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Plakate mit einigen der 11 000 deportierten und ermordeten Kindern
Mit der Reichsbahn nach Auschwitz
Broschüre vom Gegeninformationsbüro 6. September 2005


Da die Bahn ein zentrales logistisches Element der „Blitzkrieg-Strategie“ darstellte, sollten unter dem Motto „Räder müssen rollen für den Sieg“ alle Kapazitäten an Arbeitskraft und Material der Reichsbahn für die faschistische Kriegsmaschinerie mobilisiert werden.

Nach dem Zusammenbrechen der Ostfront und der Niederlage von Stalingrad rief Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast den „totalen Krieg“ aus. Um die Reichsbahner gesondert mit Durchhalteparolen auf den „Endsieg“ einzuschwören, wurde im Jahr 1943 der 7. Dezember zum „Tag des deutschen Eisenbahners“ erklärt. Im Berliner „Theater des Volkes“ verkündete Goebbels vor Tausenden von Eisenbahnern, dass „der Krieg in seinen kritischen Phasen in der Hauptsache ein Problem des Nachschubs beziehungsweise der Verbindungswege“ sei und sich daraus der „ungeheure Anteil“ ergebe, den die deutschen Eisenbahner einmal am Sieg haben würden. Zu dem Zeitpunkt der Goebbels-Rede rollten die Räder der Reichsbahn bereits in die sich abzeichnende Niederlage. Trotz des erhöhten Bedarfs militärischer Transportkapazitäten, organisierte das von Adolf Eichmann geleitete „Referat Auswanderung und Räumung“ des Reichssicherheitshauptamtes in enger Zusammenarbeit mit der Reichsbahn unter dem Reichsverkehrsminister Julius Dorpmüller fahrplanmäßig die Transporte in die Vernichtungslager.

In der Anklageschrift gegen den Kriegsverbrecher Albert Ganzenmüller, der seit Mai 1942 als Staatssekretär für die Reichsbahn zuständig war, beschrieb der Oberstaatsanwalt Alfred Spieß 1973 Einzelheiten der Deportationen – einige Auszüge:
„Im Zuge der Vernichtungsmaßnahmen wurden etwa drei Millionen Juden, Männer, Frauen und Kinder, mit der Eisenbahn in Konzentrations- und Vernichtungslager gebracht und dort aus Rassenhass überwiegend durch Vergasung getötet. (...) Die Deportation in die Lager erfolgte überwiegend mit Güterzügen. In ihnen wurden die Juden derart zusammengedrängt, dass ihnen mit ihrer mitgeführten Habe jeweils nur wenige Quadratdezimeter zur Verfügung standen. Die Waggons, nicht selten mit mehr als 100 Menschen gefüllt, wurden regelmäßig verplombt. Ihre kleinen Fenster waren vergittert oder mit Stacheldraht versperrt. (...) Während der Fahrt erhielten sie durchweg weder Getränke noch Nahrungsmittel. Sie litten daher unter Hunger und Durst und waren im Sommer der Hitze und im Winter der Kälte ausgesetzt. Eine Toilette stand ihnen regelmäßig nicht zur Verfügung, so dass sie ihr Bedürfnis in den Wagen verrichten mussten. Diese Umstände bewirkten, dass eine unbestimmte Anzahl von Juden, vor allem Kranke, Gebrechliche und Kinder, schon auf dem Transport ums Leben kamen.“

Mit diesen Transporten machte die Reichsbahn gute Geschäfte. In der Regel mussten die Opfer ihren Transport in die Vernichtungslager selbst zahlen und wenn dies nicht möglich war, hatte das Reichssicherheitshauptamt die Kosten zu tragen. Veranschlagt wurden – entsprechend der dritten Wagenklasse – vier Pfennig pro Schienenkilometer. Kinder unter vier Jahren kosteten die Hälfte.

Über eine Bahnstrecke von über 1500 Kilometern wurden zwischen 1942 und 1944 11 000 Kinder in Viehwagons von Paris nach Auschwitz deportiert. Die rund 52-stündige Reise führte unter der Zugnummer „DA-901“ unter anderem über Saarbrücken, Kaiserslautern, Frankfurt am Main, Erfurt und Dresden quer durch Deutschland in den Tod. „DA“ stand abgekürzt für David und diente wie der Davidstern der Kennzeichnung von Judentransporten. An jedem dieser 11 000 Kinder verdiente die Deutsche Reichsbahn, deren Rechtsnachfolgerin die heutige Deutsche Bahn AG ist.

Die Namen dieser Kinder waren 60 Jahre lang vergessen und nur von wenigen sind Fotos übrig geblieben, von denen einige vor dem Bahnhof Zoo gezeigt wurden. Erinnert wurde an: François Caen, Monique Frankfurt, Félix Samuel Koen, Ruth Mentzel, Dénise Meyer, Joseph Schumann, Lina und Phillipe Taksen ... und all die anderen.


