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Informationsstelle Wissenschaft & Frieden
Gert Sommer Wilhelm Kempf Dossier Nummer 9


Dr. Gert Sommer ist Hochschullehrer am Fachbereich Psychologie der Universität Marburg (Teil 1 – Zur Relevanz von Feindbildern). Prof. Dr. Wilhelm Kempf lehrt an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Statistik der Universität Konstanz.
(Teil 2 – Der inszenierte Krieg).



Zur Relevanz von Feindbildern –
am Beispiel des Golfkrieges


Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg


Politisches Bewußtsein und Handeln sind stark vom Feind-Freund-Denken beeinflußt, also von den Bildern, die sich Politiker und die Bevölkerung von politisch relevanten Personen und Ereignissen machen. Feindbilder sind eine Untergruppe von Vorurteilen. Insbesondere Sozialpsychologen haben herausgearbeitet, daß Vorurteile wichtige individuelle und soziale Ursachen haben, die eng miteinander verwoben sind.


I. Zur Psychologie von Feindbildern

Zunächst zu den individuellen Bedingungen für Vorurteile: Menschen machen sich Bilder, Vorstellungen von sich selbst und ihrer Umwelt. Die Realität ist so komplex, daß ein Individuum nicht alle Informationen wahrnehmen und verarbeiten kann. Subjektiv Wichtiges ist von Unwichtigem zu trennen, sonst würde das Individuum in einem Chaos von unendlich vielen Informationen untergehen, handlungsunfähig werden. Die direkt vorhandenen und die prinzipiell verfügbaren Informationen müssen also reduziert werden. Dies kann durch die Bildung von Kategorien oder Klassen geschehen, zu denen auch Vorurteile gehören. Kategorien bringen Übersichtlichkeit und Ordnung in die hochkomplexe Welt, sie erleichtern die Identifikation und Bewertung von Objekten. Damit wird eine subjektive Realität konstruiert, die für das Individuum Sinn ergibt und ihm Handlungsfähigkeit ermöglicht. Solche Kategorien sind zum Beispiel Stuhl, Tisch, Haus, Geschlecht, Alter, Religion, Beruf, Hautfarbe, Nationalität, politische Überzeugung. Die jahrzehntelang in der Bundesrepublik vermutlich wichtigste Kategorie internationaler Politik war „West“ gegenüber „Ost“ (und zum Beispiel nicht eine ebenso denkbare Kategorie „Unterstützung von Diktaturen“). Handlungsfähigkeit mithilfe von Kategorienbildung erfordert auch, daß die Kategorien möglichst stabil und widerspruchsfrei sind; denn andernfalls müßten sie mit großem intellektuellem und emotionalem Aufwand häufig verändert und den neuen Bedingungen angepaßt werden. Um dies zu vermeiden, werden Informationen bevorzugt danach aufgesucht und auch verarbeitet, daß sie mit den bestehenden Kategorien konsistent sind und diese stabilisieren (Konsistenz-Prinzip). Dies geschieht auch dadurch, daß solche Personen und Gruppen bevorzugt werden, die entsprechende Informationen bereitstellen oder bestätigen.

Kategorienbildung und Konsistenzprinzip implizieren immer einen Informationsverlust; dies kann zu unangemessenen und vorläufigen, aber relativ leicht korrigierbaren Vor-Urteilen führen, jedoch auch zu groben Informationsverzerrungen, die schwer veränderbar sein können. Letzeres geschieht insbesondere dann, wenn realitäts-unangemessene Kategorien verwendet werden, wenn relevante Informationen systematisch (d.h. auch motivbedingt) unberücksichtigt bleiben und wenn diese Kategorien zusätzlich stark mit Emotionen besetzt sind. Dies ist typisch für Feindbilder mit ihren intensiven negativen Emotionen. Während die Bildung von Kategorien grundsätzlich eine kognitive Notwendigkeit zur individuellen Orientierung ist, bedeutet ihre Ausgestaltung in Form von Feindbildern eine starke Realitätsverzerrung, ein „pathologisches Extrem“ (Spillmann & Spillmann).

Zu den sozialen Bedingungen für Vorurteile: Menschen streben als soziale Wesen nach sozialer Zugehörigkeit, sozialer Identität. Dazu suchen sie Anschluß an Personen und Gruppen, die sie schätzen und denen sie ähnlich sein wollen. Durch den engen Kontakt können Handlungs-, Denk-, Motiv- und Wertemuster in hohem Ausmaß übernommen werden. Dies geschieht insbesondere durch die psychologischen Prinzipien des Modell-Lernens und der sozialen Belohnung und Bestrafung.

Psychologisch erleichternd und notwendig erscheint es, auch eine Gruppe der anderen, Un-Ähnlichen zu konstruieren, von der Menschen sich abgrenzen und gegenüber denen sie Nicht-Zugehörigkeit demonstrieren können. Beispiele für solche Abgrenzungen von Wir- bzw. Innengruppen einerseits und Außengruppen andrerseits sind Männer gegenüber Frauen, Schul- gegenüber Kindergartenkindern, Studenten gegenüber Dozenten, Arbeiter gegenüber Angestellten, evangelische gegenüber katholischen Christen, Christen gegenüber Nicht-Christen, Weiße gegenüber Schwarzen, Konservative gegenüber Sozialisten. Entsprechende Gruppenbildungen mit dem dazugehörigen „Wir“-Gefühl sind grundsätzlich wichtig für die persönliche Identität und für die Identität von Gruppen. Bei Feindbildern sind solche Gruppenbildungen rigide und mit starken Emotionen besetzt: positive Gefühle bezüglich der Wirgruppe, negative Gefühle gegenüber der Außengruppe.

In seinen bekannten Ferienlager-Experimenten konnte der Sozialpsychologe Mustafer Sherif (Sherif & Sherif, 1969) aufzeigen, daß männliche Jugendliche im Rahmen eines Ferienlagers – insbesonder durch die Aufteilung auf verschiedene räumliche Einheiten – Gruppen bildeten mit eigenen Regeln und Rollenaufteilungen, die schnell zu einem Wir-Gefühl und auch entsprechender Abgrenzung zu anderen Grupen führten. Durch die experimentelle Herstellung einer Wettbewerbssituation und die entsprechenden Gewinner- und Verlierer-Erlebnisse – es wurde ein Spiele-Turnier organisiert und die Ergebnisse wurden ausgehängt – festigten sich sowohl der innere Zusammenhalt der Gruppen als auch die Abgrenzung zwischen den Gruppen erheblich, es kam schließlich zu tätlichen Auseinandersetzungen.


II. Vom Vorurteil zum Feindbild

Insbesondere bei Spannungen, Konflikten und Krisen kann es zu einem Eskalationsprozeß kommen, in dem im inner- und zwischengesellschaftlichen Bereich die Gruppe der anderen zunehmend negativ beurteilt wird mit den vorherrschenden Assoziationen falsch, schlecht, minderwertig, gefährlich und böse. Dies kann zum Teil realistisch sein (wenn zum Beispiel eine Gruppe die andere diskriminiert, unterdrückt, ausbeutet oder gar physisch vernichtet), zum Teil kann dies auch – bei nur geringer realistischer Grundlage – durch entsprechende Propaganda von einflußreichen Meinungsbildnern hergestellt werden, zumindest sofern die Adressaten für diese Propaganda auch empfänglich sind.

Die Distanz zum positiven Selbstbild und damit die Un-Ähnlichkeit wird im Verlauf des Eskalationsprozesses immer größer. Allein die Nennung des Feind-Namens führt zu einem Bündel negativer Bewertungen und Gefühle. Das Bild vom anderen enthält dann (fast) auschließlich negative Attribute. Der andere wird als brutal, kriegerisch, gefährlich und moralisch minderwertig bewertet. Im Extrem wird ihm die Menschlichkeit abgesprochen, er wird zum Unter-Menschen und Un-Menschen. Nach unserer Definition sind Feindbilder Deutungsmuster für gesellschaftlich-politisches Geschehen; sie sind negative, hoch emotionale, schwer veränderbare Vorurteile, die reichen können bis hin zur fantasierten oder gar realen Vernichtung des Gegners. Feindbilder können sich richten gegen einzelne Menschen, Gruppen, Völker, Staaten oder Ideologien.

Typisch für ein ausgeprägtes Feindbild ist also, daß es im anderen nur oder hauptsächlich das Negative, Böse sieht (vgl. zum Beispiel die Kennzeichnung der Sowjetunion als „Reich des Bösen“ durch US-Präsident Reagan). Dies geschieht psychologisch u.a. dadurch, daß der gesamte Prozeß der Informationsaufnahme und -verarbeitung in den Dienst der Aufrechterhaltung dieses Bildes gestellt wird und daß dem Feind primär negative Motive zugeschrieben werden. Dieses negative Bild kann in Teilbereichen realitätsangemessen sein, häufig aber ist dies in den anderen hineinfantasiert, projiziert. Die negative Realität kann im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung zum Teil durch das Feindbild selbst produziert werden: Der andere verhält sich so negativ, wie wir es von ihm erwarten und ihm durch unsere eigenen Aktionen nahelegen.

Typisch für ein Feindbild ist zudem, daß es durch sachliche Informationen kaum zu verändern ist. Dies unterscheidet es von vorläufigen Urteilen, die hauptsächlich durch mangelnde Erfahrungen zustande kommen und erheblich leichter zu revidieren sind.

Verzerrte Vorstellungen vom anderen im Sinne von Feindbildern können sich in einem eskalierenden Prozeß wechselseitig entwickeln: Die an diesem Prozeß beteiligten Gruppierungen nehmen sich gegenseitig zunehmend negativ wahr (vgl. zum Beispiel Frei, 1985, bezogen auf die USA bzw. die UdSSR). Dieses Phänomen wird auch als Spiegelbild von Feindbildern bezeichnet. Bei dieser Begriffsverwendung besteht allerdings die Gefahr, daß reale Unterschiede zwischen Gruppen in dem Ausmaß und bei den Thematiken ihrer Verzerrungen leicht übersehen werden.

