonzeptes
vom April 1999 eine geostrategische Bedeutung erlangt hat, die ihn weit über
den Balkan hinaus bis in den euroasiatischen Raum zu einem Modell zukünftiger
militärischer Weltordnung macht. Um eine solche Globalisierung militärisch
imperialer Instrumente zu verhindern, ist es unbedingt notwendig, Vorbedingungen,
Zielsetzungen und Auswirkungen des Krieges gegen Jugoslawien weiter zu untersuchen
und gleichzeitig die Aufmerksamkeit auf die mögliche geostrategische Perspektive
zu lenken.
6. Das Tribunal ist nach umfangreichen Zeugenaussagen und Gutachten von Sachverständigen
zu der Überzeugung gekommen, daß die Kriegsführung der Angeklagten
in schwerem und wiederholtem Maße gegen das humanitäre Völkerrecht
verstoßen hat, wie es im Statut des Tribunals zugrunde gelegt worden ist.
Das Tribunal hat intensiv diskutiert, ob die Verantwortlichkeit für die
völkerrechtswidrige Kriegsführung die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
ebenso trifft wie die Regierungsmitglieder, die die kontinuierliche Ausweitung
der Bombardierung von ursprünglich rein militärischen Zielen auf zivile
Objekte – wie im sogenannten Drei-Stufen-Plan vorgesehen- angeordnet haben. Die
Mitglieder des Tribunals konnten allerdings nicht an der Tatsache vorbeisehen,
daß die Abgeordneten, selbst wenn sie auch nicht an den Kriegsentscheidungen
beteiligt waren, dennoch nichts unternommen haben, die groben Rechtsverstöße
zu verhindern, als sie die Auswirkungen der Bombardierungen erkannten.
Das Tribunal konnte sich nicht von der Verteidigung der Nato und ihrer Regierungen überzeugen,
daß es sich bei den schweren Beschädigungen an zivilen Objekten lediglich
um unbeabsichtigte Kollateralschäden gehandelt hätte. Alle Zeugen und
Sachverständigen bestätigten, daß die Kliniken, Dörfer oder
die Radio- und Fernsehstation RTS mehrmals angegriffen worden seien, was bei
der immer wieder hervorgehobenen Präzision der Bomben und Lenkwaffen nicht
auf Irrtümer zurückzuführen ist. Die Anklagevertretung hat genügend
Stellungnahmen hoher Militärs und Regierungsbeamter vorgelegt, die den strategischen
Plan der Zerstörung ziviler Einrichtungen belegen, um die Bevölkerung
unter Druck zu setzen, sich der Regierung Milosevic auf die eine oder andere
Weise entgegenzustellen. Lediglich im Falle des Luftangriffs auf das Dragisa-Misovic-
Krankenhauszentrum in Belgrad (Anklagepunkt 3) konnten
keine Beweise für wiederholte Bombardierung vorgelegt werden. Dafür
berichtete jedoch der Zeuge Sumkar von mehreren Angriffen auf sein Krankenhaus
in Belgrad.
Das Tribunal konnte sich auch davon überzeugen, daß keines der
in der Anklage aufgeführten und zusätzlich von den Sachverständigen
und Zeugen benannten zivilen Objekte militärische Einrichtungen beherbergte
oder sich in unmittelbarer Umgebung eines solchen befand. Nur in einem Fall wurde
von einer Polizeiakademie in etwa 600 bis 800 Meter Entfernung berichtet – das
bombardierte Krankenhaus war jedoch durch Rotkreuzzeichen auch aus der Luft kenntlich.
Die Verhandlungen haben ergeben, daß die von der Anklage ausgewählten
Beispiele von Angriffen auf zivile Objekte und Personen nur exemplarisch sind
für eine Kriegsführung, die offensichtlich in ihrer dritten Stufe planmäßig
die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft zog, um ihr politisches Ziel, die
Beseitigung der Regierung von Präsident Milosevic, zu erreichen. Diese Kriegsführung
verstößt eindeutig gegen zentrale Vorschriften der Genfer Konventionen
von 1949 und der Zusatzprotokolle von 1977.
