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„Es muss sich in dieser Scheiß-Republik was bewegen!“
Freunde und Freundinnen der klassenlosen
Gesellschaft 15. November
2006
Interview mit einem Schicht-Arbeiter, seit rund 20 Jahren bei BSH Berlin
Wie ist nach dem Streik die Stimmung im Werk?
Vergiftet und demoralisiert. Es besteht allgemein Wut auf den Gesamtbetriebsrat
und die IG Metall. Die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich von der Gewerkschaft
verraten. Ich persönlich vermeide heute den Kontakt zum Betriebsrat, mit
einer Ausnahme. Auch mit den Kollegen, die sich als Streikbrecher entpuppt haben,
will ich keinen Kontakt haben. Vierzehn Tage vor Beginn des Streiks ist noch
eine erstaunlich hohe Anzahl von Kollegen in die IG Metall eingetreten. Die haben
teilweise ein höheres Streikgeld bekommen als Leute die seit über 20
Jahren einbezahlt haben, da sie einen höheren Monatssatz abdrückten.
Für die Zukunft müsste man sich überlegen, ob man es zulässt,
dass kurzfristig Leute in die Gewerkschaft eintreten. Außerdem waren das
vor allem Leute, die sich an den vorherigen Auseinandersetzungen nie beteiligt
und auch sonst sehr unsolidarisch verhalten haben. Meine Vermutung ist, dass
ihnen unter der Hand ein Angebot der Übernahme unterbreitet wurde, was dazu
geführt hat, dass besonders diese Gruppe von Kolleginnen und Kollegen bei
der Urabstimmung für die Beendigung des Streiks gestimmt und dies auch öffentlich
erklärt hat. Ich persönlich möchte mit diesen Leuten nichts zu
tun haben, weil ich der Meinung bin, dass man mit Streikbrechern und Mobbern
keine Diskussionen führen sollte.
Diskutiert ihr gemeinsam über eure Zukunft oder regelt das jeder für
sich alleine? Und gibt es Tendenzen im Werk, sich die Abfindung zu schnappen
und damit endlich eine Möglichkeit zu haben, dem grauen Fabrikalltag zu
entfliehen?
Die Auseinandersetzung um die Abfindungen und die Zukunft der Kollegen ist
keine berufliche, sondern eine existenzielle Frage. Die meisten Kollegen wollen
kündigen und sich mit einer guten Abfindung aus dem Werk verabschieden.
Denn ein Großteil der Leute sieht für sich keine Zukunft mehr bei
BSH Berlin. Neue Investitionen in das Werk sind nicht vorgesehen, dafür
gehen viele Aufträge an das Werk in Nauen, nach Polen und in die Türkei.
Es ist momentan noch total unklar, wer gekündigt und wer übernommen
werden soll. Der Krankenstand im Berliner Werk ist dementsprechend hoch. Die
Kollegen haben keine Energie mehr für einen erneuten Arbeitskampf. Deshalb
wird es wahrscheinlich viel mehr Kollegen geben, die freiwillig kündigen
wollen, als im Verhandlungsergebnis vereinbart wurde. Ich schätze die Zahl
auf etwa 400 Leute, aber es soll ja nur für 216 Kollegen aus dem Siemens-Fonds
eine Abfindung gezahlt werden. In diesem Fonds sind 23 bis 25 Millionen Euro,
pro Person macht das eine Abfindungssumme von etwa 90 000 Euro brutto – verdammt
wenig für Leute die teilweise 20 oder 25 Jahre hier arbeiten! Es ist übrigens
kaum bekannt, dass Siemens die Abfindungen nicht allein aus eigener Tasche bezahlt,
sondern dafür durch das deutsche Steuerabschreibungsrecht auch staatlich
bezuschusst wird. Einerseits wollen die Leute gehen, andererseits haben sie aber
auch Angst davor, da das Geld wahrscheinlich nicht reichen wird. Diese Entwicklung
ist brisant und kann zu einem neuen Konflikt nach der Verkündigung des Ergebnisses
der Sozialtarifverhandlungen führen.
Versucht die Konzernzentrale, oder auch die Gewerkschaft, unliebsame Kollegen
auszusortieren?
Ich persönlich rechne damit gekündigt zu werden. Es ist ziemlich
sicher, dass die Personalabteilung eine so genannte Schwarze Liste mit unliebsamen
Kolleginnen und Kollegen führt, die sich schon vor oder während des
Streiks engagiert und gestört haben.