Der Begriff Feindbild wird in den letzten Jahren inflationär verwendet. Nach der bisherigen Aufzählung von Attributen des Feindbildes grenzen wir den Begriff daher im folgenden von benachbarten Sachverhalten ab. (1) Nach unserem Verständnis reichen Kritik oder sachliche Gegnerschaft nicht aus, von „Feindbild“ zu sprechen. (2) Zudem ist es psychologisch und politisch bedeutsam, zwischen groben Verzerrungen, Vorurteilen im Sinne eines Feindbildes einerseits und realen Gegnern und Feinden andrerseits zu unterscheiden. Reale Feinde existieren und sie sind lebensgefährlich; als historisches Beispiel sei an Hitler-Deutschland erinnert, das Grausamkeiten und millionenfachen Tod brachte. Es ist daher bei der Bewertung der „anderen“ eine fortwährende und nie endende Aufgabe, zwischen Vorurteilen einerseits und sachlich fundierten Urteilen andrerseits zu unterscheiden.

Mit dieser Aussage heben wir uns von einem anderen Feindbild-Verständnis ab, bei dem zum Beispiel auch die negative Darstellung von SS-Mördern als Feindbild bezeichnet wird (zum Beispiel Keen, 1987); dabei wird der Begriff Feindbild verstanden als negative Bewertung einer anderen Gruppe, unabhängig davon, wie realistisch dieses Bild ist, also unabhängig davon, ob es sich um ein negatives Vorurteil handelt.

Den oben erwähnten Eskalationsprozeß bei der Entwicklung von Feindbildern haben Spillmann & Spillmann (1990) anhand umfangreicher Literaturanalysen detailliert beschrieben. Da er von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung von Feindbildern und die Diagnostik des Feindbilddenkens ist, stellen wir ihn im folgenden ausführlich vor. Zusammengefaßt konzeptualisieren die Autoren die eskalierende Entwicklung von Feindbildern – und zwar sowohl bei individuellen als auch bei Gruppen-Beziehungen – als progrediente emotionale und kognitive Regression.

„Interessengegensätze, Meinungsunterschiede, Angst oder Mißverständnisse können zu intensiven Konflikten und bedrohlichen Auseinandersetzungen führen. Ein solcher Eskalationsprozeß verläuft aber nicht chaotisch, sondern stufenweise und in auffallender Weise reziprok zu den Stufen der emotionalen und kognitiven Entwicklung.“ (S. 272).

Eskalationsstufe 1 meint alltägliche Konflikte, die bei beidseitigem Bemühen und gegenseitiger Empathie konsensual und gerecht, d.h. unter Berücksichtigung der Interessen beider Seiten, gelöst werden können.

Auf Eskalationsstufe 2 gewinnen die eigenen Anliegen – bei Vernachlässigung gemeinsamer Interessen – deutlich an Gewicht, die Informationsaufnahme wird weniger differenziert, Streitfragen werden erweitert und die Gegenseite wird kompetitiv zu überzeugen versucht. Auf Eskalationsstufe 3 wird die rein verbale Ebene verlassen und damit – zumindest kurzfristig – die eigene Spannung reduziert. „Dabei sind die Erwartungen der Parteien paradox: Beide erwarten, durch Druck und Entschlossenheit die Gegenpartei zum Nachgeben zu bringen, sind selber aber nicht bereit, nachzugeben. Damit entsteht der für die Eskalation bezeichnende Widerspruch, daß die beabsichtigte Wirkung einer Maßnahme von der Gegenpartei als Signal zur Eskalation und nicht zur Deeskalation verstanden wird.“ (S. 273) Sachfragen treten allmählich in den Hintergrund, die Gegenseite wird mit kollektiven negativen Stereotypen (zum Beispiel „Rechte“ und „Linke“) charakterisiert, die Empathiebereitschaft schwindet zunehmend. Entsprechend beginnt innerhalb der eigenen Gruppe der Konformitätsdruck, „eines der ersten sichtbaren Warnsignale einer sich intensivierenden Eskalation. Abweichende Meinungen, das heißt, unterschiedliche Wahrnehmungs- und Bewertungsweisen des Konfliktverlaufs, werden immer weniger geduldet. Das bringt viele, die eigentlich anderer Meinung sind, zum Schweigen und macht sie zu Mitläufern.“ (S. 273) Drohender Ausschluß aus der Gruppe evoziert „tiefliegende Verlassenheits- und Verlustängste“, die durch den Gruppendruck erzwungene Vereinheitlichung von Meinungen (Janis, 1972; spricht negativ vom „Gruppendenken“) führt zu eingeengter, verzerrter Sicht der Realität, die für den Problemlösungsprozeß erforderliche Denkvielfalt wird drastisch reduziert.

Auf Eskalationsstufe 4 schwindet die Empathiebereitschaft. „Man weiß zwar um die andere Perspektive, aber man ist nicht mehr fähig oder bereit, die Gedanken, Gefühle und die Situation des anderen zu erschließen und für das eigene Verhalten zu berücksichtigen.“ (S. 274) Der emotionale Abstand zwischen den Gruppen nimmt weiter zu, „alles, was ‚nicht-ich‘, bzw. ‚nicht-wir‘ ist, ist bedrohlich und böse und wird abgelehnt. … Gleichzeitig nehmen die gegenseitigen Projektionen zu: Was in den Parteien lebt, aber nicht als zum eigenen Bild gehörig anerkannt wird, wird in die Außenwelt bzw. auf die Gegenpartei projiziert.“ (S. 274) Die Bilder, die sich jede Partei von sich selbst und den anderen macht, beherrschen Denken, Handeln und Gefühle. „Der Druck auf indifferente Personen oder Gruppen nimmt weiter zu. Wer mit beiden Seiten Kontakt pflegt, macht sich verdächtig.“ (S.274)

Zur letzten Eskalationsstufe 5 kommt es, wenn „eine Seite eine Handlung begeht oder zu begehen droht, die von der Gegenseite als Kränkung, als „Gesichtsverlust“ erlebt wird, auf den sie sich entsprechend zu reagieren gezwungen fühlt.“ (S. 275) Die Konflikte werden umfassend ideologisiert, das gesamte Selbst- und Weltbild einbezogen. „… Informationen (werden) wieder auf die frühkindlich-elementare Einordnung in die Gegensatzpaare Fremd/Eigen, Bedrohlich/Sicher, bzw. Böse/Gut reduziert“. Die Gegnerschaft wird als total erlebt, „die Wahrnehmung der Gegenseite erstarrt zum Feindbild“ (S. 275) „Es geht um ‚Heilige Werte‘ … und übergeordnete moralische Verpflichtungen. Diese entbinden den einzelnen von der schweren Bürde persönlicher Verantwortung.“ (275) Gewalt wird unpersönlich, Drohungen und schließlich auch Gewaltakte nehmen zu, „um glaubwürdig zu bleiben und den Feind von einem Gewaltakt abzuhalten. … Dies wiederum beweist dem Bedrohten die Aggressivität des Drohenden und provoziert Gegengewalt und damit weitere Eskalation, die bis zur totalen Vernichtung und Selbstvernichtung führen kann. Der Feind wird zum ‚Sachobjekt‘entwertet und völlig dehumanisiert. Damit schwindet jede Gemeinsamkeit, damit schwinden auch alle menschlichen Normen und Skrupel. Der Abbau und die Demontage der emotionalen und kognitiven Ordnungsmuster, die dem Menschen Empathie und Differenzierung ermöglichen, ist auf diesen Eskalationsstufen in bezug auf den Umgang mit dem Feind umfassend. Im Umgang mit der eigenen Gruppe hingegen ist es den gleichen Menschen – aufgrund der wiederbelebten frühkindlichen Spaltungsvorgänge von „Gut“ und „Böse“ – möglich, innerhalb ihrer eigenen („guten“) Gruppe scheinbar normal und menschlich zu funktionieren. Dies macht es dem unerfahrenen oder unwissenden Beobachter schwer, mit ihrer effektiv tief regredierten Selbst- und Fremdwahrnehmung zu rechnen und diese bei allfälligen Konfliktlösungsbemühungen auch bewußt in Betracht zu ziehen.“ (275f)

Das Modell von Spillmann & Spillmann (1990) stellt die Entwicklung von Feindbildern dar als Umgekehrung des Prozesses der emotionalen und kognitiven Entwicklung. Mit dem zunehmenden Verlust an kognitiver und emotionaler Differenziertheit, also mit zunehmender Regression, verfestigt sich Schwarz-Weiß-Denken; Empathie – sich Hineinversetzen in die Welt des anderen – als eine wesentliche Voraussetzung für erfolgreiches soziales Problemlösen geht verloren. Die im Modell vorgestellten fünf Eskalationsstufen beschreiben wichtige Merkmale der Feindbildentwicklung, sind aber nach unserer Meinung weniger klar voneinander zu trennen; zudem können sie sich nicht nur auf den „Feind“ als Gesamtes beziehen, sondern sie können begrenzt sein auf wichtige Teilbereiche (zum Beispiel Gesellschaftsstruktur, nicht aber Kultur).


III. Auswirkungen von Feindbildern

Etablierte Feindbilder haben vielfältige Auswirkungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene, sie sind ein wichtiger und „nützlicher“ Faktor in Politik und psychischer Hygiene (Sommer et al., 1989). Einige dieser Auswirkungen fassen wir im folgenden knapp zusammen. Diese können als einzelne in den Vordergrund treten, sie können aber auch bei entsprechender politischer Eskalation gemeinsam erscheinen.


Individuelle Auswirkungen
  1. Positives Selbstbild: Ein Individuum erfährt durch Zugehörigkeit zu einer oder mehreren Gruppe(n) individuelle und soziale Identität. Dabei entwickelt es bei vorhandenem Feindbild durch Identifikation mit den „Guten“ und durch Abgrenzung von den „Bösen“ einen erhöhten Selbstwert, ein positive(re)s und idealisiertes Selbstbild.

