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Vom Streik zur Bewegung?
Freunde und Freundinnen der klassenlosen
Gesellschaft 15. Dezember 2006



Überlegungen zum Arbeitskampf bei BSH Berlin

„Tatsache ist: Die deutsche Disziplin und Ruhe könnten trügerisch sein. Eine neue RAF ... ist nicht in Sicht. Aber wenn irgendwo 200 empörte Arbeiter, die entlassen werden sollen, obwohl der Konzern insgesamt schwarze Zahlen schreibt, alles kurz und klein schlagen, kann ein einziger Gewaltausbruch dieser Art einen Flächenbrand auslösen, wie einst der unpolitische Mordversuch an Rudi Dutschke zu Ostern 1968.“

Peter Glotz (SPD), Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Mai 2005


Trotz einiger Kämpfe gegen Massenentlassungen und Betriebsschließungen, beispielsweise bei Opel Bochum, AEG Nürnberg und dem Berliner Baumaschinenwerk CNH, kam es bisher nicht zu dem von Peter Glotz befürchteten Flächenbrand. Die verschiedenen Streiks und Auseinandersetzungen, die in den letzten Jahren stattfanden, blieben weitestgehend isoliert voneinander. Auch der Kampf bei Bosch-Siemens-Hausgeräte (BSH) Berlin im Herbst 2006, der sich gegen die geplante Schließung des Produktionsstandorts richtete, war kein Startschuss für eine breitere Bewegung.

Im Gegensatz zu anderen Auseinandersetzungen suchten die BSH-Arbeiter jedoch den Zusammenschluss mit anderen Beschäftigten und probten den Aufstand gegen die Gewerkschaft. Dennoch gelang es ihnen nicht, dem Unternehmen ihren Willen aufzuzwingen und den Erhalt aller Arbeitsplätze durchzusetzen.

Auf ihrem Solidaritätsmarsch durch die Bundesrepublik traten sie in direkten Kontakt mit anderen Arbeitern und entwickelten im Laufe dieser Reise durch die ihnen entgegengebrachte Solidarität ein Gefühl der eigenen Stärke. Sie lehnten den von der IG Metall ausgehandelten und als Sieg verkauften Kompromiss mit einer satten Zweidrittelmehrheit ab und äußerten lautstark ihren Unmut über dieses Ergebnis. Dennoch fügten sie sich letztendlich der Aufforderung zur Beendigung aller Kampfmaßnahmen, denn die Enttäuschung über die Verhandlungsführer führte nur zu Frustration, Wut und Resignation. So schafften die Streikenden es nicht, sich aus der gewerkschaftlichen Gängelung zu befreien und das weitere Vorgehen selbst zu bestimmen.

Nachdem zwei Wochen lang täglich Betriebsversammlungen durchgeführt wurden und die Produktion still stand, entschloss sich die Gewerkschaft Ende September zu einem offenen Streik gegen die drohende Betriebsschließung zum Jahresende. Es folgte das übliche Ritual: Tische und Stühle wurden aufgestellt, IG Metall-Fähnchen in den Boden gesteckt, beschriftete Müllsäcke über den Kopf gezogen, das Firmenlogo mit der obligatorischen Botschaft („Dieser Betrieb wird bestreikt“) geschmückt und nicht sonderlich originelle Transparente mit Aufschriften wie „Wir wollen arbeiten“ und „Siemens entlässt seine besten Kinder“ aufgehangen.

Ganz im sozialpartnerschaftlichen Sinne war sich die IG Metall mit der Unternehmensleitung schon im Voraus einig, ihren Beitrag zu der geplanten „Kostensenkung“ im Umfang von 8,5 Millionen Euro leisten zu wollen – nur über das Wie herrschte Uneinigkeit.

Hier und da wurde zwar über den angebotenen Lohnverzicht gemurrt, aber wenn man die Beschäftigten in jenen Tagen fragte, wie es denn weitergehen solle und welche Aktionen geplant seien, verwiesen sie achselzuckend auf ihre Anführer. Es machte den Anschein, als hätten die Arbeiter den Lohn des Betriebs gegen den Scheck der Gewerkschaft getauscht, die Anweisungen des Vorarbeiters gegen jene der Funktionäre und die monotone Beschäftigung im Werk gegen das gelangweilte Herumsitzen außerhalb.