Täuschte unser Eindruck, dass die Belegschaft stark nach Nationalitäten
und Geschlecht gespalten ist? Und wurden diese Trennungen während des Streiks
aufgebrochen?
Bis zum Streik gab es sehr strikte Trennungen zwischen den verschiedenen Gruppen.
Dabei spielten hohe Sprachbarrieren eine große Rolle, besonders bei den
asiatischen und türkischen Kolleginnen und Kollegen. Vor allem zum vorwiegend
aus türkischen Kollegen zusammengesetzten Betriebsrat blieben die anderen
Nationalitätengruppen auf Distanz, da dieser nur seine eigenen Leute informierte.
Die Konzernführung übte in der Vergangenheit systematisch Druck auf
die verschiedenen Gruppen – vor allem auf die Frauen – aus
und hat gezielt Gerüchte gestreut und damit die Unterteilung in ethnische
Gruppen gestützt. Die türkischen Frauen wendeten sich ab, sobald ein
Deutscher in ihre Nähe kam. Während des Streiks hat sich die Beziehung
allerdings sehr verbessert, es gab viele persönliche Gespräche und
gegenseitige Unterstützung. Vor allem beim Solidaritäts-Marsch spielten
ethnische Zugehörigkeiten keine Rolle mehr. Am Streik, wie auch an einer
spontanen Demo, haben sich türkische Frauen stark beteiligt. Der Druck gegenüber
Frauen im Werk ist stark und sie sind in den letzten Jahren massiv zusammengestrichen
worden, aber die Streikbereitschaft der Verbliebenen war sehr hoch.
Habt ihr euch nach Ausbruch des Streiks neu zusammengefunden
oder liefen die Diskussionen weitestgehend in den schon vorher vorhandenen Grüppchen
ab?
Meine persönlichen Kontakte zu anderen Kolleginnen und Kollegen haben
sich seit dem Streik vermehrt, es werden auch mehr persönliche Gespräche
geführt. Es kommen viele Kollegen mit ihren Problemen zu mir, auch türkische,
polnische, afrikanische und vietnamesische. Es handelt sich dabei aber eher um
individuelle Kontakte, es haben sich meines Wissens keine neuen Gruppen gebildet.
Die Kommunikation lief und läuft dabei mehr über meine Person als untereinander
ab.
Meine guten Kontakte haben vor dem Streik dazu geführt, dass der Betriebsrat
versucht hat, mich in die Streikvorbereitungen einzubinden und als Vermittler
zwischen ihm und der Belegschaft einzusetzen, nachdem er es bis zum letzten Moment
unterlassen hat, die Kostensenkungs- und Standortschließungspläne
der Unternehmensleitung der Belegschaft mitzuteilen. Der Betriebsrat war eigentlich
ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen und hatte in der Vergangenheit bereits
versucht, mir ein Redeverbot auf den Vollversammlungen zu erteilen.
Was ist auf den über zwei Wochen dauernden Betriebsversammlungen
passiert?
Zunächst fanden Informationsveranstaltungen statt. Zum Beispiel hat jemand
vom Finanzamt erklärt, dass ein Drittel der Abfindung an den Staat geht
und man dies Geld zusätzlich einfordern muss. Als nächstes kam jemand
von einem Schöneberger Stadtteil-Laden und hat uns über Hartz IV informiert,
zum Beispiel darüber, dass unsere Abfindung zu 60 Prozent aufgebraucht
sein muss, bevor wir ein Anrecht auf ALG II haben.
Diese Informationsveranstaltung war der Wendepunkt. In diesem Moment haben
alle realisiert, was ihnen blüht, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren.
Alle waren bestürzt, und man hätte eine Nadel fallen hören können,
nachdem der Referent seinen Vortrag beendet hatte. Eine Kollegin musste sich übergeben
und Kerlen standen die Tränen in den Augen. Den meisten war nun klar geworden,
dass sie für ihren Job kämpfen müssen. Und das wurde dann auch
in der anschließenden Debatte so diskutiert. Es gab zwar auf den Betriebsversammlungen
eine breite Redebeteiligung, auch von den Frauen, aber erst nach dem Hartz-IV-Vortrag
wurde so etwas wie Kampfgeist unter den Kollegen deutlich, den die IG Metall
ja auch unterstützt hat. Bis zum Verhandlungsabschluss nach dem Streik hatten
die Kollegen u. a. deshalb auch hundertprozentiges Vertrauen zur Gewerkschaft!