  2. Simples Weltbild: Politische Informationen werden in einer stark vereinfachten „Gut- vs. Schlecht-“ Kategorie verarbeitet. Kognitive Prozesse wie Wahrnehmung, Informationssuche, Aufmerksamkeit, Interpretation, Ursachenzuschreibung, Gedächtnis und Erinnerung werden aktiv so organisiert, daß sie das positive Selbstbild und das negative Feindbild stützen. Negative Ereignisse oder Verhaltensweisen beim Gegner bestätigen das Feindbild, während sie bei der eigenen Seite durch spezifische Umstände bedingt sind und eine Ausnahme darstellen (Umgekehrtes gilt für positive Ereignisse). Positiv erscheinendes Verhalten des Feindes (zum Beispiel ein Angebot zur Abrüstung) wird als belanglos oder unzureichend oder nicht Ernst gemeint bewertet oder aber es verbirgt eine negative Absicht, zum Beispiel soll damit nur das eigene Bündnis gespalten werden. Da diese Prozesse u.a. durch das bedeutsame Motiv zur Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes gespeist werden, können nicht-kompatible Informationen negiert („selektive Wahrnehmung“), uminterpretiert oder auch aggressiv abgewehrt werden. Ereignisse werden eher anhand des Akteurs und weniger anhand des Ereignisses selbst bewertet. Vergleichbare Ereignisse (zum Beispiel Rüstung, Krieg) können somit völlig unterschiedlich beurteilt werden („doppelter Standard“). Dieses psychische Gesamtgeschehen hat für ein Individuum – zumindest kurzfristig – positive Auswirkungen: Auch hoch komplexe gesellschaftliche Vorkommnisse können ohne großen intellektuellen und emotionalen Aufwand in ein griffiges, einfaches Schema verarbeitet werden. Langfristig kann dies selbstverständlich auch negative Auswirkungen haben: Wenn gesellschaftliches Geschehen inadäquat bewertet und auf dieser Grundlage gehandelt wird, kann dies zu negativen Folgen für das Individuum (zur Rechenschaft gezogen werden), die Gemeinde und sogar die Menschheit führen (zum Beispiel Folgen von Rüstung, Industrialisierung und Wohlstand für Ökologie und Dritte Welt).

  3. Ängste erklären und Aggressionen ausleben: Ängste unterschiedlichsten Ursprungs (intrapsychisch, interpersonell, gesellschaftlich) können benannt, mit der Existenz eines bösen Feindes „erklärt“ und damit reduziert werden. Eigene Passivität beim Wahrnehmen von Unrecht – motiviert etwa durch Angstvermeidung – kann vor sich selbst und anderen damit „begründet“ werden, daß das Opfer (der Feind) letztlich selbst verantwortlich ist: Schlechte Gewissen werden beruhigt. Aggressionen unterschiedlichster Herkunft können auf den „bösen Feind“ gelenkt werden. Aggressives Handeln – tatsächlich oder in der Phantasie –, Foltern und andere Grausamkeiten, Töten bzw. Morden sind erlaubt, „gerechtfertigt“ und sogar gefordert. Sie werden von der Gruppe und/oder den Herrschenden belohnt: mit hohem Ansehen, mit Orden und der Auszeichnung „Held“, mit Geld oder anderen Reichtümern. Dies geschieht insbesondere, nachdem es gelungen ist, den „Feind“ zu entmenschlichen; dazu dienen Begriffe wie zum Beispiel Schwein, Ungeziefer, Ratte, Wanze.

  4. Psychischen Aufwand vermeiden: Wenn in der politischen Sozialisation und in dem gesellschaftlichen Klima Feindbilder verfestigt sind, bedeutet es einen großen psychischen Aufwand, diese zu überwinden: Denkgewohnheiten und emotionale Schemata müssen verändert, soziale Bestrafung muß ertragen werden, im Extremfall sind psychische Integrität und physische Existenz gefährdet. Diese Gefährdungen und die psychischen Anstrengungen können vermieden werden, solange ein Individuum sich an die gesellschaftliche Realität mit dem herrschenden Feindbild anpaßt bzw. sich ihr unterwirft.
Gesellschaftliche Auswirkungen
  1. Meinungen manipulieren: Politische Informationen über den „Feind“ sind häufig unabhängig von jeglichen persönlichen Erfahrungen. Die Öffentlichkeit ist somit abhängig von Informationen, wie sie u.a. von Massenmedien und Politikern vermittelt werden: Obwohl mit Neuigkeiten überfüttert, ist sie häufig uninformiert. Um ein Feindbild zu etablieren, können u.a. folgende Strategien der Propaganda eingesetzt werden: unerwünschte Informationen unterschlagen; erwünschte Informationen wiederholen; Ereignisse fälschen; Interpretationen im Sinne des Feindbildes mitliefern, u.a. durch Wortwahl, Bilder oder explizite Kommentare; über Ereignisse berichten ohne den relevanten geschichtlichen oder gesellschaftlichen Hintergrund zu reflektieren. Diese gezielte (Des-)Informationspolitik kann durch direkte Zensur der Medien erreicht werden; sie ist aber in Krisensituationen auch immer wieder in Ländern mit „freiem“ Pressewesen zu beobachten; dabei sind die Rollen von „Täter“ und „Opfer“ oft schwer auseinanderzuhalten (vgl. Golfkrieg).

  2. Militär stärken: Ein starkes Feindbild trägt dazu bei, die Bedeutung des Militärs in einer Gesellschaft zu erhöhen. Militärische Aktionen, Vernichtung, Völkermord werden legitimiert als notwendige Handlungen, um das Böse in der Welt zu bekämpfen und dem Guten (der eigenen Seite) zum Sieg zu verhelfen.

  3. Rüstung erhöhen: Eigene miltärische Ausgaben sind notwendig, eigene Waffensysteme sind gut und defensiv, dagegen sind Rüstung, Waffen, Miltärdoktrinen des „Feindes“ aggressiv und schlecht. Dies spiegelt sich auch in Namensgebungen wieder, wenn zum Beispiel die eigenen „Massen“vernichtungswaffen Kose- oder Friedensnamen erhalten („little big man“, „peacekeeper“).

  4. Nullsummendenken: Politische und miltärische Aktionen werden nach dem einfachen Schema bewertet, daß für die eigene Seite all das schlecht ist, was dem Feind nutzt und umgekehrt: Was dem Feind schadet, nutzt uns. Entsprechend ist des Feindes Freund unser Feind und des Feindes Feind unser Freund, mögen wir letzterem früher auch noch so negative Eigenschaften zugeschrieben haben. Gemeinsamer Nutzen und gemeinsamer Schaden werden nicht mehr wahrgenommen. Dies führt zum Beispiel dazu, daß der gesellschaftliche Schaden, der aus Militärausgaben folgt, nicht angemessen berücksichtigt wird oder daß lange Zeit davon ausgegangen wurde, daß ein Atomkrieg „gewonnen“ und ein Land mit atomaren oder chemischen Waffen „verteidigt“ werden kann.

  5. Gesellschaft stabilisieren: Der Verweis auf die Bedrohung durch einen „Feind“ erleichtert es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von relevanten Problemen in der eigenen Gesellschaft (zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Armut, Zensur, Unterdrückung) abzulenken und/oder die Bewertung und den Stellenwert dieser Probleme zu mindern. Zudem wird durch die Bekämpfung des „Bösen“ das Selbstbild der eigenen Gruppe, Gesellschaft und Nation erhöht.
    Innergesellschaftlich bedingte Unzufriedenheit und Aggressionen können gegen den „Feind“ kanalisiert werden. Somit schaffen Feindbilder Einigkeit nach innen und dienen der Herrschaftssicherung. Wegen der großen Bedrohung erscheint es auch legitim, die innergesellschaftliche Opposition zu diffamieren, zu unterdrücken, zu verfolgen und zu vernichten.

  6. Internationale Probleme vereinfachen: Internationale Probleme und Konflikte unterschiedlichster Art werden in das Feind-Freund-Denken hineingepreßt. Damit wird es überflüssig, sich sachgerecht mit ihnen auseinanderzusetzen, eine angemessene Problemsicht wird verhindert. Beispiele dafür sind allgemeine Menschheitsprobleme wie zum Beispiel Militärausgaben, Binden von intellektuellen Ressourcen durch Militärforschung, atomare, biologische und chemische „Massen“vernichtungsmittel (Overkill), Arbeitslosigkeit, Hunger, Unterernährung, Energie, Ökologie. Weitere Beispiele sind die Bewertung von Konflikten in anderen Gesellschaften und die entsprechende politische, finanzielle und militärische Unterstützung einzelner Konfliktparteien.

IV. Feindbilder am Beispiel des Golfkrieges 1990/91

Beim Golfkrieg 1990/91 und seiner Vorbereitung sind mindestens zwei Feindbild-Themen relevant: (1) Saddam Hussein, der zum Feind der Welt aufgebaut wurde und somit einen Krieg scheinbar erforderlich machte; (2) Anti-Amerikanismus und -Israelismus: Der Vorwurf gegenüber Gegnern des Krieges, ein Feindbild USA und/oder ein Feindbild Israel zu haben. Diese beiden Feindbild-Themen – das eine außenpolitisch, das andere innenpolitisch – ergänzen sich.


Feindbild Saddam Hussein?

Der irakische Diktator Saddam Hussein wurde – insbesondere in den führenden westlichen Ländern – nach der Annektion Kuwaits im August 1990 innerhalb kurzer Zeit zum Feind Nummer Eins der Welt, der Völkergemeinschaft, der Menschheit erklärt (er avancierte „gleichsam über Nacht vom hofierten Partner zum neuen Hitler“, Krell, 1991, 135). Dies wurde insbesondere mit der Metapher „Hitler von Bagdad“ (oder auch „Irrer von Bagdad“) prägnant verdeutlicht. Dem Irak wurde zudem eine riesige Militärmacht zugeschrieben, die viele Nachbarländer bedrohe. Dies führte zusammengefaßt zu folgendem Bild, das – wie wir sehen werden – die komplexe Realität extrem vereinfacht und verzerrt:

Ein Diktator hat einen wehrlosen Nachbarstaat brutal überfallen. Dafür muß er in einem gerechten Krieg bestraft werden. Somit wird das Völkerrecht verwirklicht, der Grundstein für eine neue friedliche und gerechte Weltordnung (nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes) wird gelegt. Ursache für den Krieg ist allein dieser Diktator.

