|
|
|
|
Informationsstelle
Wissenschaft & Frieden
Gert Sommer
Wilhelm Kempf
Dossier Nummer 9
Dr. Gert Sommer ist Hochschullehrer am Fachbereich Psychologie der Universität
Marburg (Teil 1 – Zur Relevanz von Feindbildern). Prof. Dr. Wilhelm Kempf
lehrt an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften und Statistik der
Universität Konstanz.
(Teil
2 – Der inszenierte Krieg).
Zur Relevanz
von Feindbildern –
am Beispiel des Golfkrieges
Der inszenierte Krieg. Medienberichterstattung
und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg
Politisches Bewußtsein und Handeln sind stark vom Feind-Freund-Denken
beeinflußt, also von den Bildern, die sich Politiker und die Bevölkerung
von politisch relevanten Personen und Ereignissen machen. Feindbilder sind eine
Untergruppe von Vorurteilen. Insbesondere Sozialpsychologen haben herausgearbeitet,
daß Vorurteile wichtige individuelle und soziale Ursachen haben, die eng
miteinander verwoben sind.
I. Zur Psychologie von Feindbildern
Zunächst zu den individuellen Bedingungen für Vorurteile: Menschen
machen sich Bilder, Vorstellungen von sich selbst und ihrer Umwelt. Die Realität
ist so komplex, daß ein Individuum nicht alle Informationen wahrnehmen und
verarbeiten kann. Subjektiv Wichtiges ist von Unwichtigem zu trennen, sonst würde
das Individuum in einem Chaos von unendlich vielen Informationen untergehen, handlungsunfähig
werden. Die direkt vorhandenen und die prinzipiell verfügbaren Informationen
müssen also reduziert werden. Dies kann durch die Bildung
von Kategorien oder Klassen geschehen, zu denen auch Vorurteile gehören.
Kategorien bringen Übersichtlichkeit und Ordnung in die hochkomplexe Welt,
sie erleichtern die Identifikation und Bewertung von Objekten. Damit wird eine
subjektive Realität konstruiert, die für das Individuum Sinn
ergibt und ihm Handlungsfähigkeit ermöglicht. Solche Kategorien sind
zum Beispiel Stuhl, Tisch, Haus, Geschlecht, Alter, Religion, Beruf, Hautfarbe,
Nationalität, politische Überzeugung. Die jahrzehntelang in der Bundesrepublik
vermutlich wichtigste Kategorie internationaler Politik war „West“
gegenüber „Ost“ (und zum Beispiel nicht eine ebenso denkbare Kategorie
„Unterstützung von Diktaturen“). Handlungsfähigkeit mithilfe
von Kategorienbildung erfordert auch, daß die Kategorien möglichst
stabil und widerspruchsfrei sind; denn andernfalls müßten sie mit großem
intellektuellem und emotionalem Aufwand häufig verändert und den neuen
Bedingungen angepaßt werden. Um dies zu vermeiden, werden Informationen
bevorzugt danach aufgesucht und auch verarbeitet, daß sie mit den bestehenden
Kategorien konsistent sind und diese stabilisieren (Konsistenz-Prinzip).
Dies geschieht auch dadurch, daß solche Personen und Gruppen bevorzugt werden,
die entsprechende Informationen bereitstellen oder bestätigen.
Kategorienbildung und Konsistenzprinzip implizieren immer einen Informationsverlust;
dies kann zu unangemessenen und vorläufigen, aber relativ leicht korrigierbaren
Vor-Urteilen führen, jedoch auch zu groben Informationsverzerrungen, die
schwer veränderbar sein können. Letzeres geschieht insbesondere dann,
wenn realitäts-unangemessene Kategorien verwendet werden, wenn relevante
Informationen systematisch (d.h. auch motivbedingt) unberücksichtigt
bleiben und wenn diese Kategorien zusätzlich stark mit Emotionen besetzt
sind. Dies ist typisch für Feindbilder mit ihren intensiven negativen Emotionen.
Während die Bildung von Kategorien grundsätzlich eine kognitive Notwendigkeit
zur individuellen Orientierung ist, bedeutet ihre Ausgestaltung in Form von Feindbildern
eine starke Realitätsverzerrung, ein „pathologisches Extrem“
(Spillmann & Spillmann).
Zu den sozialen Bedingungen für Vorurteile: Menschen streben als soziale
Wesen nach sozialer Zugehörigkeit, sozialer Identität. Dazu suchen sie
Anschluß an Personen und Gruppen, die sie schätzen und denen sie ähnlich
sein wollen. Durch den engen Kontakt können Handlungs-, Denk-, Motiv- und
Wertemuster in hohem Ausmaß übernommen werden. Dies geschieht insbesondere
durch die psychologischen Prinzipien des Modell-Lernens und der sozialen Belohnung
und Bestrafung.
Psychologisch erleichternd und notwendig erscheint es, auch eine Gruppe der anderen,
Un-Ähnlichen zu konstruieren, von der Menschen sich abgrenzen und gegenüber
denen sie Nicht-Zugehörigkeit demonstrieren können. Beispiele für
solche Abgrenzungen von Wir- bzw. Innengruppen einerseits und Außengruppen
andrerseits sind Männer gegenüber Frauen, Schul- gegenüber Kindergartenkindern,
Studenten gegenüber Dozenten, Arbeiter gegenüber Angestellten, evangelische
gegenüber katholischen Christen, Christen gegenüber Nicht-Christen,
Weiße gegenüber Schwarzen, Konservative gegenüber Sozialisten.
Entsprechende Gruppenbildungen mit dem dazugehörigen „Wir“-Gefühl
sind grundsätzlich wichtig für die persönliche Identität und
für die Identität von Gruppen. Bei Feindbildern sind solche Gruppenbildungen
rigide und mit starken Emotionen besetzt: positive Gefühle bezüglich
der Wirgruppe, negative Gefühle gegenüber der Außengruppe.
In seinen bekannten Ferienlager-Experimenten konnte der Sozialpsychologe Mustafer
Sherif (Sherif & Sherif, 1969) aufzeigen, daß männliche Jugendliche
im Rahmen eines Ferienlagers – insbesonder durch die Aufteilung auf verschiedene
räumliche Einheiten – Gruppen bildeten mit eigenen Regeln und Rollenaufteilungen,
die schnell zu einem Wir-Gefühl und auch entsprechender Abgrenzung zu anderen
Grupen führten. Durch die experimentelle Herstellung einer Wettbewerbssituation
und die entsprechenden Gewinner- und Verlierer-Erlebnisse – es wurde ein
Spiele-Turnier organisiert und die Ergebnisse wurden ausgehängt – festigten
sich sowohl der innere Zusammenhalt der Gruppen als auch die Abgrenzung zwischen
den Gruppen erheblich, es kam schließlich zu tätlichen Auseinandersetzungen.
II. Vom Vorurteil zum Feindbild
Insbesondere bei Spannungen, Konflikten und Krisen kann es zu einem Eskalationsprozeß
kommen, in dem im inner- und zwischengesellschaftlichen Bereich die Gruppe der
anderen zunehmend negativ beurteilt wird mit den vorherrschenden Assoziationen
falsch, schlecht, minderwertig, gefährlich und böse. Dies kann zum Teil
realistisch sein (wenn zum Beispiel eine Gruppe die andere diskriminiert, unterdrückt,
ausbeutet oder gar physisch vernichtet), zum Teil kann dies auch – bei nur
geringer realistischer Grundlage – durch entsprechende Propaganda von einflußreichen
Meinungsbildnern hergestellt werden, zumindest sofern die Adressaten für
diese Propaganda auch empfänglich sind.
Die Distanz zum positiven Selbstbild und damit die Un-Ähnlichkeit wird im
Verlauf des Eskalationsprozesses immer größer. Allein die Nennung
des Feind-Namens führt zu einem Bündel negativer Bewertungen und Gefühle.
Das Bild vom anderen enthält dann (fast) auschließlich negative Attribute.
Der andere wird als brutal, kriegerisch, gefährlich und moralisch minderwertig
bewertet. Im Extrem wird ihm die Menschlichkeit abgesprochen, er wird zum
Unter-Menschen und Un-Menschen. Nach unserer Definition sind Feindbilder Deutungsmuster
für gesellschaftlich-politisches Geschehen; sie sind negative, hoch
emotionale, schwer veränderbare Vorurteile, die reichen können bis
hin zur fantasierten oder gar realen Vernichtung des Gegners. Feindbilder können
sich richten gegen einzelne Menschen, Gruppen, Völker, Staaten oder Ideologien.