So plätscherte der Streik vor sich hin, weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Es folgten ein paar kleinere Aktionen, eine Demonstration durch Siemensstadt und ein Solidaritätsfest auf dem Betriebsgelände. Einige Politiker ließen sich sehen und bekundeten ihre Solidarität – die Beschäftigten dankten es ihnen mit Applaus. Von Selbsttätigkeit und Leidenschaft war, zumindest auf dem Werksgelände, wenig zu spüren und so könnte man diesen Streik in eine Reihe von Abwehrkämpfen stellen, wie sie selbst in diesem beschissenen Land in letzter Zeit des öfteren aufflammten, zum Beispiel bei der AEG Nürnberg oder dem Berliner Baumaschinenwerk CNH.


Solidarität und Selbsttätigkeit

Der Streik nahm jedoch eine andere Entwicklung, als man es in diesen Tagen vermutet hätte – ausgehend von einer Idee des Kampfes, der über die Grenze des eigenen Betriebes hinausgehen sollte. Während in Berlin weiter die Toreinfahrten bewacht wurden, um einen möglichen Abtransport der Maschinen zu verhindern, machten sich etwa 50 Arbeiter auf, um andere Produktionsstandorte in ganz Deutschland zu besuchen. Auf dem so genannten Marsch der Solidarität besuchten sie verschiedene Betriebe, diskutierten mit anderen Lohnabhängigen über ihre Situation und verteilten Flugblätter in den jeweiligen Fußgängerzonen. Sie warben um Solidarität mit dem Ziel, zusammen mit möglichst vielen Arbeiterinnen aus den verschiedensten Fabriken vor der Siemenszentrale in München mit einer Großkundgebung ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen.

In Nauen blockierten sie einen Tag lang das dort ansässige BSH-Werk, in Kamp Lintfort schlossen sie sich mit den Beschäftigten der ehemaligen Siemens-Mobiltelefonsparte BenQ zusammen und demonstrierten durch den Ort, begleitet von der städtischen Feuerwehr, den ortsansässigen Stahlkochern und weiten Teilen der Bevölkerung. Doch nicht nur Betriebe des Siemens-Konzerns waren das Ziel, auch den Beschäftigten von Miele statteten sie einen Besuch ab und leisteten dadurch einen Beitrag, der Konkurrenz unter den Arbeitern praktisch entgegen zu wirken. Eine weitere positive Erfahrung machten sie bei AEG Nürnberg, wo ein großer Teil der dort Beschäftigten seine Arbeit unterbrach, um mit den Berliner Streikenden zu diskutieren.

Durch die ihnen entgegengebrachte Solidarität entwickelte sich allmählich Vertrauen in die eigene Macht. Verteilten sie anfänglich noch Flugblätter, die ihnen die Gewerkschaft mit auf den Weg gab, schrieben sie später ihre eigenen mit selbst aufgestellten Forderungen. Sie traten immer selbstbewusster auf, und, gestärkt durch die Zusage vieler anderer Arbeiter auch nach München kommen zu wollen, diskutierten sie auch andere von kämpfenden Arbeitern gemachte Erfahrungen jenseits des Legalismus wie zum Beispiel Bahnhofs- und Autobahnbesetzungen.

Das Neue gegenüber vergleichbaren Streiks in den letzten Jahren bestand nicht darin, dass die Ziele radikaler gewesen wären. Genau wie bei Opel oder AEG waren die Arbeiter von BSH in der Defensive. Das Neue lag in der Tatsache, dass sie sich nicht einfach in ihrem Werk verbunkert, sondern den ersten und unverzichtbaren Schritt für jede Bewegung von Lohnabhängigen gegen das Kapital gemacht haben: Sie suchten den Kontakt zu anderen Arbeitern, selbst zu Arbeitern von Konkurrenzbetrieben. Und sie haben begonnen, Selbsttätigkeit zu entwickeln.


Die Gewerkschaft würgt den Streik ab

Eben das missfiel nicht nur der Unternehmensleitung, sondern auch der Gewerkschaft. Einerseits brauchen Gewerkschaften eine auch mal grollende Basis, mit der sie Unternehmern und Regierung drohen können. Andererseits haben sie vor nichts so viel Angst wie vor eben der „Aufkündigung des sozialen Friedens“, von der sie immer reden, wenn sie ihre Verhandlungsposition verbessern wollen.