Verweigerung der Deutschen Bahn AG

Bis zum heutigen Tag verweigert die Deutsche Bahn AG trotz nationaler und internationaler Proteste das Gedenken an die 11 000 deportierten Kinder auf deutschen Bahnhöfen. Sie verweigert eine Ausstellung, die auf Bahnhöfen in ganz Frankreich Tausenden von Reisenden zugänglich gemacht wurde. Die französische Staatsbahn stellte für die von der französischen Organisation „Söhne und Töchter der jüdischen Deportierten Frankreichs“ konzipierte Ausstellung in sämtlichen Landesteilen Stelltafeln und Flächen in den Bahnhöfen bereit und im Pariser Nordbahnhof hielt der Vorstandschef der französischen Bahn die Eröffnungsrede.

Ganz anders die Deutsche Bahn AG, die von ihrer Vorgängerin, der „Deutschen Reichsbahn“, ein Milliardenvermögen übernommen hat. Das bis heute bestehende Schienennetz wurde über Jahre von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen unterhalten und die Deutsche Bahn AG ist die Erbin dieser unbezahlten Arbeit sowie der Profite, die mit Transporten in die Vernichtungslager erzielt wurden.

Und vor diesem Hintergrund erklärt die Deutsche Bahn AG in einem Schreiben an Beate Klarsfeld, der Bahn würden „sowohl die personellen als auch die finanziellen Ressourcen“ fehlen, „um eine Ausstellung wie in Frankreich in Bahnhöfen zu realisieren“. In einem Interview bezifferte Beate Klarsfeld, die Repräsentantin der französischen OrganisatorInnen, die anfallenden Kosten auf rund 40 000 Euro.

In einem Schreiben an die Unternehmensleitung der Deutschen Bahn AG vom 12. Februar 2005 kündigen verschiedene Initiativen aus der Bundesrepublik an, dass sie sich dem Erinnerungsverbot auf deutschen Publikumsbahnhöfen nicht fügen werden und setzten dem Konzern eine letzte Erklärungsfrist bis zum 8. Mai 2005:

„An die Deutsche Bahn AG, Konzernleitung, Potsdamer Platz 2, 10785 Berlin

Sehr geehrter Herr Mehdorn, sehr geehrte Damen und Herren, wie Sie sicherlich erfahren haben werden, fanden am 27. Januar auf mehreren Bahnhöfen der DB Gedenkveranstaltungen statt, die den 11 000 deportierten Kindern und ihrem letzter Weg auf dem deutschen Schienennetz nach Auschwitz galten. Bedauerlicherweise musste die Mehrzahl dieser Gedenkveranstaltungen gegen den Willen Ihrer Konzernleitung durchgesetzt werden.

Ihre Weigerung, die Erinnerung an die 11 000 Kinder und an die Mordbeihilfe Ihres Vorgängerunternehmens auf den deutschen Personenbahnhöfen wachzuhalten, hat sowohl in der Bundesrepublik als auch im Ausland zu Protesten geführt. Dem Protest haben sich inzwischen über 250 Persönlichkeiten und Organisationen angeschlossen. Nach unseren mehrmaligen Appellen und Bitten möchten wir Sie erneut auffordern, dem öffentlichen Gedenken beizutreten und sich an unserer Initiative zu beteiligen. Der Wanderausstellung der französischen Organisation „Fils et Filles des Deportés Juifs de France“ muss auf deutschen Publikumsbahnhöfen Platz eingeräumt werden. Um das öffentliche Gedenken mit Fotos und Dokumenten noch in diesem Jahr bundesweit beginnen zu können, werden wir unsere Ausstellungsvorbereitungen bis zum 8. Mai 2005 abschließen.
Bis zu diesem Zeitpunkt, dem 60. Jahrestag des Sieges der Anti-Hitler-Koalition, wird es Ihnen sicherlich möglich sein, Ihre Haltung zu überdenken. Zwischenzeitliche Gespräche über die Präsentation der Wanderausstellung auf den Durchgangsbahnhöfen der Todestransporte (unter anderem Saarbrücken, Mannheim, Frankfurt am Main, Fulda, Apolda, Leipzig, Dresden, Görlitz) und über die Einbeziehung der lokalen Initiativen würden wir sehr begrüßen.
Wir möchten uns erlauben, Sie zugleich darauf aufmerksam zu machen, dass wir in Anbetracht der begangenen Verbrechen, an denen Ihr Vorgängerunternehmen beteiligt war, auf das öffentliche Gedenken an der Todesstrecke der 11 000 Kinder nicht verzichten werden. Sollten wir auf eine positive Antwort Ihres Unternehmens bis zum 8. Mai vergeblich warten, werden wir für die Durchsetzung des Gedenkens in dem uns möglichen Umfang bundesweit Sorge tragen und die uns angebotene Handlungshilfe aus dem In- und Ausland gerne annehmen. Mit freundlichen Grüßen ...“

Soweit der Brief der InitiatorInnen des Gedenkens an die 11 000 deportierten Kinder.

Mit ihrer Anwesenheit bekräftigten die TeilnehmerInnen des Konvois die Aufforderung an die Unternehmensleitung der Deutschen Bahn AG, die Gedenkausstellung endlich auch auf deutschen Bahnhöfen zuzulassen und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Im anderen Falle werden auch wir weiterhin für das Gedenken an die 11 000 Kinder Sorge tragen und wie in anderen Städten so auch in Berlin wiederkommen.

Weitere Informationen zu der Kampagne:
Internetseite zur Initiative Elftausend Kinder


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 6. September 2005