Typisch für ein ausgeprägtes Feindbild ist also, daß es im anderen
nur oder hauptsächlich das Negative, Böse sieht (vgl. zum Beispiel die
Kennzeichnung der Sowjetunion als „Reich des Bösen“ durch US-Präsident
Reagan). Dies geschieht psychologisch u.a. dadurch, daß der gesamte Prozeß
der Informationsaufnahme und -verarbeitung in den Dienst der Aufrechterhaltung
dieses Bildes gestellt wird und daß dem Feind primär negative Motive
zugeschrieben werden. Dieses negative Bild kann in Teilbereichen realitätsangemessen
sein, häufig aber ist dies in den anderen hineinfantasiert, projiziert. Die
negative Realität kann im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung
zum Teil durch das Feindbild selbst produziert werden: Der andere verhält
sich so negativ, wie wir es von ihm erwarten und ihm durch unsere eigenen Aktionen
nahelegen.
Typisch für ein Feindbild ist zudem, daß es durch sachliche Informationen
kaum zu verändern ist. Dies unterscheidet es von vorläufigen Urteilen,
die hauptsächlich durch mangelnde Erfahrungen zustande kommen und erheblich
leichter zu revidieren sind.
Verzerrte Vorstellungen vom anderen im Sinne von Feindbildern können sich
in einem eskalierenden Prozeß wechselseitig entwickeln: Die an diesem
Prozeß beteiligten Gruppierungen nehmen sich gegenseitig zunehmend negativ
wahr (vgl. zum Beispiel Frei, 1985, bezogen auf die USA bzw. die UdSSR). Dieses
Phänomen wird auch als Spiegelbild von Feindbildern bezeichnet. Bei
dieser Begriffsverwendung besteht allerdings die Gefahr, daß reale Unterschiede
zwischen Gruppen in dem Ausmaß und bei den Thematiken ihrer Verzerrungen
leicht übersehen werden.
Der Begriff Feindbild wird in den letzten Jahren inflationär verwendet.
Nach der bisherigen Aufzählung von Attributen des Feindbildes grenzen wir
den Begriff daher im folgenden von benachbarten Sachverhalten ab. (1) Nach unserem
Verständnis reichen Kritik oder sachliche Gegnerschaft nicht aus,
von „Feindbild“ zu sprechen. (2) Zudem ist es psychologisch und politisch
bedeutsam, zwischen groben Verzerrungen, Vorurteilen im Sinne eines Feindbildes
einerseits und realen Gegnern und Feinden andrerseits zu unterscheiden.
Reale Feinde existieren und sie sind lebensgefährlich; als historisches Beispiel
sei an Hitler-Deutschland erinnert, das Grausamkeiten und millionenfachen Tod
brachte. Es ist daher bei der Bewertung der „anderen“ eine fortwährende
und nie endende Aufgabe, zwischen Vorurteilen einerseits und sachlich fundierten
Urteilen andrerseits zu unterscheiden.
Mit dieser Aussage heben wir uns von einem anderen Feindbild-Verständnis
ab, bei dem zum Beispiel auch die negative Darstellung von SS-Mördern als
Feindbild bezeichnet wird (zum Beispiel Keen, 1987); dabei wird der Begriff Feindbild
verstanden als negative Bewertung einer anderen Gruppe, unabhängig
davon, wie realistisch dieses Bild ist, also unabhängig davon, ob es sich
um ein negatives Vorurteil handelt.
Den oben erwähnten Eskalationsprozeß bei der Entwicklung von Feindbildern
haben Spillmann & Spillmann (1990) anhand umfangreicher Literaturanalysen
detailliert beschrieben. Da er von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung
von Feindbildern und die Diagnostik des Feindbilddenkens ist, stellen wir ihn
im folgenden ausführlich vor. Zusammengefaßt konzeptualisieren die
Autoren die eskalierende Entwicklung von Feindbildern – und zwar sowohl
bei individuellen als auch bei Gruppen-Beziehungen – als progrediente emotionale
und kognitive Regression.
„Interessengegensätze, Meinungsunterschiede, Angst oder Mißverständnisse
können zu intensiven Konflikten und bedrohlichen Auseinandersetzungen führen.
Ein solcher Eskalationsprozeß verläuft aber nicht chaotisch, sondern
stufenweise und in auffallender Weise reziprok zu den Stufen der emotionalen und
kognitiven Entwicklung.“ (S. 272).
Eskalationsstufe 1 meint alltägliche Konflikte, die bei beidseitigem
Bemühen und gegenseitiger Empathie konsensual und gerecht, d.h. unter Berücksichtigung
der Interessen beider Seiten, gelöst werden können.
Auf Eskalationsstufe 2 gewinnen die eigenen Anliegen – bei Vernachlässigung
gemeinsamer Interessen – deutlich an Gewicht, die Informationsaufnahme wird
weniger differenziert, Streitfragen werden erweitert und die Gegenseite wird kompetitiv
zu überzeugen versucht. Auf Eskalationsstufe 3 wird die rein verbale
Ebene verlassen und damit – zumindest kurzfristig – die eigene Spannung
reduziert. „Dabei sind die Erwartungen der Parteien paradox: Beide erwarten,
durch Druck und Entschlossenheit die Gegenpartei zum Nachgeben zu bringen, sind
selber aber nicht bereit, nachzugeben. Damit entsteht der für die Eskalation
bezeichnende Widerspruch, daß die beabsichtigte Wirkung einer Maßnahme
von der Gegenpartei als Signal zur Eskalation und nicht zur Deeskalation verstanden
wird.“ (S. 273) Sachfragen treten allmählich in den Hintergrund,
die Gegenseite wird mit kollektiven negativen Stereotypen (zum Beispiel „Rechte“
und „Linke“) charakterisiert, die Empathiebereitschaft schwindet zunehmend.
Entsprechend beginnt innerhalb der eigenen Gruppe der Konformitätsdruck,
„eines der ersten sichtbaren Warnsignale einer sich intensivierenden Eskalation.
Abweichende Meinungen, das heißt, unterschiedliche Wahrnehmungs- und Bewertungsweisen
des Konfliktverlaufs, werden immer weniger geduldet. Das bringt viele, die eigentlich
anderer Meinung sind, zum Schweigen und macht sie zu Mitläufern.“
(S. 273) Drohender Ausschluß aus der Gruppe evoziert „tiefliegende
Verlassenheits- und Verlustängste“, die durch den Gruppendruck
erzwungene Vereinheitlichung von Meinungen (Janis, 1972; spricht negativ vom
„Gruppendenken“) führt zu eingeengter, verzerrter Sicht der
Realität, die für den Problemlösungsprozeß erforderliche
Denkvielfalt wird drastisch reduziert.
Auf Eskalationsstufe 4 schwindet die Empathiebereitschaft. „Man
weiß zwar um die andere Perspektive, aber man ist nicht mehr fähig
oder bereit, die Gedanken, Gefühle und die Situation des anderen zu erschließen
und für das eigene Verhalten zu berücksichtigen.“ (S. 274)
Der emotionale Abstand zwischen den Gruppen nimmt weiter zu, „alles,
was ‚nicht-ich‘, bzw. ‚nicht-wir‘ ist, ist bedrohlich
und böse und wird abgelehnt. … Gleichzeitig nehmen die gegenseitigen
Projektionen zu: Was in den Parteien lebt, aber nicht als zum eigenen Bild gehörig
anerkannt wird, wird in die Außenwelt bzw. auf die Gegenpartei projiziert.“
(S. 274) Die Bilder, die sich jede Partei von sich selbst und den anderen
macht, beherrschen Denken, Handeln und Gefühle. „Der Druck auf indifferente
Personen oder Gruppen nimmt weiter zu. Wer mit beiden Seiten Kontakt pflegt, macht
sich verdächtig.“ (S.274)
Zur letzten Eskalationsstufe 5 kommt es, wenn „eine Seite eine
Handlung begeht oder zu begehen droht, die von der Gegenseite als Kränkung,
als „Gesichtsverlust“ erlebt wird, auf den sie sich entsprechend zu
reagieren gezwungen fühlt.“ (S. 275) Die Konflikte werden umfassend
ideologisiert, das gesamte Selbst- und Weltbild einbezogen. „…
Informationen (werden) wieder auf die frühkindlich-elementare Einordnung
in die Gegensatzpaare Fremd/Eigen, Bedrohlich/Sicher, bzw. Böse/Gut reduziert“.