Bei unserer Argumentation versuchen wir, einige Hauptlinien der Diskussion in der BRD und den USA aufzuzeigen. Unsere Überlegungen beruhen auf einer (eher unsystematischen) Analyse von Medien und auf Erfahrungen bei zahlreichen Gesprächen und Vorträgen.

Zunächst zu der Frage, ob es angemessen ist, von einem „Feindbild“ Hussein zu sprechen. Dies muß in der Tat eingeschränkt werden, denn an der negativen Sicht des Hussein ist – nach den uns bekannten Informationen – vieles realistisch: Er hat sein Land in hohem Maße aufgerüstet, u.a. mit chemischen Waffen; er hat nicht nur Kuwait überfallen, sondern früher bereits einen Krieg gegen den Nachbarn Iran begonnen; er hat die Opposition im eigenen Land sowie Minderheiten – Kurden und Assyrer – verfolgt und getötet; dabei hat er auch das völkerrechtlich geächtete Giftgas eingesetzt. Hussein ist also ein realer Feind zum Beispiel für irakische Oppositionsgruppen, Kurden und benachbarte Staaten. Trotz dieser Kumulation negativer Attribute erscheint es mir doch gerechtfertigt, das Konzept Feindbild zu verwenden. Denn viele systematische Verzerrungen sind zu beobachten, wenn der Irakkrieg auf das Phänomen „Böser Hussein“ reduziert wird: Relevante Daten und Ereignisse werden negiert (u.a. westlicher Kolonialismus; systematische Aufrüstung des Irak durch das Ausland; Waffenherstellung und -export; Energieverschwendung), zudem herrschen problematische Werte und Bewertungen vor, wenn zum Beispiel tote Irakis und ökologische Katastrophen wenig bedeuten. Wir werden dies im folgenden an einigen Aspekten illustrieren.


(1) Geschichtlicher Hintergrund und Kriegsbeginn

Die durch das Feindbild geprägte Meinung lautet: Allein Hussein ist für den Krieg verantwortlich, da er Kuwait annektiert hat.

Die Annektion Kuwaits war ein Bruch des Völkerrechts, der entsprechend mit den Mitteln der Vereinten Nationen zu sanktionieren und zu revidieren war. Zu einer angemessenen Bewertung der Ereignisse sind aber u.a. der historische Hintergrund sowie die Angemessenheit und Verhältnismäßigkewit des Mittels Krieg zu diskutieren.

Seit der Unabhängigkeit Kuwaits im Jahre 1961 gibt es Grenzstreitigkeiten zwischen Irak und Kuwait, insbesondere auch bezüglich der kuwaitischen Ausbeutung der dortigen Erdölfelder. Die Grenzen selbst sind zum Teil willkürlich durch die Kolonialmächte festgelegt worden. Der norwegische Friedensforscher Galtung erinnerte daran, daß Engländer bereits 1920 Iraker und Kurden mit Giftgas getötet hätten (FR, 4. März 1991). Die westliche Kolonialherrschaft und die Verfügung westlicher Firmen über den Rohstoff Öl führten in den arabischen Ländern zu einer weit verbreiteten negativen Einstellung gegenüber dem Westen, die von Hussein geschickt genutzt wurde. Somit erscheint der Krieg auch als eine späte Folge westlichen Kolonialismus.

Während des vom Irak begonnenen Kriegs gegen Iran wurde der Irak von der Sowjetunion, aber auch vom Westen politisch, militärisch und technologisch unterstützt. Hussein war anscheinend – trotz Unterdrückung der irakischen Bevölkerung, trotz Beginn eines Krieges mit über einer Million Toten und trotz Einsatz von Giftgas – ein akzeptabler Partner auch des Westens, und zwar, solange er ein „Schutzschild“ gegen den fundamentalistischen Iran war, solange er den „richtigen“ Krieg führte.

„Wir wußten, daß Saddam ein Hurensohn war, aber er war eben damals unser Hurensohn, den wir gegen die schlimmere Bedrohung des Ayatollah Khomeini einsetzen wollten“. (G. Kemp, Chef der Nahost-Abteilung im Sicherheitsrat der USA unter Präsident Reagan. Stern 6/91.) Das gleiche Muster des Umgangs zeigt sich gegenüber dem früheren Militärmachthaber Panamas, Noriega, der – u.a. als Waffen- und Geldlieferant für die nicaraguanischen Contras – bis unmittelbar vor seiner Entmachtung durch das US-Militär eng mit dem US-Geheimdienst CIA zusammenarbeitete und erhebliche finanzielle Zuwendungen erhielt. (FR, 17. Mai 1991).

Erst dann wurde er zum Feind erklärt, als er mit der Annektion Kuwaits auch die langfristigen westlichen Interessen gefährdete, insbesondere die Kontrolle der Verfügbarkeit über Öl und dessen Preispolitik. Der später insbesondere von westlichen Ländern beklagte – und als Kriegsgrund aufgeführte – hohe Rüstungsstand des Irak ist also zusätzlich zur UdSSR wesentlich von westlichen Länder mitproduziert worden.

Allgemeiner: Die Länder des Nahen Ostens haben zwischen 1974 und 1988 Waffen im Wert von 214 Mrd Dollar gekauft, größter Abnehmer war der Irak. Drei Viertel dieser Waffen wurden von den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Weltsicherheitsrats geliefert, also jenen, die den Krieg gegen den Irak beschlossen. FR, 7. März 1991.

Damit wird auch das grundlegende Problem von Waffenproduktion und Waffenexport thematisiert, die direkt (Exportgewinne) und indirekt (Sicherung von Herrschaftsstrukturen, die eine den westlichen Kapitalinteressen entgegenkommende Politik betreiben) zum Reichtum westlicher Länder beitragen. Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge westlichen Lebensstandards und westlicher (Rüstungs-)Politik, die auch mit Diktaturen eng zusammenarbeitet, sofern sie den westlichen Wirtschaftsinteressen entgegenkommen.

Der durch den Irankrieg hoch verschuldete Irak (etwa 70 Milliarden Dollar) wünschte insbesondere von seinen Nachbarländern Kuwait und Saudi-Arabien zunächst Schuldenerlaß, später eine Anhebung des Erdölpreises (der 1990 zeitweise unter 14 Dollar gefallen war) durch Drosselung der Produktion. Als dies nicht erreicht wurde, und als Kuwait auch bei der umstrittenen Ölförderung unterhalb der irakisch-kuwaitischen Grenze nicht kompromißbereit erschien, annektierte Irak den Nachbarstaat – nachdem von der Botschafterin der USA signalisiert wurde, daß US-Interessen nicht berührt seien (vgl. Karsh & Rautsi, 1991). Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge unterschiedlicher Interessen bei der Festsetzung des Erdölpreises, bei denen der Westen wesentlich beteiligt ist.

Die Verfügbarkeit von immer mehr Staaten über atomare und chemische Waffen ist auch eine Folge der Rüstungspolitik der Großmächte, insbesondere der USA, die in den letzten Jahren sowohl ein Atomteststopp-Abkommen (als Ergänzung des Nonproliferations-Vertrages) als auch die Unterzeichnung einer erweiterten C-Waffen-Konvention blockierten (Naturwissenschaftler-Rundbrief Verantwortung für den Frieden, 3/1990).

Nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak verabschiedete der UNO-Weltsicherheitsrat – insbesondere auf Betreiben der USA – eine Reihe von Resolutionen mit dem hauptsächlichen Ziel, die Souveränität des Kuwait wiederherzustellen. Dazu gehörten u.a. Forderung nach bedingungslosem Rückzug aus Kuwait (2. August 1990), Verhängung eines Handelsembargos (6. August), dessen Durchsetzung auch mit militärischen Mitteln (25. August) und schließlich – als der Irak unzureichend reagierte – mit der Resolution 678 (29. November) die Ankündigung, bei Ablauf des Ultimatums am 15. Januar 1991 die Souveränität Kuwaits mit „allen erforderlichen Mitteln“, also notfalls auch mit militärischer Gewalt wiederherzustellen. Insbesondere die Resolution 678 führte zu intensiven politischen Diskussionen. Für die Befürworter des Krieges war damit die Legitimation durch die „Weltgemeinschaft“ gegeben, die Verantwortung für einen möglichen Krieg wurde dem Irak zugeschrieben, da er Völkerrecht verletzt habe und die Resolutionen des Weltsicherheitsrates nicht anerkenne. Gegner des zu erwartenden Krieges führten u.a. die folgenden Argumente auf. (1) Das Embargo wirken lassen: Die Wirtschaft des Irak sei nahezu vollständig auf Einnahmen durch den Export von Erdöl angewiesen; die moderne Armee des Irak sei zur Aufrechterhaltung ihrer Einsatzfähigkeit weitgehend abhängig von importierter Technologie. Somit sei ein Erfolg des Embargos im Sinne der Durchsetzung von UNO-Resolutionen wahrscheinlich (vgl. Dembinski & Kubbig, 1991). (2) Verhältnismäßigkeit der Mittel: Es sei unverhältnismäßig, ein großes Unrecht (die Annektion Kuwaits) durch ein noch größeres Unrecht (einen Krieg) zu bekämpfen; bei jedem Krieg leide hauptsächlich die Zivilbevölkerung, das gelte es zu verhindern; es bestehe die Wahrscheinlichkeit, daß chemische und atomare Waffen eingesetzt werden mit ihren verheerenden Folgen für alles Leben; die ökologischen, aber auch die wirtschaftlichen und politischen Folgen eines Krieges seien für die Region und die Welt kaum absehbar; die UNO dürfe sich nicht zum Erfüllungsgehilfen des Weltpolizisten USA machen lassen (die Wende hin zu einem Krieg kam spätestens am 8. November – also zeitlich vor der Resolution 678 –, als US-Präsident Bush eine Verdoppelung der US-Truppen auf über 400 000 Soldaten verkündete und von einer „offensiven militärischen Option“ sprach; Spiegel, 49/1990); es gelte schließlich, unterschiedliche Standards zu vermeiden: So habe der UNO-Sicherheitsrat nicht oder erheblich weniger konsequent gehandelt, als andere Länder Völkerrecht brachen, zum Beispiel Syrien mit der Besetzung des Libanon, die Türkei mit der Verfolgung der Kurden und der Besetzung Nordzyperns, Marokko mit der Besetzung der Westsahara, Israel mit der Annektion der Westbank und der Golanhöhen, die USA mit ihren Militäreinsätzen zum Beispiel gegen Grenada (1983), Libyen (1986), Nicaragua (dafür verurteilt vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag) und Panama (1989). Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge zielgerichteter US-Politk, die es u.a. erreichte, den Weltsicherheitsrat für diese Politik zu gewinnen oder zu instrumentalisieren (vgl. Ruf, 1991). Dieses Argument wird noch dadurch unterstützt, daß die US-Regierung durch ihre ultimativen Forderungen und durch Ablehnen jeglicher Verhandlungen es Hussein unmöglich machte, bei einem Rückzug sein Gesicht zu wahren.

