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Chefsache Erdgas
Hermann Werle MieterEcho 14. Mai 2002


Nicht nur der Wassermarkt – wie in den letzten Ausgaben des MieterEchos zu lesen war – sondern auch der Erdgasmarkt befindet sich in einer epochalen Umbruchphase. Als Energieträger des 21. Jahrhunderts wird das Erdgas oft bezeichnet und dementsprechend verspricht der flüchtige Stoff hohe Gewinne für Großkonzerne. Im internationalen Maßstab wird der Erdgasmarkt liberalisiert und durch vielfältige politische Flankierung der privaten Wirtschaft zur Mahlzeit serviert. Was in der kommunalen Sphäre eine Finanzsenatorin auf den Weg brachte, wird nun von Kanzler Schröder und Wirtschaftsminister Müller auf nationalem und internationalem Parkett fortgeführt.

Der 1847 unter dem Namen „Berliner städtische Gaswerke“ gegründete Berliner Gasversorger wurde zwischen 1992 und 1998 in Einzelschritten vollständig privatisiert. 1992 wurde das Unternehmen mit der Ostberliner Erdgas AG zusammengeschlossen und in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Gleichzeitig beschloss der Berliner Senat den Verkauf von Unternehmensanteilen. Damals umfasste die Belegschaft noch rund 4000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. RWE und Ruhrgas kauften 1994 für insgesamt 520 Millionen Mark jeweils 11,95 Prozent an der GASAG. Seinerzeit wertet das Magazin Focus die Beteiligungen als strategische Einkäufe, mit denen sich die Großkonzerne schon frühzeitig für den kommenden Wettbewerb positionieren wollten. Zu den von Seiten des Senats angekündigten fallenden Gaspreisen bemerkt das Magazin: „Dass die Wahl ausgerechnet auf den GASAG-Lieferanten Ruhrgas fiel, zeigt klar, dass es kaum um Förderung des Wettbewerbs und günstige Verbraucherpreise ging, sondern um einen hohen Verkaufserlös.“

Das Schlusskapitel der GASAG-Privatisierung schrieb Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing: Mit Hilfestellung der Investmentbank Merrill Lynch - einigen bekannt aus der Enron-Bush-Affäre – wurden 1998 die letzten kommunalen Anteile der GASAG an das Konsortium aus Bewag und Gaz de France veräußert. Der Betrieb hat zu diesem Zeitpunkt noch annähernd 2500 Beschäftigte.

Nur vier Jahre später präsentiert nun die komplettprivatisierte GASAG ihren Geschäftsbericht „Energie, die begeistert“. Wachsende Gewinne werden dort festgestellt und nur noch ein geringer Personalabbau angekündigt. Über Letzteres können sich vermutlich nur noch einige der inzwischen 1040 Beschäftigten freuen.


„Der Mann fürs Feine“

Wirklichen Grund zur Freude über die Bilanzen der GASAG haben vor allem das obere Management der Gesellschaft und der Anteilseigner der GASAG. Dazu gehören unter anderem die E.ON (12,95 Prozent) und die Ruhrgas AG (11,95 Prozent). Diese planen seit einigen Monaten ihren Zusammenschluss, um neue Märkte rund um den Globus zu erschließen. Als in diesem Jahr die Fusion beantragt wurde, machte ihnen das Bundeskartellamt einen Strich durch die Rechnung. Damit war das letzte Wort jedoch noch nicht gesprochen - die Übernahme der Ruhrgas AG durch E.ON erhielt den Segen von allerhöchster Stelle: Bundeskanzler Gerhard Schröder und Wirtschaftsminister Werner Müller wollten die Megafusion mit allen Mitteln durchsetzen. Um sich bei der umstrittenen Ministererlaubnis kurz vor den Bundestagswahlen nicht die Finger zu verbrennen, schoben sie vorsichtshalber ihren Staatssekretär Tacke ins Rampenlicht. Alfred Tacke gilt als einer der engsten Vertrauten Gerhard Schröders in Wirtschaftsfragen. Laut Manager-Magazin gehört „der Mann fürs Feine“ zu der Gruppe der Frogs, den „Friends of Gerd“. 1998 war er federführend bei der Privatisierung des niedersächsischen Stahlkonzerns Salzgitter und im Jahr darauf maßgeblich beteiligt bei den Verhandlungen mit der Energiewirtschaft um den Atomausstieg. Der Staatssekretär schien also prädestiniert, den Widerstand gegen die Fusion zu brechen. Das Bundeskartellamt hatte im Januar 2002 die Ruhrgas-Übernahme mit dem Hinweis auf die drohende marktbeherrschende Stellung auf den Strom- und Gasmärkten unterbunden. Ein einleuchtendes Argument im Sinne des freien Wettbewerbs: Ruhrgas ist mit 60 Prozent Marktanteil der mit Abstand größte Gasverkäufer Deutschlands und E.ON der drittgrößte. Zudem verfügen beide Unternehmen über zahlreiche Beteiligungen an Stadtwerken und Regionalversorgern, so dass die in- und ausländische Konkurrenz auf dem Gas- und Strommarkt nahezu chancenlos ist.