Die Gegnerschaft wird als total erlebt, „die Wahrnehmung der Gegenseite
erstarrt zum Feindbild“ (S. 275) „Es geht um ‚Heilige
Werte‘ … und übergeordnete moralische Verpflichtungen. Diese
entbinden den einzelnen von der schweren Bürde persönlicher Verantwortung.“
(275) Gewalt wird unpersönlich, Drohungen und schließlich auch Gewaltakte
nehmen zu, „um glaubwürdig zu bleiben und den Feind von einem Gewaltakt
abzuhalten. … Dies wiederum beweist dem Bedrohten die Aggressivität
des Drohenden und provoziert Gegengewalt und damit weitere Eskalation, die bis
zur totalen Vernichtung und Selbstvernichtung führen kann. Der Feind wird
zum ‚Sachobjekt‘entwertet und völlig dehumanisiert. Damit schwindet
jede Gemeinsamkeit, damit schwinden auch alle menschlichen Normen und Skrupel.
Der Abbau und die Demontage der emotionalen und kognitiven Ordnungsmuster, die
dem Menschen Empathie und Differenzierung ermöglichen, ist auf diesen Eskalationsstufen
in bezug auf den Umgang mit dem Feind umfassend. Im Umgang mit der eigenen Gruppe
hingegen ist es den gleichen Menschen – aufgrund der wiederbelebten frühkindlichen
Spaltungsvorgänge von „Gut“ und „Böse“ –
möglich, innerhalb ihrer eigenen („guten“) Gruppe scheinbar normal
und menschlich zu funktionieren. Dies macht es dem unerfahrenen oder unwissenden
Beobachter schwer, mit ihrer effektiv tief regredierten Selbst- und Fremdwahrnehmung
zu rechnen und diese bei allfälligen Konfliktlösungsbemühungen
auch bewußt in Betracht zu ziehen.“ (275f)
Das Modell von Spillmann & Spillmann (1990) stellt die Entwicklung von Feindbildern
dar als Umgekehrung des Prozesses der emotionalen und kognitiven Entwicklung.
Mit dem zunehmenden Verlust an kognitiver und emotionaler Differenziertheit, also
mit zunehmender Regression, verfestigt sich Schwarz-Weiß-Denken; Empathie
– sich Hineinversetzen in die Welt des anderen – als eine wesentliche
Voraussetzung für erfolgreiches soziales Problemlösen geht verloren.
Die im Modell vorgestellten fünf Eskalationsstufen beschreiben wichtige Merkmale
der Feindbildentwicklung, sind aber nach unserer Meinung weniger klar voneinander
zu trennen; zudem können sie sich nicht nur auf den „Feind“ als
Gesamtes beziehen, sondern sie können begrenzt sein auf wichtige Teilbereiche
(zum Beispiel Gesellschaftsstruktur, nicht aber Kultur).
III. Auswirkungen von Feindbildern
Etablierte Feindbilder haben vielfältige Auswirkungen auf individueller und
gesellschaftlicher Ebene, sie sind ein wichtiger und „nützlicher“
Faktor in Politik und psychischer Hygiene (Sommer et al., 1989). Einige dieser
Auswirkungen fassen wir im folgenden knapp zusammen. Diese können als einzelne
in den Vordergrund treten, sie können aber auch bei entsprechender politischer
Eskalation gemeinsam erscheinen.
Individuelle Auswirkungen
- Positives Selbstbild: Ein Individuum erfährt durch Zugehörigkeit
zu einer oder mehreren Gruppe(n) individuelle und soziale Identität.
Dabei entwickelt es bei vorhandenem Feindbild durch Identifikation mit den „Guten“
und durch Abgrenzung von den „Bösen“ einen erhöhten Selbstwert,
ein positive(re)s und idealisiertes Selbstbild.
- Simples Weltbild: Politische Informationen werden in einer stark vereinfachten
„Gut- vs. Schlecht-“ Kategorie verarbeitet. Kognitive Prozesse wie
Wahrnehmung, Informationssuche, Aufmerksamkeit, Interpretation, Ursachenzuschreibung,
Gedächtnis und Erinnerung werden aktiv so organisiert, daß sie das
positive Selbstbild und das negative Feindbild stützen. Negative Ereignisse
oder Verhaltensweisen beim Gegner bestätigen das Feindbild, während
sie bei der eigenen Seite durch spezifische Umstände bedingt sind und eine
Ausnahme darstellen (Umgekehrtes gilt für positive Ereignisse). Positiv erscheinendes
Verhalten des Feindes (zum Beispiel ein Angebot zur Abrüstung) wird als belanglos
oder unzureichend oder nicht Ernst gemeint bewertet oder aber es verbirgt eine
negative Absicht, zum Beispiel soll damit nur das eigene Bündnis gespalten
werden. Da diese Prozesse u.a. durch das bedeutsame Motiv zur Aufrechterhaltung
eines positiven Selbstbildes gespeist werden, können nicht-kompatible Informationen
negiert („selektive Wahrnehmung“), uminterpretiert oder auch aggressiv
abgewehrt werden. Ereignisse werden eher anhand des Akteurs und weniger anhand
des Ereignisses selbst bewertet. Vergleichbare Ereignisse (zum Beispiel Rüstung,
Krieg) können somit völlig unterschiedlich beurteilt werden („doppelter
Standard“). Dieses psychische Gesamtgeschehen hat für ein Individuum
– zumindest kurzfristig – positive Auswirkungen: Auch hoch komplexe
gesellschaftliche Vorkommnisse können ohne großen intellektuellen und
emotionalen Aufwand in ein griffiges, einfaches Schema verarbeitet werden. Langfristig
kann dies selbstverständlich auch negative Auswirkungen haben: Wenn gesellschaftliches
Geschehen inadäquat bewertet und auf dieser Grundlage gehandelt wird, kann
dies zu negativen Folgen für das Individuum (zur Rechenschaft gezogen werden),
die Gemeinde und sogar die Menschheit führen (zum Beispiel Folgen von Rüstung,
Industrialisierung und Wohlstand für Ökologie und Dritte Welt).
- Ängste erklären und Aggressionen ausleben: Ängste unterschiedlichsten
Ursprungs (intrapsychisch, interpersonell, gesellschaftlich) können benannt,
mit der Existenz eines bösen Feindes „erklärt“ und damit
reduziert werden. Eigene Passivität beim Wahrnehmen von Unrecht – motiviert
etwa durch Angstvermeidung – kann vor sich selbst und anderen damit „begründet“
werden, daß das Opfer (der Feind) letztlich selbst verantwortlich ist: Schlechte
Gewissen werden beruhigt. Aggressionen unterschiedlichster Herkunft können
auf den „bösen Feind“ gelenkt werden. Aggressives Handeln –
tatsächlich oder in der Phantasie –, Foltern und andere Grausamkeiten,
Töten bzw. Morden sind erlaubt, „gerechtfertigt“ und sogar gefordert.
Sie werden von der Gruppe und/oder den Herrschenden belohnt: mit hohem Ansehen,
mit Orden und der Auszeichnung „Held“, mit Geld oder anderen Reichtümern.
Dies geschieht insbesondere, nachdem es gelungen ist, den „Feind“
zu entmenschlichen; dazu dienen Begriffe wie zum Beispiel Schwein, Ungeziefer,
Ratte, Wanze.
- Psychischen Aufwand vermeiden: Wenn in der politischen Sozialisation
und in dem gesellschaftlichen Klima Feindbilder verfestigt sind, bedeutet es einen
großen psychischen Aufwand, diese zu überwinden: Denkgewohnheiten und
emotionale Schemata müssen verändert, soziale Bestrafung muß ertragen
werden, im Extremfall sind psychische Integrität und physische Existenz gefährdet.
Diese Gefährdungen und die psychischen Anstrengungen können vermieden
werden, solange ein Individuum sich an die gesellschaftliche Realität mit
dem herrschenden Feindbild anpaßt bzw. sich ihr unterwirft.
Gesellschaftliche Auswirkungen
- Meinungen manipulieren: Politische Informationen über den „Feind“
sind häufig unabhängig von jeglichen persönlichen Erfahrungen.
Die Öffentlichkeit ist somit abhängig von Informationen, wie sie u.a.
von Massenmedien und Politikern vermittelt werden: Obwohl mit Neuigkeiten überfüttert,
ist sie häufig uninformiert. Um ein Feindbild zu etablieren, können
u.a. folgende Strategien der Propaganda eingesetzt werden: unerwünschte Informationen
unterschlagen; erwünschte Informationen wiederholen; Ereignisse fälschen;
Interpretationen im Sinne des Feindbildes mitliefern, u.a. durch Wortwahl, Bilder
oder explizite Kommentare; über Ereignisse berichten ohne den relevanten
geschichtlichen oder gesellschaftlichen Hintergrund zu reflektieren. Diese gezielte
(Des-)Informationspolitik kann durch direkte Zensur der Medien erreicht werden;
sie ist aber in Krisensituationen auch immer wieder in Ländern mit „freiem“
Pressewesen zu beobachten; dabei sind die Rollen von „Täter“
und „Opfer“ oft schwer auseinanderzuhalten (vgl. Golfkrieg).