Zu den bisherigen Ausführungen einige Zitate und Hinweise:

Brzezinski (von 1977 bis 1981 nationaler Sicherheitsberater der USA; Spiegel 4/1991): „Meiner Meinung nach hätte ein Embargo langfristig zum Erfolg geführt…Sanktionen (hätten) sich besser mit einer neuen internationalen Weltordnung der Sicherheit und Zusammenarbeit vertragen. – Ein Krieg hätte verhindert werden können, wenn der Sicherheitsrat einen größeren Verhandlungsspielraum gelassen hätte … wenn die amerikanische Politik sich stärker um eine diplomatische Lösung bemüht hätte … und … wenn (die Europäer) nicht mit neuen Initiativen bis zum letzten Augenblick gewartet hätten.“

Crowe (bis Oktober 1989 höchster US-Offizier als Vorsitzender der Vereinigten Stabschefs): Bush solle zunächst die Wirkung der Wirtschaftsblockade abwarten, auch wenn das „12 bis 18“ Monate dauere; geduldiges Ausharren sei allemal beser als Krieg mit den zu erwartenden Opfern und Risiken. (Spiegel 49/1990). Entsprechend äußerte der zur Zeit der Krise tätige Chef des US-Generalstabs Powell „ernsthafte Zweifel“ an einer militärischen Lösung (FR, 3. Mai 1991).

General Schwarzkopf (Oberbefehlshaber am Golf, Einsätze im Vietnamkrieg, bei Grenada und Panama): „… die Sanktionen sind erst seit ein paar Monaten in Kraft. Warum sollten wir jetzt, wo sie zu schmerzen beginnen, plötzlich sagen: Okay, das war nichts, laßt uns die Sache hinter uns bringen und viele Menschen umbringen? Das ist doch verrückt.“ (Spiegel, 49/1990)

Ein erheblicher Teil der US-Politiker im US-Kongreß, wenn auch nicht die Mehrheit, lehnten die Option der Gewaltanwendung ab (Senat 47:52; Repräsentantenhaus 183:250).

Der französische Verteidigungsminister Chevenement, der wegen des Kriegs zurücktrat, bezeichnete ihn später als „amerikanische Expedition wie zur Kolonialzeit“ (FR, 23. April 1991).

Powell räumte ein, daß die USA seit mehreren Jahren Pläne für eine Truppenstationierung in der Region hatten: „Wir wollten seit geraumer Zeit gerne ein vorgeschobenes Hauptquartier in der Region, und nun besteht eine gute Gelegenheit“. (FR, 25. März und 20. Februar 1991)

Die Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“ zum Beispiel hatte bereits im Dezember 1988 den Bundesaußenminister Genscher in einem Brief gebeten, Klage gegen den Irak vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu erheben, und zwar aus zwei Gründen: (1) wegen der Giftgaseinsätze gegen den Iran (Verstoß gegen die Genfer Konvention von 1925, die den Einsatz chemischer Waffen ächtet); (2) wegen der Giftgaseinsätze gegen die irakischen Kurden (Verstoß gegen die UNO-Konvention von 1948 über Verhütung und Bestrafung des Völkermordes). Eine Klage aber wurde weder von der Bundesrepublik noch von einem anderen Staat erhoben.

Mohssen Massarrat; Professor für Politische Wissenschaften in Osnabrück (FR, 22. Februar 1991): „Der Krieg erst macht ihn (Saddam Hussein) zum Helden und Fürsprecher der Gedemütigten der Dritten Welt. – Die jahrhundertelang unterlegene morgenländische Kultur sieht ihre Zeit gekommen, jene Bedeutung, die sie einst in der Geschichte hatte, zurückzugewinnen und die islamische Identität wiederherzustellen. – Es geht um die Vernichtung Saddam Husseins als Symbol eines selbständig handelnden Repräsentanten einer Welt, die seit langem nach kultureller und ökonomischer Autonomie strebt, aber bisher scheiterte und eine Niederlage nach der anderen hat hinnehmen müsen. Anmaßende Überlegenheitsgefühle im Westen bestimmen das Denken und Handeln im gegenwärtigen Konflikt. Der kulturelle Konsens zwischen Politikern, Massenmedien und dem Mann auf der Straße, das feindliche Symbol Saddam Hussein im Krieg besiegen und vernichten zu wollen, läßt keinen Raum für friedliche Lösungsstrategien.“

Der irakische Philosoph Sadiq Galal al-Azm, Gastprofessor in den USA und der BRD, führte zum Feindbild Husseins aus (FR, 6. April 1991): „Saddam Hussein ist ein brutaler Diktator von übelster Statur. Aber das Bild, das man in Westen von ihm zeichnet, läuft auf eine Dämonisierung hinaus, als sei er die Inkarnation alles nur erdenklich Bösen. Wenn die Amerikaner und der Westen mit dieser Dämonisierung fortfahren, dann laufen sie Gefahr, arabische Realität falsch zu deuten. Denn die Sympathien, die Saddam Hussein in der arabischen Welt genießt, gelten nicht dem Diktator, sondern dem Mann, der sich westlichen Machtansprüchen widersetzt hat. Bei uns besteht allgemein der Eindruck, daß arabische Ressourcen und Bodenschätze, insbesondere das Erdöl, nicht von Arabern kontrolliert werden, sondern vom Westen. Und dieses Gefühl ist mit Ende des Golfkrieges wahrhaftig nicht geringer geworden. Wenn die westliche Vorherrschaft über die arabische Welt – in militärischer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht – sich fortsetzt, ist die nächste Explosion nur eine Frage der Zeit.“

Zusammengefaßt spricht für die Relevanz des Feindbildkonzeptes, daß die komplexe politische und militärische Situation durch Verweis auf die Person Hussein stark vereinfacht wurde. Durch die Bekämpfung dieses bösen Feindes wurde das Selbstbild erhöht, erhebliche Anteile des Westens an der Entstehung dieser Situation (u.a. Kolonialismus, Aufrüstung des Irak, Bedarf an billigem Öl, unzureichende Versuche nicht-militärischer Konfliktlösungen, gezieltes Hinwirken auf eine militärische Auseinandersetzung) konnten bewußtseinsmäßig in den Hintergrund gedrängt werden. Die Dämonisierung Husseins etablierte Denkverbote und trug bei zu einer Schuldentlastung der mit diesem System Verstrickten. Dies alles wurde erheblich erleichtert durch viele Handlungen der irakischen Seite, u.a. Geiselnahme, Folterungen, militärische Drohungen u.a. gegen Israel, zögerliches Eingehen auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.


Energieverbrauch (in Kilogramm Öleinheiten) pro Kopf der Bevölkerung:
  • USA: 7193
  • Bundesrepublik: 4719
  • Frankreich: 3673
  • Großbritannien: 3603
  • Argentinien: 1427
  • Indien: 208
(2) Ursachen des Krieges

Vermutlich hatte die US-Regierung im wesentlichen wirtschaftliche Gründe für ihren militärischen Einsatz, auch wenn Präsident Bush neben dem Interesse am Öl und der Absicherung des „american way of life“ weitere Gründe nannte, zum Beispiel die Befreiung der Geiseln und des Kuwait (hinzukommen mögen: außenpolitisch Festigung des politischen und militärischen Führungsanspruches weltweit; innenpolitisch Demonstration der Führungskraft des Präsidenten, Ablenken von großen wirtschaftlichen und sozialen Problemen). Der Rohstoff Öl aber ist in den letzten Jahrzehnten ein wesentlicher Faktor des Reichtums der westlichen Industriestaaten geworden: Neun Industriestaaten (etwa ein Viertel der Menschheit) verbrauchen drei Viertel der Energie und 80 Prozent der Rohstoffe (das Pendant: Nach dem Armutsbericht der Weltbank verfügen drei Viertel der Erdbevölkerung über ein durchschnittliches Jahreseinkommen von weniger als 2000 Dollar, davon nahezu drei Mrd. Menschen von weniger als 500 Dollar). Allein die USA (mit ca. vier Prozent der Weltbevölkerung) verbrauchen nahezu ein Viertel der Weltenergie, im wesentlichen Erdöl (davon wiederum werden ungefähr 60 Prozent für den Verkehrssektor verwendet; zum Vergleich: In der Bundesrepublik waren dies etwa 40 Prozent). Diese Daten können noch illustriert werden mit dem durchschnittlichen Energieverbrauch einiger Länder für das Jahr 1986 (Fischer Weltalmanach, 1990):

Somit sind insbesondere für die westlichen Industriestaaten der ungestörte Zugang zum Rohstoff Öl und ein (möglichst) niedriger Preis von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Nach einer aktuellen Regierungsvorlage soll auch die künftige Energiepolitik der USA weitgehend auf Energieeinsparungen und Nutzung regenerativer Energien verzichten (FR, 13. Febraur 1991). Die Kontrolle über den Ölpreis aber war durch die große Konzentration der Welt-Ölreserven beim Irak (nach der Annektion Kuwaits) und dessen Interesse an einem erheblich höheren Preis in ernster Gefahr.