Es war auf den Betriebsversammlungen auch klar, dass die Unternehmensleitung über
ein Mikrofon zuhört, das in der Mitte des Raumes an der Decke hing. Mit
der Behauptung, zu Beginn des Streikes anonyme Drohbriefe bekommen zu haben,
versuchte die Unternehmensleitung die Belegschaft zu kriminalisieren und kam
sogar mit Leuten vom Wachschutz in die Versammlung. Das machte aber überhaupt
keinen guten Eindruck auf die Kollegen, die den Abzug des Wachschutzes durchsetzten.
Die Unternehmensleitung hat sich dann auch nicht mehr blicken lassen, aber es
war klar: Wir lassen uns nicht kriminalisieren! Und deshalb konnten die ruhig
hören, was wir in den Versammlungen zu besprechen hatten.
Wie ist die Idee für den Solidaritätsmarsch entstanden?
Die Idee hatte ein Kollege auf der fortlaufenden Betriebsversammlung geäußert,
die Gewerkschaft hat sich eher drangehängt. Es war anfänglich völlig
unklar, wie viele sich an dem Marsch beteiligen würden und ich war eher
skeptisch, ob er zustande kommt. Letztendlich waren dann aber etwa 50 Leute kontinuierlich
mit dabei, an manchen Orten kamen noch weitere aus Berlin hinzu und wir haben
gut 4500 km zurückgelegt.
Bevor es los ging hatten wir riesengroßen Schiss, überhaupt auf
die Öffentlichkeit zuzugehen, aber mit der Zeit legte sich das. Der Marsch
war von Anfang an mit der Idee verbunden, eine soziale Bewegung in Gang zu bringen.
Wir haben die Öffentlichkeit über die Situation bei BSH und die Konzern-Politik
informiert, zum Beispiel darüber, dass die Verluste, von denen geredet wird,
oft nur bedeuten, dass dem Unternehmen zusätzlicher Gewinn entgangen ist.
Wir haben auch Kolleginnen und Kollegen aus anderen Werken besucht, auch von
Konkurrenzunternehmen wie zum Beispiel Miele. Ein Arbeiter von CNH hatte uns
auf einer der Betriebsversammlungen darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig die
mediale Öffentlichkeit für die Vermittlung des eigenen Anliegens ist.
Welche Erfahrungen habt ihr auf dem Marsch gemacht?
Die erste Station unseres Marsches war unser Schwesterwerk in Nauen. Dort
haben wir die Zufahrten blockiert und versucht, mit den Beschäftigten ins
Gespräch zu kommen. Wir wollten sie unbedingt bei unserem Protest dabeihaben,
aber es war sehr schwierig an sie heranzukommen. Ich habe noch nie so viele verängstigte
und eingeschüchterte Gesichter gesehen und wir haben es leider bis zum Ende
nicht geschafft, dass sie sich mit uns solidarisieren. Man muss allerdings bedenken,
dass die Arbeitsplatzsituation in Nauen noch viel schlimmer ist als in Berlin.
Viele von ihnen haben Zeitverträge, verdienen weniger, obwohl sie im Vergleich
zu anderen mehr arbeiten müssen, und waren verunsichert ohne Ende.
Ziemlich krass war auch, dass einige Kollegen aus unserem Werk dort als Streikbrecher
weiter arbeiteten. Sie quetschten ihre Gesichter an die Decke des Busses, als
sie an uns vorbeifuhren, um sich zu verstecken. Das war einfach nur lächerlich
und ich habe große Verachtung für diese Leute. Im Nauener Werk sind
sie übrigens nicht gut angesehen – allerdings nicht, weil sie
Streikbrecher sind, sondern weil sie zu dem bei uns gültigen Tariflohn arbeiten
und damit mehr verdienen. Das Werk in Nauen ist zwar nicht mehr im Tarifverbund,
dafür gilt der Fortbestand des Werkes aber zunächst als sicher.
Ein besonderes Gänsehauterlebnis hatte ich in Kamp Lintfort. Dort haben
wir uns mit den Kollegen von BenQ getroffen und eine Demo durch die Innenstadt
gemacht. Es beteiligten sich 4000 bis 5000 Leute, die städtische Feuerwehr,
Stahlkocher, Kindergärten, kirchliche Gruppen ... eigentlich war der
ganze Ort auf den Beinen.