- Militär stärken: Ein starkes Feindbild trägt dazu bei,
die Bedeutung des Militärs in einer Gesellschaft zu erhöhen. Militärische
Aktionen, Vernichtung, Völkermord werden legitimiert als notwendige Handlungen,
um das Böse in der Welt zu bekämpfen und dem Guten (der eigenen Seite)
zum Sieg zu verhelfen.
- Rüstung erhöhen: Eigene miltärische Ausgaben sind notwendig,
eigene Waffensysteme sind gut und defensiv, dagegen sind Rüstung, Waffen,
Miltärdoktrinen des „Feindes“ aggressiv und schlecht. Dies spiegelt
sich auch in Namensgebungen wieder, wenn zum Beispiel die eigenen „Massen“vernichtungswaffen
Kose- oder Friedensnamen erhalten („little big man“, „peacekeeper“).
- Nullsummendenken: Politische und miltärische Aktionen werden nach
dem einfachen Schema bewertet, daß für die eigene Seite all das schlecht
ist, was dem Feind nutzt und umgekehrt: Was dem Feind schadet, nutzt uns. Entsprechend
ist des Feindes Freund unser Feind und des Feindes Feind unser Freund, mögen
wir letzterem früher auch noch so negative Eigenschaften zugeschrieben haben.
Gemeinsamer Nutzen und gemeinsamer Schaden werden nicht mehr wahrgenommen. Dies
führt zum Beispiel dazu, daß der gesellschaftliche Schaden, der aus
Militärausgaben folgt, nicht angemessen berücksichtigt wird oder daß
lange Zeit davon ausgegangen wurde, daß ein Atomkrieg „gewonnen“
und ein Land mit atomaren oder chemischen Waffen „verteidigt“ werden
kann.
- Gesellschaft stabilisieren: Der Verweis auf die Bedrohung durch einen
„Feind“ erleichtert es, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
von relevanten Problemen in der eigenen Gesellschaft (zum Beispiel Arbeitslosigkeit,
Armut, Zensur, Unterdrückung) abzulenken und/oder die Bewertung und den Stellenwert
dieser Probleme zu mindern. Zudem wird durch die Bekämpfung des „Bösen“
das Selbstbild der eigenen Gruppe, Gesellschaft und Nation erhöht.
Innergesellschaftlich bedingte Unzufriedenheit und Aggressionen können gegen
den „Feind“ kanalisiert werden. Somit schaffen Feindbilder Einigkeit
nach innen und dienen der Herrschaftssicherung. Wegen der großen Bedrohung
erscheint es auch legitim, die innergesellschaftliche Opposition zu diffamieren,
zu unterdrücken, zu verfolgen und zu vernichten.
- Internationale Probleme vereinfachen: Internationale Probleme und Konflikte
unterschiedlichster Art werden in das Feind-Freund-Denken hineingepreßt.
Damit wird es überflüssig, sich sachgerecht mit ihnen auseinanderzusetzen,
eine angemessene Problemsicht wird verhindert. Beispiele dafür sind allgemeine
Menschheitsprobleme wie zum Beispiel Militärausgaben, Binden von intellektuellen
Ressourcen durch Militärforschung, atomare, biologische und chemische „Massen“vernichtungsmittel
(Overkill), Arbeitslosigkeit, Hunger, Unterernährung, Energie, Ökologie.
Weitere Beispiele sind die Bewertung von Konflikten in anderen Gesellschaften
und die entsprechende politische, finanzielle und militärische Unterstützung
einzelner Konfliktparteien.
IV. Feindbilder am Beispiel
des Golfkrieges 1990/91
Beim Golfkrieg 1990/91 und seiner Vorbereitung sind mindestens zwei Feindbild-Themen
relevant: (1) Saddam Hussein, der zum Feind der Welt aufgebaut wurde und somit
einen Krieg scheinbar erforderlich machte; (2) Anti-Amerikanismus und -Israelismus:
Der Vorwurf gegenüber Gegnern des Krieges, ein Feindbild USA und/oder ein
Feindbild Israel zu haben. Diese beiden Feindbild-Themen – das eine außenpolitisch,
das andere innenpolitisch – ergänzen sich.
Feindbild Saddam Hussein?
Der irakische Diktator Saddam Hussein wurde – insbesondere in den führenden
westlichen Ländern – nach der Annektion Kuwaits im August 1990 innerhalb
kurzer Zeit zum Feind Nummer Eins der Welt, der Völkergemeinschaft, der Menschheit
erklärt (er avancierte „gleichsam über Nacht vom hofierten
Partner zum neuen Hitler“, Krell, 1991, 135). Dies wurde insbesondere
mit der Metapher „Hitler von Bagdad“ (oder auch „Irrer von Bagdad“)
prägnant verdeutlicht. Dem Irak wurde zudem eine riesige Militärmacht
zugeschrieben, die viele Nachbarländer bedrohe. Dies führte zusammengefaßt
zu folgendem Bild, das – wie wir sehen werden – die komplexe Realität
extrem vereinfacht und verzerrt:
Ein Diktator hat einen wehrlosen Nachbarstaat brutal überfallen.
Dafür muß er in einem gerechten Krieg bestraft werden. Somit wird das
Völkerrecht verwirklicht, der Grundstein für eine neue friedliche und
gerechte Weltordnung (nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes) wird gelegt. Ursache
für den Krieg ist allein dieser Diktator.
Bei unserer Argumentation versuchen wir, einige Hauptlinien der Diskussion in
der BRD und den USA aufzuzeigen. Unsere Überlegungen beruhen auf einer (eher
unsystematischen) Analyse von Medien und auf Erfahrungen bei zahlreichen Gesprächen
und Vorträgen.
Zunächst zu der Frage, ob es angemessen ist, von einem „Feindbild“
Hussein zu sprechen. Dies muß in der Tat eingeschränkt werden, denn
an der negativen Sicht des Hussein ist – nach den uns bekannten Informationen
– vieles realistisch: Er hat sein Land in hohem Maße aufgerüstet,
u.a. mit chemischen Waffen; er hat nicht nur Kuwait überfallen, sondern früher
bereits einen Krieg gegen den Nachbarn Iran begonnen; er hat die Opposition im
eigenen Land sowie Minderheiten – Kurden und Assyrer – verfolgt und
getötet; dabei hat er auch das völkerrechtlich geächtete Giftgas
eingesetzt. Hussein ist also ein realer Feind zum Beispiel für irakische
Oppositionsgruppen, Kurden und benachbarte Staaten. Trotz dieser Kumulation negativer
Attribute erscheint es mir doch gerechtfertigt, das Konzept Feindbild zu verwenden.
Denn viele systematische Verzerrungen sind zu beobachten, wenn der Irakkrieg auf
das Phänomen „Böser Hussein“ reduziert wird: Relevante Daten
und Ereignisse werden negiert (u.a. westlicher Kolonialismus; systematische Aufrüstung
des Irak durch das Ausland; Waffenherstellung und -export; Energieverschwendung),
zudem herrschen problematische Werte und Bewertungen vor, wenn zum Beispiel tote
Irakis und ökologische Katastrophen wenig bedeuten. Wir werden dies im folgenden
an einigen Aspekten illustrieren.
(1) Geschichtlicher Hintergrund und Kriegsbeginn
Die durch das Feindbild geprägte Meinung lautet: Allein Hussein ist für
den Krieg verantwortlich, da er Kuwait annektiert hat.
Die Annektion Kuwaits war ein Bruch des Völkerrechts, der entsprechend mit
den Mitteln der Vereinten Nationen zu sanktionieren und zu revidieren war. Zu
einer angemessenen Bewertung der Ereignisse sind aber u.a. der historische Hintergrund
sowie die Angemessenheit und Verhältnismäßigkewit des Mittels
Krieg zu diskutieren.
Seit der Unabhängigkeit Kuwaits im Jahre 1961 gibt es Grenzstreitigkeiten
zwischen Irak und Kuwait, insbesondere auch bezüglich der kuwaitischen Ausbeutung
der dortigen Erdölfelder. Die Grenzen selbst sind zum Teil willkürlich
durch die Kolonialmächte festgelegt worden. Der norwegische Friedensforscher
Galtung erinnerte daran, daß Engländer bereits 1920 Iraker und Kurden
mit Giftgas getötet hätten (FR, 4. März 1991). Die westliche Kolonialherrschaft
und die Verfügung westlicher Firmen über den Rohstoff Öl führten
in den arabischen Ländern zu einer weit verbreiteten negativen Einstellung
gegenüber dem Westen, die von Hussein geschickt genutzt wurde. Somit erscheint
der Krieg auch als eine späte Folge westlichen Kolonialismus.