Für das Feindbildkonzept bedeutet dies zusammengefaßt: Die Bekämpfung eines bösen Feindes läßt sich innen- und außenpolitisch leichter durchsetzen (zudem ist es für das Selbstbild erheblich günstiger!) als eine Politik, die wesentlich die Sicherung des Wohlstandes eines kleinen Teils der Erdbevölkerung zum Ziel hat. Der Verweis auf den Feind macht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Begleiterscheinungen dieser Politik, zum Beispiel mit Energievergeudung, Umweltverschmutzung und Armut in der Welt scheinbar weniger dringlich.


(3) Kriegsverlauf und -ende

Die Bevölkerung in unserem Land – eingeschlossen wohl auch die meisten Politiker, Journalisten und Wissenschaftler – war in ihrem Informationsstand weitestgehend abhängig von der Berichterstattung in den Massenmedien. Der Philosoph Günter Anders schrieb bereits 1956 zu Bildern und damit auch zu Massenmedien u.a. die folgenden allgemeinen Erkenntnisse: „… statt Welt zu erfahren kann man sich mit Weltphantomen abspeisen lassen …“ (S. 1) „Wenn es erst in seiner Reproduktionsform, also als Bild sozial wichtig wird, ist der Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen Wirklichkeit und Bild aufgehoben.“ (S. 111) „Was dem Betrachter geboten wird, ist also primär die Perspektive, unter der er die Ware „in Betracht ziehen“ soll; diese ist festgelegt und, noch ehe die Ware selbst geliefert ist, bereits vorgeliefert.“ (S. 162)

Wegen der strengen Zensur bei allen Kriegsbeteiligten führte dies zu einem geringen, extrem verzerrten Wissen über den Krieg. Auch nach Kriegsende wurde Zensur ausgeübt: So ordnete die US-Regierung Wissenschaftler an, der Öffentlichkeit keine Auskünfte über die ökologischen Folgen des Golfriegs zu geben (FAZ, 11. April 1991). Das grundlegende demokratische Recht auf Informationszugang wurde systematisch und in großem Umfang verletzt. Die Proteste gegen die Zensur waren insgesamt erstaunlich gering – demokratische Grundprinzipien können nach dieser Erfahrung auch in unserer politischen Kultur relativ leicht außer Kraft gesetzt werden.

Schon vor Kriegsbeginn waren in den deutschen Medien Berichte und Diskussionen über Rüstungsstand und militärische Optionen vorherrschend. Sie nahmen erheblich mehr Raum ein als Überlegungen zu nicht-militärischen Konfliktlösungen und Antizipationen wahrscheinlicher Kriegsfolgen.

Nach Kriegsbeginn wurde die brutale Realität des Krieges transformiert in ein Video-Kriegsspiel: Schöne Bilder zeigten den erfolgreichen Einsatz westlicher Technik gegen Militäreinrichtungen. Die Zuschauer saßen wie bei einer Sportreportage in der ersten Reihe. Suggeriert wurde ein sauberer Krieg, in dem es keine Verwundeten und Toten, kein Leid und Elend, keine Grausamkeiten und Verwüstungen gab – zumindest auf seiten der Alliierten. Einzelne Raketenangriffe auf Israel mit ihren Zerstörungen wurden detailliert mit Bildern gezeigt und kommentiert; die Auswirkungen tausender Angriffe der Alliierten auch auf die Zivilbevölkerung des Irak wurden nicht gezeigt und kaum erwähnt. Sendungen aus Washington in der abendlichen Tagesschau hatten eher den Charakter eines Hofberichts als einer reflektierten politischen Information. Insgesamt wurden somit „die westlichen Medien … während des Golf-Krieges zur Waffe gegen Iraks Staatschef Saddam Husein“ (FR, 4. März 1991), und es ist wohl zu ergänzen, auch zu einer Waffe gegen die eigene Bevölkerung, die sich kein realitätsangemessenes Bild von diesem Krieg machen konnte. Von den Medien und führenden Politikern wurden kurz nach Kriegsbeginn die zahlreichen Kriegsgegner nicht nur argumentativ kritisiert, sondern aggressiv verbal bekämpft bis zur Diffamierung. Mit Verlauf des Krieges befürwortete – nach den veröffentlichten Umfrageergebnisssen – die Mehrheit der Bevölkerung in der BRD und anderen westlichen Staaten den Krieg. Die politische Führung insbesondere in Großbritannien und den USA gewann erheblich an Popularität; die Zustimmung der US-Bevölkerung zur Politik ihres Präsidenten erreichte Rekordhöhen (dies ist ein weiterer Beleg dafür, daß Kriege von innenpolitischen Problemen ablenken sollen und dies auch häufig erfolgreich tun).

Dies stellt sich für einige arabische Staaten völlig anders dar – deren Bevölkerung sah in Hussein anscheinend hauptsächlich ein Symbol für neue Hoffnungen und forderte daher eine militärische Unterstützung des Irak. Der deutsche Botschafter in Marokko, W. Hofmann, sagte zu diesem für viele überraschenden Phänomen: „Der Westen neigt generell dazu, die Traumatisierung zu verkennen, welche die arabische Psyche als Folge der Kolonialisierung und des Absturzes in die Unterentwicklung belastet“. (FR, 15. Februar 1991) An diesem Beispiel wird deutlich, daß „Feindbild“ immer eine Perspektive beinhaltet: Es kommt auf den Beobachter und Beurteiler an. Für die verarmte Bevölkerung vieler arabischer Staaten wurde Hussein als Held wahrgenommen, der sich endlich gegen die westliche Vorherrschaft wehrt und eine bessere arabische Zukunft erhoffen läßt. Wie (un)realistisch diese Bewertung der Person Hussein auch immer sein mag: Ernst zu nehmen sind die zugrundeliegenden Motive, insbesondere Hoffnung darauf, wieder stolz sein zu können, ein Araber zu sein, und Hoffnung auch auf bessere Lebensbedingungen.

Da es darum ging, Hussein zu „bestrafen“, spielten im politischen Bewußtsein die schrecklichen Kriegsfolgen auch für die Zivilbevölkerung nur eine geringe Rolle: Zehntausende Tote und Verletzte, hunderttausende Flüchtlinge, verwüstete Länder waren (politisch) weniger wichtig als die Genugtuung, einen Diktator zu bestrafen. Auch die ökologische Katastrophe und die Gefährdung Israels wurden in Kauf genommen; denn sie waren von Hussein angedroht worden und somit vorhersehbar.Verschiedene Waffen wurden von den USA erstmals militärisch eingesetzt (Tomahawk-Marschflugkörper, lasergesteuerte Bomben, fuel-air explosives, cluster bomb units; FR, 10. Juni 1991), die mit ihrer Präzision und ihrem Vernichtungsausmaß eine weitere Eskalation grausamer Kriegsführung darstellen. Dagegen hat die US-Abwehrrakete „Patriot“ – die im Krieg als Retter Israels galt und Anlaß für eine modifizierte Weiterführung des SDI-Programms gab – in Israel vermutlich mehr Schaden angerichtet als verhindert (FAZ, 15. Mai 1991).

Am Beispiel des Landkrieges läßt sich wiederum die Dominanz der US-Politik (und nicht der UNO) demonstrieren. Der Landkrieg wurde begonnen trotz irakischer Bereitschaft zum Rückzug aus Kuwait und trotz intensiver, erfolgversprechender diplomatischer Bemühungen der UdSSR, den Krieg zu beenden. Für die Öffentlichkeit wurde die Landoffensive von den USA begründet mit neuesten Ölbränden sowie Grausamkeiten der irakischen Truppen an der kuwaitischen Bevölkerung. Dies wird vermutlich auch in Erinnerung bleiben und weniger die Tatsache, daß die Bodenoffensive bereits mindestens zwei Wochen vorher von den USA beschlossen war.

Der US-Regierungssprecher Fitzwater erwähnte, „die sowjetischen Friedensbemühungen hätten keinen Einfluß auf den Termin der Bodenoffensive gehabt. Auch sei er nicht dadurch bestimmt worden, daß die Iraker Ölfelder in Brand gesteckt hätten“ (Oberhessische Presse, 25. Februar 1991).

Zusammengefaßt ergibt sich für das Feindbildkonzept, daß die Bekämpfung und möglichst auch Vernichtung des Feindes Denken und Handeln beherrschten; dabei wurden die Brutalität des Krieges und die schrecklichen Folgen für Mensch und Umwelt in Kauf genommen, zum Teil auch eigene Aggressivität (stellvertretend) ausgelebt. Denken in militärischen Kategorien dominierte, Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösungen wurden nicht berücksichtigt und umfassende Zensur akzeptiert (es sei nur daran erinnert, mit welcher Heftigkeit und Ausdauer früher von unseren Politikern und Medien die zensierten Informationen zum Beispiel der DDR kritisiert wurden). Herrschaft wurde gesichert und das individuelle und kollektive Selbstbild positiv überhöht. Somit wurden insgesamt viele Merkmale des Feindbildkonzeptes politisch relevant.


(4) Auswirkungen des Krieges

Das zu „befreiende“ Kuwait ist weitgehend verwüstet. Die für die irakische Bevölkerung lebenswichtige Infrastruktur (Lebensmittel-, Wasser-, Strom-, medizinische Versorgung) ist weitestgehend zerstört. Mindestens zweihunderttausend Menschen wurden getötet, mindestens fünf Millionen Menschen verloren ihre Wohnung oder ihre Arbeit (Admiral a.D. Elmar Schmähling: „Moderner Krieg ist somit zwangsläufig ein Verbrechen gegen das Völkerrecht und die Menschlichkeit.“). Der Krieg hat zu einer verheerenden ökologischen Katastrophe geführt, insbesondere durch das irakische Entzünden der Ölfelder und das Einleiten von Öl ins Meer, aber auch durch die Kriegshandlungen der Alliierten. Beide kriegsführenden Seiten haben schwere Verstöße gegen den „Umweltkriegsverbots-Vertrag“ und das „Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen“ begangen (Krusewitz, im vorigen Infoheft).