Ein besonders schwerer Verstoß ist die Verwendung abgereicherten Urans
und sogenannter Streubomben. Nach aktuellen Angaben soll die Nato etwa zehn Tonnen
abgereicherten Urans über Jugoslawien abgeladen haben. Nach den Erkenntnissen,
die die Benutzung derartigen Materials im Irak durch die Vereinigten Staaten
und Großbritannien erbracht haben, bedeutet dieses Waffenerbe eine Zeitbombe
an Gesundheitsschäden, welches in seinem ganzen Ausmaß noch nicht überschaubar
ist. Derartige Waffen sind nach den Geboten der Vermeidung unnötiger und
langandauernder Leiden und dem Verbot unterschiedslos wirkender Waffen absolut
unzulässig. Ihr Gebrauch stellt eine schwere Verletzung des humanitären
Völkerrechts der Genfer Zusatzprotokolle dar. Das gleiche gilt für
die sogenannten Streubomben, deren noch am Boden liegende und bisher noch nicht
explodierte Reste wie Minen wirken und absolut verboten sind. Beide Waffenarten
stehen zusätzlich unter dem Verbot giftiger und besonders grausamer Waffen.
Der Angriff auf die Radio- und Fernsehstation RTS stellt über den verbotenen
Angriff auf ein ziviles Objekt – welches, wie der Zeuge bestätigte, niemals
für militärische Kommunikation verwendet worden ist – auch einen Eingriff
in die Informationsfreiheit dar. Es war eines der von der Nato mit Fortschreiten
der Bombardierung immer stärker in den Vordergrund gerückten Ziele,
nicht nur die jugoslawische Bevölkerung, sondern auch die Zuschauer und
Zuhörer im Ausland von den Informationen der jugoslawischen Regierung abzuschneiden.
Die Frage der Objektivität derartiger Informationen ist dabei nicht von
Bedeutung und wird sich im Endeffekt auch kaum anders beantworten lassen wie
bei der Information durch die Nato und die Sender der Nato-Staaten.
Das Tribunal ist sich bewußt, daß die von der Anklage vorgestellten
und die in der Verhandlung ergänzend hinzugekommenen Fälle nur ein
Ausschnitt aus einem kriegerischen Szenario von 78 Bombentagen sind, welches
sich mit der zunehmenden Erkenntnis von seiner Erfolglosigkeit immer mehr von
den Gesetzen des humanitären Völkerrechts entfernte und letztlich Gewalt
vor Recht setzte. Daß die Propaganda der Nato so viele Menschen zu einer
passiven wie auch aktiven Unterstützung dieses gesetzlosen Krieges verführte,
ist ein besonders trauriger Aspekt.
Wir können auch nicht unerwähnt lassen, daß zahlreiche Nachbarstaaten
Jugoslawiens wie Makedonien, Bulgarien, Rumänien, Albanien, Bosnien-Herzegowina
und andere sich durch die Gewährung von Überflugrechten, der Zur-Verfügung-Stellung
von Stützpunkten und ähnlicher Dinge zumindest der Beihilfe zu den
Rechtsverstößen schuldig gemacht haben.
Dieses Tribunal darf nicht den Abschluß der Bemühungen um die Wahrheit über
den Krieg gegen Jugoslawien bilden. Zu schwer und noch vollkommen ungelöst
sind die Probleme, die dieser Krieg der ganzen Region gebracht hat. Nicht nur
die physischen und materiellen Schäden, sondern auch die psychischen Verwundungen,
die Demütigungen müssen weiter erforscht und der Öffentlichkeit
deutlich gemacht werden. Dieser Krieg darf nicht das Modell für einen neue
Weltordnung abgeben. Wir müssen endlich den Politikern und Militärs
klar machen, daß mit Krieg weder Menschenrechte noch die Zivilisation zu
retten sind, daß Krieg kein Mittel der Politik mehr sein darf.
Danke sehr.
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