Während des vom Irak begonnenen Kriegs gegen Iran wurde der Irak von der
Sowjetunion, aber auch vom Westen politisch, militärisch und technologisch
unterstützt. Hussein war anscheinend – trotz Unterdrückung der
irakischen Bevölkerung, trotz Beginn eines Krieges mit über einer Million
Toten und trotz Einsatz von Giftgas – ein akzeptabler Partner auch des Westens,
und zwar, solange er ein „Schutzschild“ gegen den fundamentalistischen
Iran war, solange er den „richtigen“ Krieg führte.
„Wir wußten, daß Saddam ein Hurensohn war, aber er war eben
damals unser Hurensohn, den wir gegen die schlimmere Bedrohung des Ayatollah Khomeini
einsetzen wollten“. (G. Kemp, Chef der Nahost-Abteilung im Sicherheitsrat
der USA unter Präsident Reagan. Stern 6/91.) Das gleiche Muster des Umgangs
zeigt sich gegenüber dem früheren Militärmachthaber Panamas, Noriega,
der – u.a. als Waffen- und Geldlieferant für die nicaraguanischen Contras
– bis unmittelbar vor seiner Entmachtung durch das US-Militär eng mit
dem US-Geheimdienst CIA zusammenarbeitete und erhebliche finanzielle Zuwendungen
erhielt. (FR, 17. Mai 1991).
Erst dann wurde er zum Feind erklärt, als er mit der Annektion Kuwaits auch
die langfristigen westlichen Interessen gefährdete, insbesondere die Kontrolle
der Verfügbarkeit über Öl und dessen Preispolitik. Der später
insbesondere von westlichen Ländern beklagte – und als Kriegsgrund
aufgeführte – hohe Rüstungsstand des Irak ist also zusätzlich
zur UdSSR wesentlich von westlichen Länder mitproduziert worden.
Allgemeiner: Die Länder des Nahen Ostens haben zwischen 1974 und 1988 Waffen
im Wert von 214 Mrd Dollar gekauft, größter Abnehmer war der Irak.
Drei Viertel dieser Waffen wurden von den fünf ständigen Mitgliedern
des UN-Weltsicherheitsrats geliefert, also jenen, die den Krieg gegen den Irak
beschlossen. FR, 7. März 1991.
Damit wird auch das grundlegende Problem von Waffenproduktion und Waffenexport
thematisiert, die direkt (Exportgewinne) und indirekt (Sicherung von Herrschaftsstrukturen,
die eine den westlichen Kapitalinteressen entgegenkommende Politik betreiben)
zum Reichtum westlicher Länder beitragen. Somit erscheint der Krieg auch
als eine Folge westlichen Lebensstandards und westlicher (Rüstungs-)Politik,
die auch mit Diktaturen eng zusammenarbeitet, sofern sie den westlichen Wirtschaftsinteressen
entgegenkommen.
Der durch den Irankrieg hoch verschuldete Irak (etwa 70 Milliarden Dollar) wünschte
insbesondere von seinen Nachbarländern Kuwait und Saudi-Arabien zunächst
Schuldenerlaß, später eine Anhebung des Erdölpreises (der 1990
zeitweise unter 14 Dollar gefallen war) durch Drosselung der Produktion. Als dies
nicht erreicht wurde, und als Kuwait auch bei der umstrittenen Ölförderung
unterhalb der irakisch-kuwaitischen Grenze nicht kompromißbereit erschien,
annektierte Irak den Nachbarstaat – nachdem von der Botschafterin der USA
signalisiert wurde, daß US-Interessen nicht berührt seien (vgl. Karsh
& Rautsi, 1991). Somit erscheint der Krieg auch als eine Folge unterschiedlicher
Interessen bei der Festsetzung des Erdölpreises, bei denen der Westen
wesentlich beteiligt ist.
Die Verfügbarkeit von immer mehr Staaten über atomare und chemische
Waffen ist auch eine Folge der Rüstungspolitik der Großmächte,
insbesondere der USA, die in den letzten Jahren sowohl ein Atomteststopp-Abkommen
(als Ergänzung des Nonproliferations-Vertrages) als auch die Unterzeichnung
einer erweiterten C-Waffen-Konvention blockierten (Naturwissenschaftler-Rundbrief
Verantwortung für den Frieden, 3/1990).
Nach der Besetzung Kuwaits durch den Irak verabschiedete der UNO-Weltsicherheitsrat
– insbesondere auf Betreiben der USA – eine Reihe von Resolutionen
mit dem hauptsächlichen Ziel, die Souveränität des Kuwait wiederherzustellen.
Dazu gehörten u.a. Forderung nach bedingungslosem Rückzug aus Kuwait
(2. August 1990), Verhängung eines Handelsembargos (6. August), dessen Durchsetzung
auch mit militärischen Mitteln (25. August) und schließlich –
als der Irak unzureichend reagierte – mit der Resolution 678 (29. November)
die Ankündigung, bei Ablauf des Ultimatums am 15. Januar 1991 die Souveränität
Kuwaits mit „allen erforderlichen Mitteln“, also notfalls auch
mit militärischer Gewalt wiederherzustellen. Insbesondere die Resolution
678 führte zu intensiven politischen Diskussionen. Für die Befürworter
des Krieges war damit die Legitimation durch die „Weltgemeinschaft“
gegeben, die Verantwortung für einen möglichen Krieg wurde dem Irak
zugeschrieben, da er Völkerrecht verletzt habe und die Resolutionen des Weltsicherheitsrates
nicht anerkenne. Gegner des zu erwartenden Krieges führten u.a. die folgenden
Argumente auf. (1) Das Embargo wirken lassen: Die Wirtschaft des Irak sei
nahezu vollständig auf Einnahmen durch den Export von Erdöl angewiesen;
die moderne Armee des Irak sei zur Aufrechterhaltung ihrer Einsatzfähigkeit
weitgehend abhängig von importierter Technologie. Somit sei ein Erfolg des
Embargos im Sinne der Durchsetzung von UNO-Resolutionen wahrscheinlich (vgl. Dembinski
& Kubbig, 1991). (2) Verhältnismäßigkeit der Mittel:
Es sei unverhältnismäßig, ein großes Unrecht (die Annektion
Kuwaits) durch ein noch größeres Unrecht (einen Krieg) zu bekämpfen;
bei jedem Krieg leide hauptsächlich die Zivilbevölkerung, das gelte
es zu verhindern; es bestehe die Wahrscheinlichkeit, daß chemische und atomare
Waffen eingesetzt werden mit ihren verheerenden Folgen für alles Leben; die
ökologischen, aber auch die wirtschaftlichen und politischen Folgen eines
Krieges seien für die Region und die Welt kaum absehbar; die UNO dürfe
sich nicht zum Erfüllungsgehilfen des Weltpolizisten USA machen lassen (die
Wende hin zu einem Krieg kam spätestens am 8. November – also zeitlich
vor der Resolution 678 –, als US-Präsident Bush eine Verdoppelung
der US-Truppen auf über 400 000 Soldaten verkündete und von einer
„offensiven militärischen Option“ sprach; Spiegel, 49/1990);
es gelte schließlich, unterschiedliche Standards zu vermeiden: So habe der
UNO-Sicherheitsrat nicht oder erheblich weniger konsequent gehandelt, als andere
Länder Völkerrecht brachen, zum Beispiel Syrien mit der Besetzung des Libanon,
die Türkei mit der Verfolgung der Kurden und der Besetzung Nordzyperns, Marokko
mit der Besetzung der Westsahara, Israel mit der Annektion der Westbank und der
Golanhöhen, die USA mit ihren Militäreinsätzen zum Beispiel gegen
Grenada (1983), Libyen (1986), Nicaragua (dafür verurteilt vom Internationalen
Gerichtshof in Den Haag) und Panama (1989). Somit erscheint der Krieg auch
als eine Folge zielgerichteter US-Politk, die es u.a. erreichte, den Weltsicherheitsrat
für diese Politik zu gewinnen oder zu instrumentalisieren (vgl. Ruf, 1991).
Dieses Argument wird noch dadurch unterstützt, daß die US-Regierung
durch ihre ultimativen Forderungen und durch Ablehnen jeglicher Verhandlungen
es Hussein unmöglich machte, bei einem Rückzug sein Gesicht zu wahren.