Wir haben noch viele weitere Fabriken und Städte besucht, mit den Leuten
vor Ort über unsere Situation diskutiert, aber auch die Politik der großen
Konzerne thematisiert. Vor allem junge Leute zwischen 20 und 35 Jahren, die ja
vor allem in befristeten Verträgen stecken, waren für unsere Ideen
sehr empfänglich. Unsere Forderungen waren: Keine Entlassungen, kein Arbeitsplatzabbau
aus Profitgründen und die Schaffung neuer Ausbildungsplätze.
Uns war wichtig, dass dies keine rein betriebliche Auseinandersetzung ist,
sondern eine politische. Wir haben anderen Kollegen angeboten, ihnen zu Hilfe
zu kommen und es zu einer Angelegenheit aller Beschäftigten zu machen, wenn
ihr Werk von Verlagerung bedroht ist und geschlossen werden soll. Überall
wurde uns zugesagt, zu der großen Kundgebung vor der Siemens-Zentrale in
München zu kommen, die dann 24 Stunden vorher von der IG Metall-Führung
abgesagt wurde.
War der Marsch eher eine Gewerkschaftsveranstaltung oder habt ihr eigene Ziele
und Forderungen entwickelt?
Der IG Metall ist der Marsch langsam aus den Händen geglitten, und deshalb
hat sie einfach einen Rückzieher gemacht. Stuttgart war in dieser Hinsicht
ein Wendepunkt. Hier, wie auch in Kamp Lintfort und Dillingen, haben wir angefangen,
eigene Kontakte zu Betriebsräten zu knüpfen und unsere Dinge selbst
in die Hand zu nehmen. Wir haben gemerkt, dass wir wesentlich besser bei den
Leuten ankommen, wenn wir unsere eigenen Inhalte vertreten. Die Flugblätter,
die wir von der IG Metall zum Verteilen in die Hände gedrückt bekamen,
haben nicht das vermittelt, um was es uns ging.
Dafür bildeten wir eine Kreativgruppe, an der sich sieben bis acht Leute
beteiligten. Wir haben eigene Flugblätter geschrieben, neue Buttons entworfen,
mit denen wir dann die IG Metall-Logos überklebt haben, und selbst Transparente
gemalt. Unsere Flugblätter mussten wir selbst finanzieren, und so kam auch
die grundsätzliche Frage auf, welche Möglichkeiten der Eigenfinanzierung
von Selbstorganisierung bestehen. Viele Kollegen waren auf jeden Fall bereit,
auf einen Monatslohn zu verzichten.
Ein weiteres Problem war unser Streikleiter, der gleichzeitig Schichtleiter
im Betrieb war. Er wurde von der IG Metall-Führung eingesetzt und hat, wie
wir später erfahren haben, falsche Infos über unseren Protest nach
Berlin weitergegeben. Der Streikleiter hat auch eingefordert, alle Reden zu halten,
wir haben dann aber einen Wechsel durchgesetzt.
Wir wurden im Verlauf unserer Reise immer selbstbewusster, standen nicht mehr
als Horde rum, sondern haben verschiedene Trupps mit fünf bis acht Leuten
gebildet. Wir haben uns über die ganze Stadt verteilt und allmählich
unsere Macht gespürt. Die Chefs hatten schon Angst vor uns und beschäftigten
sich intensiv mit unserem Protest. Das wurde uns in einem Gespräch mit dem
Bosch-Chef klar, der eine Delegation in seinem Zimmer empfing und den Kollegen
klar machte, dass er unsere Aktionen und T-Shirts mit den Aufschriften „Wir
machen die Plattmacher platt“ nicht gut fände und sie aufforderte: „Beenden
Sie das sofort“. Die Unternehmensleitung von Siemens hatte noch mehr Schiss.
Sie gerieten unter Druck und standen auch in der Presse ziemlich schlecht da,
unter anderem wegen der geplanten Erhöhung der Managergehälter um 30 Prozent
und der Schmiergelder, die bei BenQ gezahlt wurden.
Wann habt ihr von dem beschissenen Abschluss und der Absage
der Kundgebung in München durch die IG Metall erfahren?