Wenig verwunderlich daher, dass die IG Metall der sich entwickelnden Dynamik des Solidaritätsmarsches in einer Nacht- und Nebelaktion ein jähes Ende bereitete – genau einen Tag vor dem erwarteten Höhepunkt: der Großkundgebung vor der Siemens-Zentrale in München. Die Verhandlungsführer unterzeichneten einen „Kompromiss“ ganz nach Geschmack der Unternehmensleitung und teilten diesen schon der Öffentlichkeit in einer Pressemeldung mit, bevor die davon betroffene Belegschaft im Ganzen auch nur informiert worden war: 216 Entlassungen, Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich, Wegfall der Schichtzulage, Streichung der Jahreszulage, Kürzungen bei der Urlaubsvergütung und den Sonderzahlungen. Die Gegenleistung: Eine unverbindliche Absichtserklärung, das Werk in Spandau bis 2010 zu erhalten.

Die Kundgebung wurde abgeblasen, die Arbeiter, die bereits in Bussen auf dem Weg nach München waren, wurden kurzerhand zurückgerufen, nachdem sie wochenlang durchs Land gezogen waren und Solidarität mit ihrem Streik eingefordert hatten. „Wir sind von der IG-Metall, der wir zu hundert Prozent vertraut haben, vollkommen benutzt und verarscht worden“, so ein BSH-Arbeiter (siehe das nachstehende Interview).


Zwischen Rebellion und Resignation

Wie sehr es bei dem Deal darum ging, die durch den Streik entstandene Unruhe und Bewegung so schnell wie möglich zu beenden, wurde bei der Präsentation des Verhandlungsergebnisses deutlich: Ein Punkt in der Einigung zwischen Siemens und IG Metall lautete, dass es keine Kundgebungen und Demonstrationen außerhalb Berlins mehr geben dürfe. Ob ein solcher Knebelvertrag überhaupt legal ist, mögen die Rechtsgelehrten entscheiden und tut hier nichts zur Sache. Die BSH-Belegschaft jedenfalls traute ihren Ohren nicht, als die Einigung vorgetragen wurde, erhob sich von den Bänken und forderte in einer öffentlichen Abstimmung die Fortführung des Streiks. Wutentbrannt verließen die Arbeiterinnen das Streikzelt und beschimpften die Verhandlungsführer als Streikbrecher.

Bei der Urabstimmung fiel das miserable Verhandlungsergebnis dann auch durch: Zwei Drittel der Belegschaft votierten dagegen, ein Drittel dafür. Doch das deutsche Streikrecht ist eine ausgeklügelte Technik des sozialen Friedens: Während ein Streik nur mit 75 Prozent Zustimmung begonnen werden darf, reichen 25 Prozent Zustimmung, um ihn zu beenden. Die Mehrheit der Arbeiter war gegen das Ende des Streiks, aber juristisch betrachtet hatten IG Metall und Unternehmensleitung ihr Ziel erreicht. Für kurze Zeit schien alles möglich, zwischen den Arbeiterinnen und ihren Repräsentanten hatte sich eine Kluft aufgetan, die nur mühsam wieder geschlossen werden konnte.

Nach zwei Tagen Ungewissheit wurde der Streik auf einer Versammlung endgültig begraben. Der Betriebsratsvorsitzende Güngor Demirici machte den verständnisvollen demokratischen Moderator; er hatte offensichtlich die Hosen voll und erklärte vor etwa 200 Arbeiterinnen und Arbeitern gebetsmühlenartig, jetzt könne man ja „miteinander reden“. Und tatsächlich: Er redete wie ein Wasserfall – nur die Gegner des Streikabbruchs blieben stumm, abgesehen von einigen Zwischenrufen. Die Versammlung wurde beendet und der Streik war erledigt.

Wilde Streiks und Fabrikbesetzungen sind in Deutschland ungewöhnlich und nicht unriskant. Es wäre dreist, den BSH-Arbeitern vorzuhalten, dass sie diesen Schritt nicht gemacht haben – zumal wenn man selbst nur Unterstützer des Streiks ist, der nichts riskiert. Aber es war bitter zu sehen, wie eine Belegschaft, die sich noch kurz zuvor gegen die Gewerkschaft aufgelehnt hatte, plötzlich, als es ernst wurde, ratlos und sprachlos da stand. Der kurze Moment des Aufruhrs war verstrichen und die Macht des Gewerkschaftsapparates und die Angst vor dem Existenzverlust erdrückten alles Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten.