Minderheiten im Irak wurden blutig unterdrückt bis hin zum Völkermord an den Kurden, nachdem die US-Regierung zum Aufstand ermutigt hatte. Die vielfältigen Probleme des Nahen Ostens sind nicht gelöst. Durch die Verschwendung von Geld und anderen Ressourcen (allein die USA hat ein Kriegstag zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Dollar gekostet) fehlen diese zur Bekämpfung weltweiter Probleme wie Armut, Hunger, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Energievergeudung und Umweltzerstörung. Die Gesamtkosten des Krieges werden auf 500 Milliarden Dollar geschätzt (Herwig u.a., im vorigen Infoheft); ein Betrag, mit dem die Lebensbedingungen der Armen dieser Welt in erheblichem Ausmaß hätten verbessert werden können.

Zwei Beispiele: Programme, die laut UNICEF ungefähr 40 Millionen Kindern pro Jahr das Leben retten könnten (insbesondere Impfungen gegen Masern, Keuchhusten und Tetanus; Antibiotika gegen Lungenentzündung; Zucker-Salz-Lösungen bei Durchfall) würden pro Jahr 2,4 Milliarden Dollar kosten, doch dafür fehlt bislang das Geld. Dringend erforderliche humanitäre Hilfen für die Flüchtlinge am Persischen Golf (eine Folge des Krieges!) kostet etwa 450 Millionen Dollar, dafür eingegangen sind bei der UNO aber nur 134 Millionen Dollar (OP, 13. Juni 1991).Das Selbstverständnis der US-Politik hat sich mit dem Irakkrieg stark verändert, das „Vietnam-Trauma“ erscheint überwunden. An der größten Militärparade der USA nach dem zweiten Weltkrieg zur Feier des Sieges Mitte Juni 1991 in New York (US-Präsident Bush: „Das ist gut für Amerika“) nahmen zwei Millionen Menschen teil (in Washington gab es zuvor 800 000 Teilnehmer; FR, 10. und 11. Juni 1991)). Die derzeitige US-Regierung sieht sich nun wieder in der Rolle der allein führenden Weltmacht. Neue Rüstungsprogramme mit hohen Kosten sind vorgesehen (zum Beispiel modifiziertes SDI; zehn Milliarden Dollar für ein neues „Tarnkappenflugzeug“; FR, 15. April 1991).

„Als Amerikaner (müssen wir) Verantwortung übernehmen, die Welt aus dem dunklen Chaos der Diktatoren … zu führen. …

(Jeder unserer Soldaten) führt einen mutigen Kampf, um für die Vereinigten Staaten, die Welt und zukünftige Generationen einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erlangen … Wir wollen ein SDI-Programm verfolgen, das jeder zukünftigen Bedrohung der Vereinigten Staaten, unserer Streitkräfte in Übersee und unserer Freunde und Verbündeten gewachsen ist … Unter den Ländern der Welt verfügen lediglich die Vereinigten Staaten über die moralische Standfestigkeit und die Mittel zu ihrer (einer neuen Weltordnung G.S.) Durchsetzung. – Wir wissen eins: Unsere Sache ist gerecht. Unsere Sache ist moralisch, und unsere Sache ist richtig. … Der Wind des Wandels weht aus unserer Richtung. Die Kräfte der Freiheit sind vereint. Wir treten zuversichtlicher als je zuvor in das nächste Jahrhundert ein, daß wir im In- und Ausland über den Willen verfügen, das zu leisten, was geleistet werden muß – harte Arbeit für die Freiheit.“ (FR, 5. Februar 1991 „begleitet vom starken Applaus der versammelten Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft der USA“)

Die USA nach Kriegsende: „Stehende Ovationen, Jubel und strahlende Gesichter beherrschten … die Kammer des US-Repräsentantenhauses, wo sich die beiden Häuser des Kongresses, das Kabinett, der Generalstab und das diplomatische Korps Washingtons versammelt hatten, um den Sieg am Golf zu feiern… Freude und Erleichterung, Stolz und noch einmal Stolz auf das US-Militär … und auf die politische Führung, die mit fester und kundiger Hand den Weg gewiesen hatte.“ (FR, 8. März 1991)

Liberation aus Paris kommentiert den Kriegsbeginn: George Bush „ist der Führer der Koalition des Rechts: Er ist es, der sie im Laufe der Wochen errichtet und der sie in die Schlacht geführt hat. Er verwirklicht den amerikanischen Traum, die Welt zu moralisieren, wenn nötig mit Gewalt.“ (Oberhessische Presse, 18. Januar 1991)

Und die liberale Frankfurter Rundschau (4. März 1991) kommentiert entsprechend: „Seit dem Kriegsende 1945 und der Mondlandung 1969 waren das Ansehen der USA in der Welt und das Selbstwertgefühl (hervorgehoben von G.S.) zu Hause nicht mehr so groß.“„… die Kombination aus entschlossener Führung und intensiver Konsultation und Kooperation mit anderen Staaten über ideologische und kulturelle Grenzen hinweg, ist ein erster gut gegründeter Pfeiler (einer „neuen Weltordnung“)“.

Der Chefredakteur der Zeitschrift Merkur (März 1991, S. 257f) schreibt zu Krieg und psychischer Gesundheit: „Nur noch bei den Angelsachsen findet sich ein selbstverständlicher Umgang mit dem Horrorszenario (der ihnen schon 1944 erlaubte, Dresden und später Hiroshima fast ohne moralische Skrupel auszulöschen). Als Herren der Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sie kein Schmerz- und Schuldbewußtsein entwickelt, ebensowenig wie der subjektiv gesund sich Fühlende zum Psychiater geht.“

Die USA konnten zudem mit dem Irakkrieg ein Exempel statuieren für andere Länder, die sich den weltweiten Interessen der Industrieländer zu widersetzen gedachten (US-Verteidigungsminister „Cheney will ausgefeiltere Raketen zum Schutz gegen Dritte Welt“, FR, 3. April 1991).

In den Regierungen der Nato-Länder erhält die militärische Konfliktlösung hohe Priorität. „Mobile Einsatzverbände“ sollen gebildet werden, um die weltweiten Probleme auch militärisch unterdrücken zu können. Die bisher verlautbarte Aufgabe der Nato, Schutz der Mitgliedsländer vor einem militärischen Angriff, wird somit erheblich gewandelt in eine Option zur militärischen Kontrolle weltweiter Probleme.

Dazu ist in Heft 1/91 von Europäische Sicherheit u.a. folgendes zu lesen. Nato-Generalsekretär Wörner: „(Die Golfkrise) ist … symptomatisch für das Ausmaß ungelöster Nord-Süd-Probleme und die globalen Aufgabenstellungen, die auch die Allianz in ihre künftigen Sicherheitsüberlegungen einbeziehen muß: das Problem der Ressourcenverteilung, der Energieversorgung und des Bevölkerungswachstums, die vielfältigen Auswirkungen ethnischer Konflikte und religiöser Spannungen, die Folgen großflächiger Umweltschäden, die Ausbreitung der Raketentechnologie sowie der nuklearen und chemischen Waffen, der internationale Terrorismus und das Drogenproblem …“ „Die Spannungen werden nicht nur durch Machtgelüste von Tyrannen … geschürt, sondern auch durch explosives Bevölkerungswachstum, Ressourcenprobleme, Unterentwicklung …“.

Und General v. Sandrart: „… gibt es ein neues Sicherheitsbedürfnis: den Schutz gegen Bedrohungen von außerhalb Europas. …hohes Bevölkerungswachstum, Armut verbunden mit Neid … Politisch gesteuertes Krisenmanagement bedarf dann auch abgestufter militärischer Optionen … auch Optionen für den Einsatz sofort verfügbarer, multinationaler Eingreiftruppen. … „Rapid Reaction Forces“ … sind in besonderem Maße Kräfte des Krisenmanagements.“

Der Golfkrieg hat somit auch zur Konsequenz, bei Politikern Denken in militärischen Kategorien zu stärken und bei Konfliktlösungen verstärkt militärische Mittel einzusetzen: Krieg ist wieder ein akzeptables Mittel der Politik geworden.

Dies bedeutet zusammengefaßt für das Feindbildkonzept: Die scheinbar erfolgreiche Bekämpfung des „Feindes“ dominiert politisches Denken, der errungene „Sieg“ erhöht das Selbstbild. Die schrecklichen Auswirkungen des Krieges für Millionen Menschen und die Natur werden aus dem (politischen) Bewußtsein gedrängt, ebenso die Tatsache, daß auch dieser Krieg mehr Probleme geschaffen als gelöst hat. Die Mitverantwortung unserer Politiker und unsere Mitschuld erleben wir als gering, da dem „bösen Feind“ die alleinige Schuld zugeschrieben wird. Wesentliche Probleme der gesamten Menschheit (Hunger, Unterentwicklung und Armut, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingselend, Umweltzerstörung) werden in ihrer Bedeutung vernachlässigt oder aber militärisch unter Kontrolle zu halten versucht.


Anti-Amerikanismus und Anti-Israelismus oder Feindbild Friedensbewegung?

Mit Beginn der Kriegshandlungen der Alliierten gab es in Fernsehen, Rundfunk und Printmedien eine breite und heftige Kampagne gegen die Friedensbewegung. Ihr wurde vorgeworfen, anti-amerikanisch und anti-israelitisch zu sein; damit wurde implizit oder auch explizit unterstellt, die Friedensbewegung unterstütze Hussein und sei letztlich an dem Krieg schuld (dazu wurde folgende Frage ständig wiederholt: Wann hat die Friedensbewegung für … – oder gegen … – demonstriert?). Inhaltlich entsprach diese Argumentation der Meinung des damaligen CDU-Generalsekretärs Geißler, der Pazifismus sei für die nationalsozialistischen Verbrechen wesentlich mitverantwortlich. Strukturell wird dabei nicht gesehen, daß Aktivitäten der Friedensbewegung sehr aufwendig zu organisieren sind und daß die Friedensbewegung besonders dann aktiv wird, wenn die eigenen Regierungen versagen. Zur Auseinandersetzung mit dieser Kampagne sei an die Argumente der Friedensbewegung erinnert.