Zu den bisherigen Ausführungen einige Zitate und Hinweise:
Brzezinski (von 1977 bis 1981 nationaler Sicherheitsberater der USA; Spiegel 4/1991):
„Meiner Meinung nach hätte ein Embargo langfristig zum Erfolg geführt…Sanktionen
(hätten) sich besser mit einer neuen internationalen Weltordnung der Sicherheit
und Zusammenarbeit vertragen. – Ein Krieg hätte verhindert werden können,
wenn der Sicherheitsrat einen größeren Verhandlungsspielraum gelassen
hätte … wenn die amerikanische Politik sich stärker um eine diplomatische
Lösung bemüht hätte … und … wenn (die Europäer)
nicht mit neuen Initiativen bis zum letzten Augenblick gewartet hätten.“
Crowe (bis Oktober 1989 höchster US-Offizier als Vorsitzender der Vereinigten
Stabschefs): Bush solle zunächst die Wirkung der Wirtschaftsblockade abwarten,
auch wenn das „12 bis 18“ Monate dauere; geduldiges Ausharren
sei allemal beser als Krieg mit den zu erwartenden Opfern und Risiken. (Spiegel
49/1990). Entsprechend äußerte der zur Zeit der Krise tätige Chef
des US-Generalstabs Powell „ernsthafte Zweifel“ an einer militärischen
Lösung (FR, 3. Mai 1991).
General Schwarzkopf (Oberbefehlshaber am Golf, Einsätze im Vietnamkrieg,
bei Grenada und Panama): „… die Sanktionen sind erst seit ein
paar Monaten in Kraft. Warum sollten wir jetzt, wo sie zu schmerzen beginnen,
plötzlich sagen: Okay, das war nichts, laßt uns die Sache hinter uns
bringen und viele Menschen umbringen? Das ist doch verrückt.“ (Spiegel,
49/1990)
Ein erheblicher Teil der US-Politiker im US-Kongreß, wenn auch nicht die
Mehrheit, lehnten die Option der Gewaltanwendung ab (Senat 47:52; Repräsentantenhaus
183:250).
Der französische Verteidigungsminister Chevenement, der wegen des Kriegs
zurücktrat, bezeichnete ihn später als „amerikanische Expedition
wie zur Kolonialzeit“ (FR, 23. April 1991).
Powell räumte ein, daß die USA seit mehreren Jahren Pläne für
eine Truppenstationierung in der Region hatten: „Wir wollten seit geraumer
Zeit gerne ein vorgeschobenes Hauptquartier in der Region, und nun besteht eine
gute Gelegenheit“. (FR, 25. März und 20. Februar 1991)
Die Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“
zum Beispiel hatte bereits im Dezember 1988 den Bundesaußenminister Genscher in
einem Brief gebeten, Klage gegen den Irak vor dem Internationalen Gerichtshof
in Den Haag zu erheben, und zwar aus zwei Gründen: (1) wegen der Giftgaseinsätze
gegen den Iran (Verstoß gegen die Genfer Konvention von 1925, die den Einsatz
chemischer Waffen ächtet); (2) wegen der Giftgaseinsätze gegen die irakischen
Kurden (Verstoß gegen die UNO-Konvention von 1948 über Verhütung
und Bestrafung des Völkermordes). Eine Klage aber wurde weder von der Bundesrepublik
noch von einem anderen Staat erhoben.
Mohssen Massarrat; Professor für Politische Wissenschaften in Osnabrück
(FR, 22. Februar 1991): „Der Krieg erst macht ihn (Saddam Hussein) zum
Helden und Fürsprecher der Gedemütigten der Dritten Welt. – Die
jahrhundertelang unterlegene morgenländische Kultur sieht ihre Zeit gekommen,
jene Bedeutung, die sie einst in der Geschichte hatte, zurückzugewinnen und
die islamische Identität wiederherzustellen. – Es geht um die Vernichtung
Saddam Husseins als Symbol eines selbständig handelnden Repräsentanten
einer Welt, die seit langem nach kultureller und ökonomischer Autonomie strebt,
aber bisher scheiterte und eine Niederlage nach der anderen hat hinnehmen müsen.
Anmaßende Überlegenheitsgefühle im Westen bestimmen das Denken
und Handeln im gegenwärtigen Konflikt. Der kulturelle Konsens zwischen Politikern,
Massenmedien und dem Mann auf der Straße, das feindliche Symbol Saddam Hussein
im Krieg besiegen und vernichten zu wollen, läßt keinen Raum für
friedliche Lösungsstrategien.“
Der irakische Philosoph Sadiq Galal al-Azm, Gastprofessor in den USA und der BRD,
führte zum Feindbild Husseins aus (FR, 6. April 1991): „Saddam Hussein
ist ein brutaler Diktator von übelster Statur. Aber das Bild, das man in
Westen von ihm zeichnet, läuft auf eine Dämonisierung hinaus, als sei
er die Inkarnation alles nur erdenklich Bösen. Wenn die Amerikaner und der
Westen mit dieser Dämonisierung fortfahren, dann laufen sie Gefahr, arabische
Realität falsch zu deuten. Denn die Sympathien, die Saddam Hussein in der
arabischen Welt genießt, gelten nicht dem Diktator, sondern dem Mann, der
sich westlichen Machtansprüchen widersetzt hat. Bei uns besteht allgemein
der Eindruck, daß arabische Ressourcen und Bodenschätze, insbesondere
das Erdöl, nicht von Arabern kontrolliert werden, sondern vom Westen. Und
dieses Gefühl ist mit Ende des Golfkrieges wahrhaftig nicht geringer geworden.
Wenn die westliche Vorherrschaft über die arabische Welt – in militärischer,
politischer und wirtschaftlicher Hinsicht – sich fortsetzt, ist die nächste
Explosion nur eine Frage der Zeit.“
Zusammengefaßt spricht für die Relevanz des Feindbildkonzeptes,
daß die komplexe politische und militärische Situation durch Verweis
auf die Person Hussein stark vereinfacht wurde. Durch die Bekämpfung dieses
bösen Feindes wurde das Selbstbild erhöht, erhebliche Anteile des Westens
an der Entstehung dieser Situation (u.a. Kolonialismus, Aufrüstung des Irak,
Bedarf an billigem Öl, unzureichende Versuche nicht-militärischer Konfliktlösungen,
gezieltes Hinwirken auf eine militärische Auseinandersetzung) konnten bewußtseinsmäßig
in den Hintergrund gedrängt werden. Die Dämonisierung Husseins etablierte
Denkverbote und trug bei zu einer Schuldentlastung der mit diesem System Verstrickten.
Dies alles wurde erheblich erleichtert durch viele Handlungen der irakischen Seite,
u.a. Geiselnahme, Folterungen, militärische Drohungen u.a. gegen Israel,
zögerliches Eingehen auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates.
Energieverbrauch (in Kilogramm Öleinheiten) pro Kopf der Bevölkerung:
- USA: 7193
- Bundesrepublik: 4719
- Frankreich: 3673
- Großbritannien: 3603
- Argentinien: 1427
- Indien: 208
(2) Ursachen des Krieges
Vermutlich hatte die US-Regierung im wesentlichen wirtschaftliche Gründe
für ihren militärischen Einsatz, auch wenn Präsident Bush neben
dem Interesse am Öl und der Absicherung des „american way of life“
weitere Gründe nannte, zum Beispiel die Befreiung der Geiseln und des Kuwait
(hinzukommen mögen: außenpolitisch Festigung des politischen und militärischen
Führungsanspruches weltweit; innenpolitisch Demonstration der Führungskraft
des Präsidenten, Ablenken von großen wirtschaftlichen und sozialen
Problemen). Der Rohstoff Öl aber ist in den letzten Jahrzehnten ein
wesentlicher Faktor des Reichtums der westlichen Industriestaaten geworden: Neun
Industriestaaten (etwa ein Viertel der Menschheit) verbrauchen drei Viertel der
Energie und 80 Prozent der Rohstoffe (das Pendant: Nach dem Armutsbericht der
Weltbank verfügen drei Viertel der Erdbevölkerung über ein durchschnittliches
Jahreseinkommen von weniger als 2000 Dollar, davon nahezu drei Mrd. Menschen von
weniger als 500 Dollar). Allein die USA (mit ca. vier Prozent der Weltbevölkerung)
verbrauchen nahezu ein Viertel der Weltenergie, im wesentlichen Erdöl (davon
wiederum werden ungefähr 60 Prozent für den Verkehrssektor verwendet;
zum Vergleich: In der Bundesrepublik waren dies etwa 40 Prozent). Diese Daten
können noch illustriert werden mit dem durchschnittlichen Energieverbrauch
einiger Länder für das Jahr 1986 (Fischer Weltalmanach, 1990):
Somit sind insbesondere für die westlichen Industriestaaten der ungestörte
Zugang zum Rohstoff Öl und ein (möglichst) niedriger Preis von großer
wirtschaftlicher Bedeutung. Nach einer aktuellen Regierungsvorlage soll auch die
künftige Energiepolitik der USA weitgehend auf Energieeinsparungen und Nutzung
regenerativer Energien verzichten (FR, 13. Febraur 1991). Die Kontrolle über
den Ölpreis aber war durch die große Konzentration der Welt-Ölreserven
beim Irak (nach der Annektion Kuwaits) und dessen Interesse an einem erheblich
höheren Preis in ernster Gefahr.