Vom Kampf gegen Betriebsschließungen zur Kritik des Lohnsystems?

Das Ende des Streiks bei BSH hat wieder einmal gezeigt, dass die Drohung der Produktionsverlagerung ein wirksames Mittel ist, um Lohnkosten zu senken und Kündigungen in großem Umfang durchzusetzen. Die sich zur Wehr setzenden Arbeiterinnen und Arbeiter sind in der Defensive, und sogar die traditionellen gewerkschaftlichen Forderungen nach Lohnerhöhung oder besseren Arbeitsbedingungen bleiben in der allgemeinen Stimmung des Durchpeitschens sozialer Angriffe immer öfter auf der Strecke. Die Ausgangslage für Arbeitskämpfe scheint sich verschlechtert zu haben, und die Gewerkschaften geben sich mittlerweile meist schon mit dem bloßen Standorterhalt zufrieden. Entsprechend feiert die IG Metall den ausgehandelten Kompromiss bei BSH als einen Sieg: „Wichtigstes Ziel erreicht: Arbeit und Produktion bleiben erhalten!“

Die BSH-Arbeiter fühlen sich zu Recht verarscht, denn ihnen ging es um den Erhalt aller Arbeitsplätze, und die Gewerkschaft hat den Kampf genau in dem Moment sabotiert, als er an Schwung gewann. Keine Frage: Solche Streiks gegen Betriebsschließungen stellen die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht in Frage. Aber sie beschneiden die Freiheit des Kapitals, nach Belieben hier ein Werk dicht und dort eines mit billigeren Arbeitern aufzumachen. Moralische Empörung darüber ist lächerlich. Das Kapital kennt keine andere Logik als die, aus einem Euro zwei zu machen. Es lebt von der Konkurrenz unter den Arbeitern.

Mit dem Marsch der Solidarität hat die BSH-Belegschaft begonnen, diese Konkurrenz zu überwinden. Wenn die Arbeiterinnen anfangen sich auszutauschen und feststellen, dass alle in der gleichen Situation stecken, sie ständig damit bedroht sind, ausrangiert und auf Hartz IV gesetzt zu werden, dann ist immerhin ein Anfang gemacht.

Aber es kann nicht um eine Bewegung für den Erhalt von Arbeitsplätzen gehen. Die ständige Unsicherheit und die Erpressung durch die Unternehmen sind zwingende Folgen des Lohnsystems, also einer Gesellschaft, in der wir unsere knappe Lebenszeit verkaufen müssen, um überleben zu können. In der wir nicht darüber bestimmen können, was und wie produziert wird. In der Arbeiter darum kämpfen, weiterhin 40 Stunden die Woche in einer beschissenen Fabrik arbeiten zu dürfen, weil ihnen andernfalls der soziale Abstieg droht. Aus diesem Elend könnte nur eine Bewegung für die Vergesellschaftung der Produktion herausführen, die mit der Lohnarbeit Schluss macht. Nur dann wäre die weltweit steigende Produktivität auch nicht länger eine Bedrohung, die Angst um die eigene Existenz auslöst, sondern die Grundlage für ein von der Schufterei befreites Leben.

Die Abschaffung der Lohnarbeit ist nichts, was sich eine einzelne Belegschaft auf die Fahnen schreiben könnte. Sie wird erst zur praktischen Möglichkeit, wenn die soziale Krise eine breite Bewegung auf den Plan ruft. Der Kampf der BSH-Arbeiter hätte der Anfang einer solchen Bewegung werden können. Mit ihrer Sabotage des Streiks hat die Gewerkschaft in aller Deutlichkeit gezeigt, dass sie daran kein Interesse hat. Zukünftige Auseinandersetzungen werden sich nicht zuletzt daran entscheiden, ob die Arbeiterinnen und Arbeiter die Konsequenzen daraus ziehen und ihre Angelegenheiten in die eigenen Hände nehmen.
 15. Dezember 2006