Wettbewerb ist nicht alles

Nachdem mit der Privatisierung vieler kommunaler Wasser-, Strom- und Gasversorger die Grundversorgung der Bevölkerung nicht mehr in die staatliche Verantwortung gehört - was bereits genug negative Auswirkungen auf Beschäftigungsverhältnisse, Preise und Qualität mit sich bringt - soll nun ein privates Monopol geschaffen werden, welches allein über Wohl und Wehe des wichtigsten Energieträgers neben dem Erdöl zu entscheiden hat. Um die Privatisierungen kommunaler Versorgungseinrichtungen zu legitimieren und den Protest zu schwächen, erklären die politisch Verantwortlichen aller Parteien den Verbrauchern seit Jahren, dass staatliche Monopole ineffizient seien und deshalb zu hohen Preisen führten. Eine Liberalisierung der Märkte, sprich Wettbewerb, sei also oberstes Gebot und nur im Sinne der Konsumenten. Abgesehen davon, dass sich diese Versprechen nur zum Teil erfüllen – wie bei der Telekommunikation – vollziehen sich Privatisierungen grundsätzlich auf Kosten der Arbeiter und Angestellten: Personalabbau und Lohneinbußen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. In der Wochenzeitung „Die Zeit“ möchte uns nun, stellvertretend für die Bundesregierung, Carl Christian von Weizsäcker davon überzeugen, dass doch nicht der Wettbewerb, sondern im Falle des Gasmarktes vielmehr die Einschränkung des Wettbewerbs das Beste für das Gemeinwohl sei. In seinem Beitrag mit dem Titel „Wettbewerb ist nicht alles“, bekennt er, dass er kein Wettbewerbsfundamentalist sei und an das staatliche Gewaltmonopol appelliere, um dem Wettbewerb im Gasgeschäft einen Ordnungsrahmen zu setzen. „Wer hier blindlings dem Walten des Wettbewerbs vertraut, der ist ein Schönwetterökonom“ lernen wir von dem Autor, der zugleich Berater des E.ON-Konzerns ist. Schönwetterökonomie wollten sich Schröder und Müller gewiss nicht nachsagen lassen. In vertraulichen Gesprächen mit E.ON-Chef Ulrich Hartmann signalisierte die Bundesregierung schon sehr frühzeitig ihre Unterstützung des Deals.


Bundesregierung mit E.ON fusioniert?