Wir waren gerade in Ulm, als uns der dortige Jugendgewerkschaftssekretär
frühmorgens darüber informierte, dass alles abgeblasen sei. Wir wollten
eigentlich gerade weiter fahren und waren völlig überrascht. Später
gab es dann noch einen Anruf aus Berlin, der uns noch mal bestätigte, dass
es zu einem Abschluss kam und alle Proteste beendet seien. Nach einigen Telefonaten
hin und her packten wir unsere Sachen und traten die Heimreise an.
Gab es Überlegungen, die Kundgebung auf eigene Faust
durchzuziehen?
Wir kamen auf der Rückfahrt immer näher an München ran und
fingen an zu diskutieren, was wir jetzt machen sollen. Ab auf die nächste
Raststätte und uns Bier besorgen oder doch einfach nach München fahren?
Wir waren aber völlig führungslos und die Stimmung im Bus war auch
nicht eindeutig für eine Weiterfahrt auf eigene Faust. Die Enttäuschung
war riesengroß und wir haben uns dann für die nächste Raststätte
entschieden ...
Wir wollten unbedingt nach München, mit den anderen Arbeitern zusammen
kämpfen und haben auch schon über weitere Schritte nachgedacht.
Immerhin hatte der IG Metall-Sekretär Luis Sergio zu Beginn des Marsches
noch verkündet: „In München lassen wir die Puppen tanzen!“,
und dann sagt die Gewerkschaft in letzter Minute alles ab. Das war das Ende eines
Traums! Wir sind von der IG Metall, der wir zu 100 Prozent vertraut haben,
vollkommen benutzt und verarscht worden. Es muss endlich eine soziale Bewegung
her, damit sich in dieser Scheiß-Republik was bewegt, damit der lohnabhängige
Arbeiter bei Entlassung nicht nur die Alternative Arbeitsamt und Hartz IV hat,
sondern gegen seinen möglichen Arbeitsplatzverlust und sozialen Abstieg
kämpfen und streiken darf!
Im Berliner Werk hat das Verhandlungsergebnis zu Tumulten
geführt, die
Mehrheit der Belegschaft hat sich gegen die Gewerkschaftsvertreter aufgelehnt.
Wir sind zurückgekommen, als die Tumulte schon im Gange waren. Die ruhigsten
Leute waren auf einmal am Schreien. Wir hätten nie für möglich
gehalten, dass die IG Metall uns so verarschen könnte. Aber nachdem die
IG Metall kurzfristig die Kontrolle über den Streik verloren hatte, konnte
sie wie auch die Unternehmensleitung den ausgehandelten Kompromiss in der Öffentlichkeit
als ihren Sieg verkaufen.
Woran lag das? Unser Eindruck war, dass die „guten“ Führer
beklatscht und die „schlechten“ ausgebuht wurden, aber jede Vorstellung
davon fehlte, das Heft des Handelns in die eigenen Hände zu nehmen.
Die Kollegen bei BSH sind nicht streikerprobt gewesen, denn auch bei den vorherigen
Kündigungswellen hat es keinen Streik gegeben! Es gab somit auch keine konkrete
Planung für eine selbstorganisierte Versammlung, und es herrschte Angst
davor eine einzuberufen, da der Kollege, der es machen sollte, akut von Kündigung
bedroht gewesen wäre. Immerhin hätte nicht nur die Unternehmensleitung
gegen die Belegschaft gestanden, sondern auch der IG Metall-Vorstand und der
Betriebsrat hätten gegen eine eigenständige Weiterführung des
Streiks agiert. In den Betriebsratsvorsitzenden Demirci fehlte das Vertrauen.
Somit herrschte eine gewisse Führungslosigkeit unter den kampfbereiten Arbeitern.
Es hätte aber sowieso einer doppelten Führung während des Streiks
bedurft: Am besten wären zwei Streikführer, die sich nicht leiden können,
um Kungeleien zu verhindern. Aber es war auch die Angst vor dem Verlust der Abfindung,
die die Kampfbereitschaft verringerte. Denn es gab Überlegungen weiter zu
machen und das Werk zu besetzen, aber dies hätte zur Folge haben können,
dass man alles verliert.
Welche Lehren könnte man aus dem Streik ziehen? Was hätte anders
laufen können?