Für das Feindbildkonzept bedeutet dies zusammengefaßt: Die Bekämpfung
eines bösen Feindes läßt sich innen- und außenpolitisch
leichter durchsetzen (zudem ist es für das Selbstbild erheblich günstiger!)
als eine Politik, die wesentlich die Sicherung des Wohlstandes eines kleinen Teils
der Erdbevölkerung zum Ziel hat. Der Verweis auf den Feind macht eine ernsthafte
Auseinandersetzung mit den Begleiterscheinungen dieser Politik, zum Beispiel mit
Energievergeudung, Umweltverschmutzung und Armut in der Welt scheinbar weniger
dringlich.
(3) Kriegsverlauf und -ende
Die Bevölkerung in unserem Land – eingeschlossen wohl auch die meisten
Politiker, Journalisten und Wissenschaftler – war in ihrem Informationsstand
weitestgehend abhängig von der Berichterstattung in den Massenmedien. Der
Philosoph Günter Anders schrieb bereits 1956 zu Bildern und damit auch zu
Massenmedien u.a. die folgenden allgemeinen Erkenntnisse: „… statt
Welt zu erfahren kann man sich mit Weltphantomen abspeisen lassen …“
(S. 1) „Wenn es erst in seiner Reproduktionsform, also als Bild sozial
wichtig wird, ist der Unterschied zwischen Sein und Schein, zwischen Wirklichkeit
und Bild aufgehoben.“ (S. 111) „Was dem Betrachter geboten
wird, ist also primär die Perspektive, unter der er die Ware „in Betracht
ziehen“ soll; diese ist festgelegt und, noch ehe die Ware selbst geliefert
ist, bereits vorgeliefert.“ (S. 162)
Wegen der strengen Zensur bei allen Kriegsbeteiligten führte dies
zu einem geringen, extrem verzerrten Wissen über den Krieg. Auch nach Kriegsende
wurde Zensur ausgeübt: So ordnete die US-Regierung Wissenschaftler an, der
Öffentlichkeit keine Auskünfte über die ökologischen Folgen
des Golfriegs zu geben (FAZ, 11. April 1991). Das grundlegende demokratische Recht
auf Informationszugang wurde systematisch und in großem Umfang verletzt.
Die Proteste gegen die Zensur waren insgesamt erstaunlich gering – demokratische
Grundprinzipien können nach dieser Erfahrung auch in unserer politischen
Kultur relativ leicht außer Kraft gesetzt werden.
Schon vor Kriegsbeginn waren in den deutschen Medien Berichte und Diskussionen
über Rüstungsstand und militärische Optionen vorherrschend. Sie
nahmen erheblich mehr Raum ein als Überlegungen zu nicht-militärischen
Konfliktlösungen und Antizipationen wahrscheinlicher Kriegsfolgen.
Nach Kriegsbeginn wurde die brutale Realität des Krieges transformiert in
ein Video-Kriegsspiel: Schöne Bilder zeigten den erfolgreichen Einsatz
westlicher Technik gegen Militäreinrichtungen. Die Zuschauer saßen
wie bei einer Sportreportage in der ersten Reihe. Suggeriert wurde ein sauberer
Krieg, in dem es keine Verwundeten und Toten, kein Leid und Elend, keine Grausamkeiten
und Verwüstungen gab – zumindest auf seiten der Alliierten. Einzelne
Raketenangriffe auf Israel mit ihren Zerstörungen wurden detailliert mit
Bildern gezeigt und kommentiert; die Auswirkungen tausender Angriffe der Alliierten
auch auf die Zivilbevölkerung des Irak wurden nicht gezeigt und kaum erwähnt.
Sendungen aus Washington in der abendlichen Tagesschau hatten eher den Charakter
eines Hofberichts als einer reflektierten politischen Information. Insgesamt wurden
somit „die westlichen Medien … während des Golf-Krieges zur
Waffe gegen Iraks Staatschef Saddam Husein“ (FR, 4. März 1991),
und es ist wohl zu ergänzen, auch zu einer Waffe gegen die eigene Bevölkerung,
die sich kein realitätsangemessenes Bild von diesem Krieg machen konnte.
Von den Medien und führenden Politikern wurden kurz nach Kriegsbeginn die
zahlreichen Kriegsgegner nicht nur argumentativ kritisiert, sondern aggressiv
verbal bekämpft bis zur Diffamierung. Mit Verlauf des Krieges befürwortete
– nach den veröffentlichten Umfrageergebnisssen – die Mehrheit
der Bevölkerung in der BRD und anderen westlichen Staaten den Krieg. Die
politische Führung insbesondere in Großbritannien und den USA gewann
erheblich an Popularität; die Zustimmung der US-Bevölkerung zur Politik
ihres Präsidenten erreichte Rekordhöhen (dies ist ein weiterer Beleg
dafür, daß Kriege von innenpolitischen Problemen ablenken sollen und
dies auch häufig erfolgreich tun).
Dies stellt sich für einige arabische Staaten völlig anders dar –
deren Bevölkerung sah in Hussein anscheinend hauptsächlich ein Symbol
für neue Hoffnungen und forderte daher eine militärische Unterstützung
des Irak. Der deutsche Botschafter in Marokko, W. Hofmann, sagte zu diesem für
viele überraschenden Phänomen: „Der Westen neigt generell
dazu, die Traumatisierung zu verkennen, welche die arabische Psyche als Folge
der Kolonialisierung und des Absturzes in die Unterentwicklung belastet“.
(FR, 15. Februar 1991) An diesem Beispiel wird deutlich, daß „Feindbild“
immer eine Perspektive beinhaltet: Es kommt auf den Beobachter und Beurteiler
an. Für die verarmte Bevölkerung vieler arabischer Staaten wurde
Hussein als Held wahrgenommen, der sich endlich gegen die westliche Vorherrschaft
wehrt und eine bessere arabische Zukunft erhoffen läßt. Wie (un)realistisch
diese Bewertung der Person Hussein auch immer sein mag: Ernst zu nehmen sind die
zugrundeliegenden Motive, insbesondere Hoffnung darauf, wieder stolz sein zu können,
ein Araber zu sein, und Hoffnung auch auf bessere Lebensbedingungen.
Da es darum ging, Hussein zu „bestrafen“, spielten im politischen
Bewußtsein die schrecklichen Kriegsfolgen auch für die Zivilbevölkerung
nur eine geringe Rolle: Zehntausende Tote und Verletzte, hunderttausende Flüchtlinge,
verwüstete Länder waren (politisch) weniger wichtig als die Genugtuung,
einen Diktator zu bestrafen. Auch die ökologische Katastrophe und die Gefährdung
Israels wurden in Kauf genommen; denn sie waren von Hussein angedroht worden und
somit vorhersehbar.Verschiedene Waffen wurden von den USA erstmals militärisch
eingesetzt (Tomahawk-Marschflugkörper, lasergesteuerte Bomben, fuel-air explosives,
cluster bomb units; FR, 10. Juni 1991), die mit ihrer Präzision und ihrem
Vernichtungsausmaß eine weitere Eskalation grausamer Kriegsführung
darstellen. Dagegen hat die US-Abwehrrakete „Patriot“ – die
im Krieg als Retter Israels galt und Anlaß für eine modifizierte Weiterführung
des SDI-Programms gab – in Israel vermutlich mehr Schaden angerichtet als
verhindert (FAZ, 15. Mai 1991).
Am Beispiel des Landkrieges läßt sich wiederum die Dominanz der US-Politik
(und nicht der UNO) demonstrieren. Der Landkrieg wurde begonnen trotz irakischer
Bereitschaft zum Rückzug aus Kuwait und trotz intensiver, erfolgversprechender
diplomatischer Bemühungen der UdSSR, den Krieg zu beenden. Für die Öffentlichkeit
wurde die Landoffensive von den USA begründet mit neuesten Ölbränden
sowie Grausamkeiten der irakischen Truppen an der kuwaitischen Bevölkerung.