Nach der Unterbindung der Übernahme durch das Kartellamt, reicht E.ON - laut Financial Times Deutschland – „wie verabredet im Hause Müller den Antrag auf Ministererlaubnis ein“. Mit einer Ministererlaubnis, wie sie nach Paragraph 42 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) vorgesehen ist, kann die Unterbindung aufgehoben werden, „wenn ausnahmsweise die Beschränkung des Wettbewerbs aus überwiegenden Gründen der Gesamtwirtschaft und des Gemeinwohls notwendig ist“. Seit 1974 wurden 16 Anträge auf dieses Verfahren gestellt, wovon lediglich in fünf Fällen eine Erlaubnis erteilt wurde. Der eigentlich zuständige Wirtschaftsminister Müller befürchtete, im Rahmen dieses Verfahrens in den Verdacht der Befangenheit zu geraten und dadurch im Vorwahlkampf unnötig Staub aufzuwirbeln. Sicherlich keine falsche Einschätzung vor dem Hintergrund seiner früheren Managerposten bei den RWE und seit 1980 bei der Veba. Bei dem Vorgänger der E.ON steht Müller nach Aussage des FDP Wirtschaftsexperten Rainer Brüderle noch auf der Pensionsliste und außerdem unter dem Verdacht, nach der Wahl wieder auf die E.ON-Gehaltsliste zu wollen. Der Wirtschaftsminister hat seit jeher einen Faible für deutsche Großkonzerne, die im internationalen Vergleich in der ersten Liga mitspielen sollen. Der von Müller beauftragte Tacke, der am 5. Juli die Ministererlaubnis erteilte, ist sicherlich nicht weniger befangen, im Zweifelsfalle aber das kleinere Opfer beim Scheitern der umstrittenen Erlaubnis. Denn Kritik an dieser Fusion haben nicht nur die Kartellwächter. Ob der Verwicklungen zwischen Wirtschaft und Politik fragt der Bund der Energieverbraucher e.V.: „Wann fusioniert die Bundesregierung mit E.ON?“ und merkt des Weiteren an, dass es „möglicherweise die Aufgabe künftiger Untersuchungsausschüsse oder gar der Justiz sein wird, die tatsächlichen Hintergründe und Motive dieser Entscheidung auszuleuchten und zu bewerten.“

Zunächst ist jedoch ein anderes Gericht mit dem Fall betraut. Wolfgang Jaeger, der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts Düsseldorf stoppte vorläufig die Ministererlaubnis; zwar nur aus formellen Gründen, jedoch vor dem Hintergrund der erheblichen Bedenken in der Sache. Vor dem Landesgericht hatten zwei eher als Zwerge der Energiebranche zu bezeichnende Unternehmen sowie die Stadtwerke Aachen und Rosenheim Klage gegen die Fusion eingereicht. Die Energiehändler Ampere und Trianel bemängeln, dass es vor dem mündlichen Verfahren und der Ministerentscheidung geheime Kontakte zwischen E.ON und Ministerium sowie Treffen zwischen Tacke und Hartmann gegeben habe. Tacke war zudem bei der öffentlichen Anhörung am 29. Mai nicht anwesend gewesen, was ebenfalls gegen die formellen Vorschriften des Verfahrens verstößt.

Eine richterliche Entscheidung über die Wirksamkeit der Ministererlaubnis wird für den Herbst erwartet. Inzwischen will das Wirtschaftsministerium prüfen, ob eine Wideraufnahme des Ministererlaubnisverfahrens möglich ist, wobei auf die Anwesenheit von Staatssekretär Tacke besonderer Wert gelegt werden würde.

Und was sagt eigentlich der größte nationale Widersacher – die RWE – zu der Mega-Hochzeit? Erstaunlich wenig ist aus der Vorstandsetage des Essener Konzerns zu hören. Zu erklären ist dies damit, dass zu den Auflagen der Ministererlaubnis gehört, dass sich E.ON von seiner Wasser-Tochter Gelsenwasser zu trennen hat. Und wer wird die wohl übernehmen? Mit Gelsenwasser könnte es RWE gelingen, an der französischen Konkurrenz – Vivendi und Suez – vorbeizuziehen und sich auf Platz eins der global players für Wasser zu platzieren. Zum global player im Erdölsektor reicht es den deutschen Konzernen zwar nach wie vor nicht, aber es läuft trotzdem alles wie geschmiert.

Erschienen in MieterEcho (Zeitung der Berliner MieterGemeinschaft)
www.bmg.ipn.de
 14. Mai 2002