Mir ist klar geworden, dass man sich nicht auf die Gewerkschaft verlassen
darf, und dass man Mut zu kritischen Fragen auf den Betriebsversammlungen haben
muss. Wichtig ist außerdem, sich nicht einschüchtern zu lassen. Man
muss auch die Kontakte selber knüpfen und darauf achten, dass Informationen
nicht monopolisiert werden. Ein Fehler war sicherlich, dass wir hundertprozentig
der IG Metall vertraut haben. Aber was hätten wir denn auch ohne Führung
ausrichten können? Was wäre gewesen, wenn wir, was auch diskutiert
wurde, mit 200, vielleicht 300 Leuten ohne Rückhalt der Gewerkschaft das
Werk besetzt hätten? Wir waren auf das Streikgeld angewiesen und hatten
außerdem durch die Pressemitteilungen der IG Metall nach der Urabstimmung
den Rückhalt in der Öffentlichkeit verloren. Grundsätzlich bin
ich der Meinung, dass das Streikrecht dahingehend geändert werden muss,
dass die einfache Mehrheit für eine Weiterführung des Streiks reicht.
Was rätst Du Kollegen, die durch angedrohte Betriebsschließungen
in eine ähnliche Situation geraten?
Das wichtigste ist die Solidarität. Man muss auf jeden Fall andere Betriebe
aufsuchen und sie um Hilfe bitten. Ein weiterer Vorschlag wäre, Betriebsversammlungen
im Werk zu veranstalten, zu denen man Beschäftigte aus allen anderen Betrieben
einlädt, um zusammen die weiteren Schritte zu diskutieren.
Und selbstverständlich das Erstellen von Infoblättern, in denen
man klarstellt, worum es geht und was man eigentlich will, am besten auch zweisprachig,
was wir leider nicht hingekriegt haben. Die Forderungen sollte man als existenziell
Betroffene aufstellen, die eigenen Probleme selbst darstellen und sich nicht
auf höhere Instanzen verlassen.
Es ist wichtig eigene Netzwerke aufzubauen und die Leute dazu zu bringen,
dass sie das Thema Fabrik-Verlagerungen und die Bedeutung des Arbeitsplatzverlustes
an ihren Schulen und in den Familien diskutieren. Als persönlichen Erfolg
würde ich verbuchen, dass an einer Berliner Schule ein selbstgeschriebenes
Flugblatt zur Grundlage genommen wurde, um über Standortverlagerungen von
Betrieben zu diskutieren.
Wie ist heute Dein Verhältnis zur Gewerkschaft?
Ich bin immer noch Mitglied der IG Metall, obwohl ich von ihr sehr enttäuscht
bin. Ich möchte bei zukünftigen IG-Metall-Versammlungen sprechen und
erzählen, wie sie uns in den Rücken gefallen ist – und dafür
muss ich weiterhin Mitglied der Gewerkschaft sein.
Gibt es noch Kontakte zu Leuten die ihr auf eurer Reise kennen
gelernt habt? Und wie haben sie auf die Absage der Großkundgebung reagiert?
Vereinzelt gibt es noch Kontakte. Andere wiederum habe ich mehrmals angerufen,
aber es kam keine Rückmeldung mehr. Ich habe den Eindruck, dass sich die
Kollegen vor allem von BenQ von uns im Stich gelassen fühlen. Ich wehre
mich allerdings dagegen ein Verräter zu sein. Der Abbruch der Protestaktionen
wurde uns vom IG Metall-Vorstand aufgezwungen.
Wie haben die Streikenden die Unterstützung durch linke
Gruppen aufgenommen?
Ich habe mich sehr über die Unterstützung dieser Gruppen gefreut
und die übergroße Mehrheit der Belegschaft sieht das genauso. Wir
fragen nicht nach Parteibuch, Religion usw. und ohne diese Gruppen wären
wir ein einsamer Haufen geblieben. Sie haben uns teilweise mit wertvollen Informationen
versorgt und besonders hilfreich war es, wenn sie Kontakte zu Kollegen aus anderen
Werken herstellten oder uns bestimmte Printmedien zur Verfügung stellten.
Ohne diese Gruppen hätten wir auf jeden Fall weniger Wirkung gehabt.
Wie stellst Du Dir Deine persönliche Zukunft vor?
Nicht besonders rosig . Ich nehme wohl die Abfindung plus Übernahme in
die Transfergesellschaft und hoffe, einen anderen Job zu kriegen. Mal sehen was
kommt. Für mich ist jedenfalls nach dem Kampf vor dem Kampf!
Das Interview wurde Mitte November 2006 geführt. |
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