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Konferenz gegen Privatisierungen
Berliner MieterGemeinschaft 19. Januar 2006


Konferenz der Berliner MieterGemeinschaft e.V. am 11. Februar 2006 unter dem Motto „Privatisierung in Berlin“– Ist Privatisierung nur eine Folge „leerer Haushaltskassen“ oder ein Instrument globaler Verwertungsstrategie? Im DGB Gewerkschaftshaus, Wilhelm-Leuschner-Saal, Keithstraße 1/3, 10787 Berlin (Schöneberg). Von 10 bis 18 Uhr.


Einführung: Ursachen und Hintergründe für Privatisierung

Theorien, die Privatisierungen weniger aus den lokalpolitischen Bedingungen als vielmehr aus globalen Wirtschaftszusammenhängen erklären, gewinnen immer mehr an Bedeutung. Aufgrund des weltweiten Strukturwandels dominiert nun das Finanzkapital sowohl den Rhythmus als auch die Formen der gegenwärtigen Ökonomie. Investment-, Anlage- und Pensionsfonds bestimmen und kontrollieren die industriellen Investitionen und verändern dabei die unternehmerischen Strategien. Shareholdervalue und Börsennotierungen werden zur allgemeinen Leitorientierung des wirtschaftlichen und auch politischen Handelns.

Auf der Suche nach neuen Anlagesphären werden immer neue Bereiche der Inwertsetzung unterworfen: Natürliche Ressourcen, soziale Dienstleistungen und bisher staatliche Aufgaben werden zu Waren auf einem privatwirtschaftlichen Markt. Dieser Vorgang ist Teil der „globalen Enteignungsökonomie“ und lässt sich am Beispiel der Privatisierungen in Berlin mühelos illustrieren.

Das Argument der „leeren Haushaltskassen“ ist letztlich nur ein politisches Alibi für den Verkauf öffentlicher Unternehmen. Leistungen werden dadurch nicht preiswerter und auch die Effizienz steigt längst nicht, wie immer wieder behauptet. Im Gegenteil: Die vielgerühmte Betriebswirtschaftlichkeit ist eine Ausrede für die Umwandlung von sozialer Infrastruktur in ökonomisches Kapital. Die profitablen Partien werden dabei herausgelöst und die Kosten der Gesellschaft aufgebürdet. Gleichzeitig dominiert zunehmend die Betriebswirtschaftlichkeit das staatliche Handeln. Die bisher sozial ausgerichtete Daseinsvorsorge wird marktkompatibel gestaltet und zwar auch dort, wo noch nicht privatisiert worden ist.


Wohnungsprivatisierung

Laut dem Beratungsunternehmen Ernst & Young haben Private Equity Gesellschaften noch nie so viel Geld in der Bundesrepublik Deutschland investiert wie 2005. Die größten Aufkäufe tätigten diese Anleger in Wohn- und Gewerbeimmobilien. „Investoren schätzen deutsche Unternehmen“ und „gerade den Immobiliensektor“, resümiert Ernst & Young. In Berlin wurden seit Anfang der 1990er Jahre fast 200 000 Wohnungen aus dem kommunalen Bestand privatisiert. Standen zunächst Einzelprivatisierungen und Verkäufe an so genannte Zwischenerwerber im Vordergrund, wurden mit der Begründung der „leeren Haushaltskassen“ umfangreiche Bestände an internationale Private-Equity-Fonds wie Cerberus und Apellas oder Oaktree veräußert. Die kurzfristigen Investitionsstrategien der neuen Käufergeneration orientieren sich immer weniger an einer wohnungswirtschaftlichen Verwaltung und Vermietung der Bestände, sondern in erster Linie an der schnellen Rendite durch den Handel mit Wohnungen.

Renten- und Pensionsfonds sind dabei als wohnungspolitische Akteure alles andere als unbekannt. Doch der Wandel ihrer wohnungspolitischen Funktion ist kennzeichnend für den Übergang zu einer finanzdominierten Akkumulationsweise: Waren staatliche Rentenkassen in den Frühzeiten der Wohnungspolitik mit ihren zinsgünstigen Krediten die zentrale Voraussetzung für den Sozialen Wohnungsbau, so sind die privaten Pensionsfonds heute Motor für die Privatisierung der Wohnungsunternehmen. Die ehemals gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften mit ihrer mietpreisdämpfenden Wirkung werden durch die Privatisierung nicht nur aus dem Bestand der preiswerten Wohnungsbestände herausgelöst, sondern werden selbst zum Beschleuniger von Mietpreissteigerungen.


