Wir bleiben alle
Christoph Villinger MieterEcho
27. April 2004
Im Kreuzberger Waldekiez organisiert sich der Widerstand gegen die Vertreibung
durch Spekulanten
Schwarze Tücher hingen Ende Januar aus vielen Fenstern in der Waldemarstraße
in Kreuzberg. Damit setzten die Mieter/innen ein gemeinsames Zeichen der Trauer
gegen die befürchtete Zerstörung ihres Kiezes durch die Privatisierungspolitik
der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Inzwischen ist der erste Schock
auf Grund der rabiaten Entmietungspolitik einiger der neuen Privatbesitzer überwunden.
Jetzt stellen sich die Bewohner/innen gemeinsam den neuen Bedingungen und beginnen
sich zu wehren. Die Fragen auf ihrem ersten Flugblatt „Stirbt der Kiez?
Müssen wir alle gehen?“ beantwortet die Betroffenengemeinschaft Waldekiez
nun mit einem klaren „Nein! Wir werden gemeinsam etwas tun!“
Seit der Aufhebung des Sanierungsgebiets „Kottbusser Tor“ im Jahr
2002 zwingt der Senat von Berlin die städtische Wohnungsbaugesellschaft
Bewoge, ihren Bestand von knapp hundert Mietshäusern rund um den Waldekiez
zu verkaufen. Teils gelang es der Bewoge, die Häuser an die Mieter/innen
oder lokale Gewerbetreibende zu verkaufen, einige Häuser gingen aber an
so genannte Investoren. Diese betreiben vor allem die schnelle Entmietung der
Häuser, um dann nach einer Luxusmodernisierung die einzelnen Wohnungen teuer
weiterverkaufen zu können. Die Einnahmen aus dem Verkauf des kommunalen
Eigentums verbleiben nicht bei der städtischen Wohnungsbaugesellschaft,
sondern dienen zum Stopfen der sonstigen Löcher im Landeshaushalt.
Milieuschutz gefordert
Innerhalb weniger Wochen gelang es der Betroffenengemeinschaft Waldekiez,
ihr Anliegen in der Kreuzberger Lokalpolitik zum Thema zu machen. So verabschiedete
die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg fast einstimmig
eine Resolution, in der das Bezirksamt aufgefordert wird, beim Senat auf die
Einhaltung von „Mieterschutzkonzepten“ zu drängen. Inzwischen
haben die Lokalpolitiker/innen von PDS, Grünen und sogar der SPD erkannt,
dass die Privatisierung des öffentlichen Wohnungsbesitzes nicht nur den
Waldekiez betrifft, sondern nach der Aufhebung des Sanierungsgebiets Chamissoplatz
auch dort ziemlich schnell zum Thema werden wird. Ganz zu schweigen vom geplanten
Verkauf der GSW, wovon in Kreuzberg vor allem südlich des Kottbusser Tors
etwa 10.000 Wohnungen betroffen sein werden. In einem Flugblatt hatte die Betroffenengemeinschaft
Waldekiez, die mit etwa 50 Anwohner/innen zur Sitzung gekommen war, vor allem „eine
begleitende Betreuung vor, während und nach den Verkäufen“ gefordert.
Ebenso drängen sie auf eine „Aktualisierung der Mietverträge,
auch für Gewerbemieter, vor dem Verkauf der Häuser“ und einen
umfassenden Milieuschutz. Denn im Augenblick sehen sie grundsätzlich wenig
Möglichkeiten, die Privatisierungspolitik des Senats zu stoppen. Deshalb
forderte die BVV in einer weiteren Resolution, dass das Bezirksamt beim Senat
auf die Einhaltung des „8-Punkte-Programms, Grundsätze zur Wohnraumprivatisierung
in Berlin“ pochen soll. Darin heißt es unter anderem, dass die Mieter/innen
eindeutig Vorrang beim Kauf der Wohnungen haben, egal ob sie nun mit „ihrem“ Haus
einer Genossenschaft beitreten oder als Eigentümergemeinschaft selbst kaufen
wollen. Darüber hinaus müssen die Bewohner/innen ausführlich beraten
werden und nur „im begründeten Ausnahmefall“ ist eine „Veräußerung
an sonstige Investoren“ möglich. Außerdem soll den Mieter/innen „vor
einem Verkauf der Wohnungen an Dritte“ ein „umfassender und unbefristeter
Schutz vor Eigenbedarfskündigung und Kündigung wegen Hinderung der
angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“ gewährt werden.
In einer längeren Stellungnahme antwortete Baustadtrat Franz Schulz von
den Bündnisgrünen auf eine Anfrage von Thomas Römer von der PDS.
Grundsätzlich verwies Schulz zuerst darauf, dass in den letzten Jahren den öffentlichen
Wohnungsbaugesellschaften von „allen Senaten“ erhebliche Summen entzogen
und diese zur Konsolidierung des Landeshaushalts verwendet wurden. Deshalb seien
nun von den sieben noch bestehenden städtischen Wohnungsbaugesellschaften
sechs hochverschuldet und müssten Teile ihres Bestands privatisieren. Die
Ausweisung als Milieuschutzgebiet bringt nach Meinung von Schulz leider nicht
viel, „weil Mietsteigerungen auch innerhalb des gesetzlichen Rahmens des
normalen Mietsrechts heftig vorangetrieben werden können“. Vielmehr
verwies er auf die Möglichkeit, dass das Land Berlin im Rahmen des Baugesetzbuchs
eine Rechtsverordnung erlassen könnte, mit der für zehn Jahre der Weiterverkauf
als Eigentumswohnungen unterbunden werde.
Doch dabei handelt es sich eher um politische Fensterreden, denn die Zielsetzung
des Senats ist die Umwandlung der Mieterstadt Berlin in eine Eigentümerstadt.
Die Senatoren Peter Strieder und Thilo Sarrazin (beide SPD) vergleichen dabei
Berlin immer wieder mit Paris, Rom oder Barcelona, wo es fast nur noch Eigentumswohnungen
gibt. Deshalb ist auch Schulz klar, dass der Senat aus haushaltspolitischen Gründen
die Mieterrechte nicht stärken wolle, denn „so können weniger
Häuser verkauft werden“. Letztlich konnte Schulz auch nur die Bildung
einer Arbeitsgruppe vorschlagen, „in der sich Abgeordnete, Wohnungsbaugesellschaften
und die Mieterinitiativen an einen gemeinsamen Tisch setzen und diese Prozesse
begleiten“. Denn bisher verweigerten die Wohnungsbaugesellschaften sogar
gegenüber dem Bezirksamt die Auskunft darüber, welche Häuser auf
den Verkaufslisten stehen. Mit Zwischenrufen gaben allerdings die Mieter/innen
aus dem Waldekiez zu verstehen, dass sie dies keinesfalls als Alternative dazu
sehen, den rot-roten Senat wegen seiner Privatisierungspolitik anzugreifen.
Forderungen der Betroffenengemeinschaft Waldekiez:
- die Aktualisierung der Mietverträge vor dem Verkauf der Häuser,
- Beratung zu den Verkäufen,
- ein Gremium, das den korrekten Umgang mit den Mietern nach dem Verkauf kontrolliert
und gegebenenfalls eingreift,
- Milieuschutz.