Lange vor Beginn des Golfkrieges haben große Teile der Friedensbewegung u.a. folgende Forderungen erhoben: Rückzug des Irak aus Kuwait, Ende der Kriegsvorbereitungen, Durchsetzung der UN-Resolutionen mit einem Wirtschaftsembargo; eine Konferenz über Sicherheit im Nahen Osten, in der die vielfältigen Probleme dieser Region (u.a. Rüstung, Herschaftsstrukturen, Unterentwicklung, Armut vs. Reichtum, Sicherheit Israels, gesicherte Heimat für Pälästinenser und Kurden) verhandelt werden können. Nach Beginn des Krieges war dann eine zusätzliche zentrale Forderung, insbesondere an die US-Regierung, diesen Krieg schnellstmöglich mit einem Waffenstillstand zu unterbrechen, um mit allen beteiligten und betroffenen Staaten politische Lösungen zu erarbeiten und durchzusetzen.

Mit dem Vorwurf des Anti-Amerikanismus und -israelismus sollte offensichtlich ein Feindbild „Friedensbewegung“ aufgebaut werden, um die Akzeptanz des Krieges zu erhöhen und um von den eigentlichen Problemen abzulenken: dem Export von Waffen und militärisch relevanter Technologie in den Irak, solange dieser den „richtigen“ Krieg gegen den Iran geführt hatte; und dem Versagen von Politikern.

Die Friedensbewegung wandte sich nicht gegen „die Amerikaner“, sondern gegen die konkrete Politik der Regierung der USA, die – nach der Annexion Kuwaits – durch ihre unnachgiebige Position und durch den zunehmenden militärischen Aufmarsch – auf einen Krieg in der Golfregion hingearbeitet hat. Gegen den Krieg wandten sich auch mehrere hunderttausend US-Bürger sowie führende Theologen in Lateinamerika und den USA. Mit einer wesentlichen Forderung der Friedensbewegung, das Embargo längere Zeit wirken zu lassen, stimmten auch ein erheblicher Teil der Politiker im US-Senat und selbst höchste US-Militärs überein (vgl. oben). All diesen müßte daher auch der absurde Vorwurf des „Antiamerikanismus“ gemacht werden.

Erinnert sei an den Vietnamkrieg, der wesentlich durch die weltweiten Demonstrationen, auch in den USA, beendet wurde. Die gleichen Politiker, die damals von „Antiamerikanismus“ redeten, bezeichnen inzwischen den Vietnamkrieg als großen Fehler.

Die Friedensbewegung wendet sich zudem grundsätzlich gegen Krieg. Denn Krieg löst keine Probleme, er bedeutet vielmehr Leid, Tod, Grausamkeit, Verwüstung und Entmenschlichung. Das hat auch der Golfkrieg wieder erwiesen. Zudem wurde mit dem Golfkrieg ein Unrecht, die Annexion Kuwaits, mit einem viel größeren Unrecht geahndet – es wird also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mitteln grob mißachtet. Die Friedensbewegung setzt sich dafür ein, daß Konflikte friedlich gelöst werden und daß die menschlichen, finanziellen und technischen Möglichkeiten der Menschheit endlich eingesetzt werden zur Lösung der mannigfachen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Probleme der Erde.

Gegnern des Krieges wurden von vielen Seiten – u.a. Medien und Politikern, Israelis und Kriegsbefürwortern in der Bevölkerung – heftige Vorwürfe gemacht, die darin gipfelten, die Vernichtung Israels würde billigend in Kauf genommen. Manche dieser Äußerungen klangen so, als habe die Friedensbewegung Hussein politisch hervorgebracht und militärisch aufgerüstet – eine extreme Verzerrung der Realität. Ein Beispiel von vielen möge dies belegen (Resümee eines längeren Artikels, Der Spiegel, 18/1991):

„Ich meine nicht, daß sich die Mehrheit der Deutschen die Vernichtung Israels wünscht. Ich meine, daß in einem quantitativ wie qualitativ erheblichen Teil der Friedensbewegung der unbewußte, aber durchaus heftige Wunsch am Werke war, Saddam Hussein möge die historische Chance nutzen und den Job vollenden, den die Nazis nicht zu Ende bringen konnten.“

Das Anliegen der Kriegsgegner wurde somit ins Gegenteil verkehrt. Viele Organisationen aus der Friedens- und Ökologiebewegung hatten sich gegen einen Krieg und nach dessen Beginn für seine sofortige Beendigung eingesetzt. Dabei war die Grundüberlegung leitend, daß auch dieser Krieg die bereits vorhandenen Probleme nicht lösen und zusätzlich neue hervorbringen werde. Gefordert wurde daher eine Friedenskonferenz, in der die vielen Probleme der Region zu verhandeln sind, u.a. die Sicherheit Israels und eine gesicherte Heimat auch für Palästinenser und Kurden. Zu einer friedlichen Lösung, bei der die verschiedensten Interessen zu berücksichtigen sind, gebe es langfristig keine Alternative; denn die Sicherheit Israels sei auf Dauer nicht durch Waffen, Gewalt und Krieg zu sichern.

Daß es gelingen konnte, die Friedensbewegung im politischen Bewußtsein zum Hauptfeind Israels zu machen, verweist auf die Relevanz des Feindbildkonzepts: Wer sich nicht eindeutig für einen Krieg gegen Hussein bekannte, machte sich verdächtig, dessen Freund zu sein. Der Druck zum einheitlichen „Gruppendenken“ war erheblich, Abweichungen im Sinne einer differenzierten politischen Herangehensweise wurden sozial und moralisch verurteilt. Das Schüren intensiver Emotionen – mit besonderem Verweis auf die Geschichte der Juden in Deutschland – lenkte zum einen Aggressionen gegen die Friedensbewegung (statt gegen diejenigen, die durch ihr Verhalten Hussein politisch und militärisch aufgerüstet haben), und führte zum anderen zu einer moralischen Entlastung oder gar Erhöhung der Kriegsbefürworter (der Krieg wird nicht wegen des Öls geführt, sondern um hohe moralische Ziele zu erreichen, wie die Rettung Israels, Befreiung der Geiseln und des Kuwait). Die emotionale Intensität der Vorwürfe und die intellektuelle Entdifferenzierung der Argumentation verweisen auf die Relevanz des Feindbildes.


Schlußbemerkungen

Feindbilder können von Herrschenden – wider besseres Wissen – gezielt hergestellt werden, um eigene politische Interpretationen sowie wirtschaftliche und militärische Handlungen durchzusetzen – und zwar gegenüber der eigenen Bevölkerung und dem Ausland.

Verzerrte Informationen im Sinne von Feindbildern können aber auch als wahr angenommen werden. Das politisch Bedeutsame an diesen Interpretationen ist, daß sie als Grundlage der Politik dienen, auch wenn sie völlig realitätsfern sind.

Auch wenn einer Person, politischen Gruppierung oder Bevölkerung realitätsangemessen viele negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben werden, kann es doch lohnend sein, auf die Wirkung von Feindbildern zu achten: Kein Objekt besteht nur aus negativen Attributen und das Auffinden und Berücksichtigen positiver Merkmale kann wichtig sein für eine friedliche Konfliktlösung.

Feindbilder sind nach unserer Auffassung nicht Ursachen von Spannungen, Rüstung und Krieg. Ursachen sind vielmehr reale Konflikte, Interessengegensätze, das Streben nach besseren Lebensbedingungen, nach Reichtum und Macht, nach Einflußgebieten, Rohstoffen, Märkten und billigen Arbeitskräften. Bei der Durchsetzung einseitiger Interessen aber kommt Feindbildern eine wesentliche psychologische Mittlerunktion zu, sie sind die ideologische Hauptwaffe.

Für eine friedlichere Welt kommt dementsprechend dem Abbau von Feindbildern eine wichtige Funktion zu. Mindestens ebenso wichtig aber sind Entwickeln und Einsetzen von Konfliktstrategien, bei denen gewaltfrei Lösungen angestrebt werden unter Berücksichtigung der kurz- und langfristigen Interessen aller Betroffenen und Beteiligten. Als Zielperspektiven können dabei die bürgerlichen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte dienen.

Die fehlgeschlagenen Versuche, einen Krieg zu verhindern, verweisen auf fehlende demokratische Kompetenzen in der Bevölkerung und auf unzureichende demokratische Strukturen bei politischen Entscheidungen. Denn vor Kriegsbeginn gab es in den westlichen Ländern eine deutliche Mehrheit gegen den Krieg, die sich aber politisch nicht durchsetzen konnte.


Literatur

Fetscher, I. (Hrsg.). Feindbilder. Psychosozial, 40, 19-36.

Frei, D. (1985). Feindbilder und Abrüstung. München: Beck.

Keen, S. (1987). Bilder des Bösen. Weinheim: Beltz.

Krell, G. & Kubbig, B.W. (Hrsg.) (1991). Krieg und Frieden am Golf. Frankfurt: Fischer.

Ruf, W. (Hrsg.) (1991). Vom kalten Krieg zur heißen Ordnung? Münster: Lit.

Sherif, M. & Sherif, C. (1969). Social Psychology. New York: Harper & Row.

Sommer, G., Becker, J.M., Rehbein, K. & Zimmermann, R. (Hrsg.) (1988). Feindbilder im Dienste der Aufrüstung. Marburg: Schriftenreihe des Arbeitskreis Marburger Wissenschaftler für Friedens- und Abrüstungsforschung.

Spillmann, K.R. & Spillmann, K. (1990). Feindbilder: Entstehung, Funktion und Möglichkeiten ihres Abbaus. Internationale Schulbuchforschung, 12, 253-284.

(Teile dieses Aufsatzes werden mit dem Titel „Zur Psychologie von Feindbildern“ erscheinen in Voit, H. (Hrsg.) (1991). Geschichte ohne Feindbild? Erlanger Forschungen.)
 28. Juni 2002