Privatisierung im Gesundheitswesen

„Die hohe Qualität unseres Gesundheitswesens ist international anerkannt und muss im Interesse aller, die auf seine Leistungsfähigkeit angewiesen sind, erhalten bleiben.“ So steht es im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD. Ebenfalls dort ist zu lesen, dass die Effizienz des Systems „durch eine wettbewerbliche Ausrichtung zu verbessern“ sei. Zentraler Bestandteil der „wettbewerblichen Ausrichtung“ ist die Privatisierung städtischer und Universitätskliniken, wie jüngst in Hamburg und Gießen. Zum Zuge kommen dabei zum Teil international tätige private Krankenhauskonzerne wie Fresenius, Rhön-Klinikum AG oder Asklepios. Auch in Berlin ist die Privatisierung von Kliniken schon lange im Gespräch. Um die zu Vivantes und der Charité gehörenden Krankenhäuser profitabel zu machen, werden die Belegschaften vom Berliner Senat erpresserisch unter Druck gesetzt. Unter der Androhung massiven Stellenabbaus mussten schmerzliche Lohneinbußen hingenommen werden.

Der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen wächst zusätzlich durch die Einführung des DRG-Fallpauschalen-Systems, welches nach streng betriebswirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet ist und den Wettbewerb unter den Kliniken erhöht. „Der Arzt wird mehr und mehr zum Unternehmer“, heißt es bei der Industrie- und Handelskammer Berlin und die Kliniken halten dementsprechend Ausschau nach finanzkräftiger Kundschaft. Der „Gesundheitsmarkt Berlin“ bietet bereits unter dem Namen „First Class Aid Berlin“ ein „Rundum-sorglos-Paket“ für reiche Kranke.

Die von der neuen Bundesregierung angekündigte weitergehende „wettbewerbliche Ausrichtung“ des Gesundheitssystems führt unweigerlich in die Zwei-Klassen-Medizin, die für die gesetzlich Versicherten nur noch die durch Fallpauschalen standardisierte Minimalversorgung vorsieht.


Privatisierung der Wasserwirtschaft

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Aufbau der Berliner Wasserversorgung britischen Geschäftsleuten übertragen. Da das private Unternehmen den notwendigen weiteren Ausbau der Infrastruktur nicht gewährleisten konnte, wurden die Wasserbetriebe vom Berliner Magistrat übernommen und unter staatlicher Kontrolle bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der weltweit modernsten Wasserbetriebe ausgebaut. Dies bedeutete nicht nur einen technischen, sondern auch einen großen sozialen Fortschritt. Seither steht qualitativ hochwertiges Trinkwasser der gesamten Berliner Bevölkerung zur Verfügung und war bis vor wenigen Jahren privaten Verwertungsinteressen entzogen. 1999 wurden 49,9 Prozent der Berliner Wasserbetriebe an RWE und Veolia (ehemals Vivendi) zu einem Preis von 1,68 Milliarden Euro verkauft. Vertraglich wurde den Konzernen für 28 Jahre eine jährliche Rendite von über acht Prozent garantiert. Wird dieser Gewinn nicht durch das Unternehmen erwirtschaftet, muss er aus der Haushaltskasse finanziert werden. Diese staatlich garantierte Rendite wächst von Jahr zu Jahr, weil als Grundlage für die jährliche Gewinnberechnung das Betriebsvermögen einschließlich der jeweiligen Renditezuflüsse herangezogen wird. Die Folgen dieser Teilprivatisierung sind massiver Arbeitsplatzabbau, steigende Wasserpreise, eine langfristig steigende Belastung des öffentlichen Haushalts und eine Reduzierung der Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten.


Public Private Partnership (PPP)

Public Private Partnership (PPP) oder Öffentlich Private Partnerschaft (ÖPP) besteht aus verschiedenen Formen privater Kapitalbeteiligung an Planung, Finanzierung und Betrieb von Infrastrukturen und Leistungen der öffentlichen Hand. In der BRD gibt es bereits über 300 PPP-Projekte. In den juristisch komplex formulierten und langfristig angelegten PPP-Verträgen ist die Risikoverteilung in der Regel zulasten der öffentlichen Hand festgelegt. Diese Verträge sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die verheerenden Folgen dieser neoliberalen Umverteilung bestehen sowohl in einer weitgehenden Risikoentlastung der privaten Investoren als auch in der strukturellen Entdemokratisierung. Weder Landesrechnungshöfe noch Öffentlichkeit haben Möglichkeiten einer bürgernahen transparenten Kontrolle. Durch die langen Bindungen der PPP-Verträge werden zum einen der Privatwirtschaft Gewinne für zukünftige und heute kaum abschätzbare Zeiträume zugesichert und zum anderen Haushaltsmittel gebunden, die dadurch den öffentlichen Aufgaben der Daseinsvorsorge nicht mehr zur Verfügung stehen (werden). Diese „Planwirtschaft für Private“ bringt also nicht nur eine Verbetriebswirtschaftlichung der öffentlichen Verwaltung und Daseinsvorsorge mit sich, sondern führt auch zur Enteignung der öffentlichen Hand.


Abschlusspodium: Gegenhegemonie und Perspektiven

Eine gemeinsame Diskussion von AktivistInnen aus Gewerkschaften, Mieterorganisationen sowie sozialen und politischen Initiativen soll Gegenpositionen stärken und Möglichkeiten für neue lokalpolitische Koalitionen ausloten.

Internetseite zur Konferenz

 19. Januar 2006