Dies wird vermutlich auch in Erinnerung bleiben und weniger die Tatsache, daß
die Bodenoffensive bereits mindestens zwei Wochen vorher von den USA beschlossen
war.
Der US-Regierungssprecher Fitzwater erwähnte, „die sowjetischen
Friedensbemühungen hätten keinen Einfluß auf den Termin der Bodenoffensive
gehabt. Auch sei er nicht dadurch bestimmt worden, daß die Iraker Ölfelder
in Brand gesteckt hätten“ (Oberhessische Presse, 25. Februar 1991).
Zusammengefaßt ergibt sich für das Feindbildkonzept, daß
die Bekämpfung und möglichst auch Vernichtung des Feindes Denken und
Handeln beherrschten; dabei wurden die Brutalität des Krieges und die schrecklichen
Folgen für Mensch und Umwelt in Kauf genommen, zum Teil auch eigene Aggressivität
(stellvertretend) ausgelebt. Denken in militärischen Kategorien dominierte,
Möglichkeiten gewaltfreier Konfliktlösungen wurden nicht berücksichtigt
und umfassende Zensur akzeptiert (es sei nur daran erinnert, mit welcher Heftigkeit
und Ausdauer früher von unseren Politikern und Medien die zensierten Informationen
zum Beispiel der DDR kritisiert wurden). Herrschaft wurde gesichert und das individuelle
und kollektive Selbstbild positiv überhöht. Somit wurden insgesamt viele
Merkmale des Feindbildkonzeptes politisch relevant.
(4) Auswirkungen des Krieges
Das zu „befreiende“ Kuwait ist weitgehend verwüstet. Die für
die irakische Bevölkerung lebenswichtige Infrastruktur (Lebensmittel-, Wasser-,
Strom-, medizinische Versorgung) ist weitestgehend zerstört. Mindestens zweihunderttausend
Menschen wurden getötet, mindestens fünf Millionen Menschen verloren
ihre Wohnung oder ihre Arbeit (Admiral a.D. Elmar Schmähling: „Moderner
Krieg ist somit zwangsläufig ein Verbrechen gegen das Völkerrecht und
die Menschlichkeit.“). Der Krieg hat zu einer verheerenden ökologischen
Katastrophe geführt, insbesondere durch das irakische Entzünden der
Ölfelder und das Einleiten von Öl ins Meer, aber auch durch die Kriegshandlungen
der Alliierten. Beide kriegsführenden Seiten haben schwere Verstöße
gegen den „Umweltkriegsverbots-Vertrag“ und das „Zusatzprotokoll
I zu den Genfer Abkommen“ begangen (Krusewitz, im vorigen Infoheft).
Minderheiten im Irak wurden blutig unterdrückt bis hin zum Völkermord
an den Kurden, nachdem die US-Regierung zum Aufstand ermutigt hatte. Die vielfältigen
Probleme des Nahen Ostens sind nicht gelöst. Durch die Verschwendung von
Geld und anderen Ressourcen (allein die USA hat ein Kriegstag zwischen 500 Millionen
und einer Milliarde Dollar gekostet) fehlen diese zur Bekämpfung weltweiter
Probleme wie Armut, Hunger, Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Energievergeudung und
Umweltzerstörung. Die Gesamtkosten des Krieges werden auf 500 Milliarden
Dollar geschätzt (Herwig u.a., im vorigen Infoheft); ein Betrag, mit dem
die Lebensbedingungen der Armen dieser Welt in erheblichem Ausmaß hätten
verbessert werden können.
Zwei Beispiele: Programme, die laut UNICEF ungefähr 40 Millionen Kindern
pro Jahr das Leben retten könnten (insbesondere Impfungen gegen Masern,
Keuchhusten und Tetanus; Antibiotika gegen Lungenentzündung; Zucker-Salz-Lösungen
bei Durchfall) würden pro Jahr 2,4 Milliarden Dollar kosten, doch dafür
fehlt bislang das Geld. Dringend erforderliche humanitäre Hilfen für
die Flüchtlinge am Persischen Golf (eine Folge des Krieges!) kostet etwa
450 Millionen Dollar, dafür eingegangen sind bei der UNO aber nur 134 Millionen
Dollar (OP, 13. Juni 1991).Das Selbstverständnis der US-Politik hat sich
mit dem Irakkrieg stark verändert, das „Vietnam-Trauma“ erscheint
überwunden. An der größten Militärparade der USA nach dem
zweiten Weltkrieg zur Feier des Sieges Mitte Juni 1991 in New York (US-Präsident
Bush: „Das ist gut für Amerika“) nahmen zwei Millionen
Menschen teil (in Washington gab es zuvor 800 000 Teilnehmer; FR, 10. und
11. Juni 1991)). Die derzeitige US-Regierung sieht sich nun wieder in der Rolle
der allein führenden Weltmacht. Neue Rüstungsprogramme mit hohen Kosten
sind vorgesehen (zum Beispiel modifiziertes SDI; zehn Milliarden Dollar für ein neues
„Tarnkappenflugzeug“; FR, 15. April 1991).
„Als Amerikaner (müssen wir) Verantwortung übernehmen,
die Welt aus dem dunklen Chaos der Diktatoren … zu führen. …
(Jeder unserer Soldaten) führt einen mutigen Kampf, um für die Vereinigten
Staaten, die Welt und zukünftige Generationen einen gerechten und dauerhaften
Frieden zu erlangen … Wir wollen ein SDI-Programm verfolgen, das jeder zukünftigen
Bedrohung der Vereinigten Staaten, unserer Streitkräfte in Übersee und
unserer Freunde und Verbündeten gewachsen ist … Unter den Ländern
der Welt verfügen lediglich die Vereinigten Staaten über die moralische
Standfestigkeit und die Mittel zu ihrer (einer neuen Weltordnung G.S.) Durchsetzung.
– Wir wissen eins: Unsere Sache ist gerecht. Unsere Sache ist moralisch,
und unsere Sache ist richtig. … Der Wind des Wandels weht aus unserer Richtung.
Die Kräfte der Freiheit sind vereint. Wir treten zuversichtlicher als je
zuvor in das nächste Jahrhundert ein, daß wir im In- und Ausland über
den Willen verfügen, das zu leisten, was geleistet werden muß –
harte Arbeit für die Freiheit.“ (FR, 5. Februar 1991 „begleitet
vom starken Applaus der versammelten Prominenz aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft
der USA“)
Die USA nach Kriegsende: „Stehende Ovationen, Jubel und strahlende Gesichter
beherrschten … die Kammer des US-Repräsentantenhauses, wo sich die
beiden Häuser des Kongresses, das Kabinett, der Generalstab und das diplomatische
Korps Washingtons versammelt hatten, um den Sieg am Golf zu feiern… Freude
und Erleichterung, Stolz und noch einmal Stolz auf das US-Militär …
und auf die politische Führung, die mit fester und kundiger Hand den Weg
gewiesen hatte.“ (FR, 8. März 1991)
Liberation aus Paris kommentiert den Kriegsbeginn: George Bush „ist der
Führer der Koalition des Rechts: Er ist es, der sie im Laufe der Wochen errichtet
und der sie in die Schlacht geführt hat. Er verwirklicht den amerikanischen
Traum, die Welt zu moralisieren, wenn nötig mit Gewalt.“ (Oberhessische
Presse, 18. Januar 1991)
Und die liberale Frankfurter Rundschau (4. März 1991) kommentiert entsprechend:
„Seit dem Kriegsende 1945 und der Mondlandung 1969 waren das Ansehen
der USA in der Welt und das Selbstwertgefühl (hervorgehoben von
G.S.) zu Hause nicht mehr so groß.“ – „…
die Kombination aus entschlossener Führung und intensiver Konsultation und
Kooperation mit anderen Staaten über ideologische und kulturelle Grenzen
hinweg, ist ein erster gut gegründeter Pfeiler (einer „neuen Weltordnung“)“.
Der Chefredakteur der Zeitschrift Merkur (März 1991, S. 257f) schreibt zu
Krieg und psychischer Gesundheit: „Nur noch bei den Angelsachsen findet
sich ein selbstverständlicher Umgang mit dem Horrorszenario (der ihnen schon
1944 erlaubte, Dresden und später Hiroshima fast ohne moralische Skrupel
auszulöschen). Als Herren der Geschichte des 20. Jahrhunderts haben sie kein
Schmerz- und Schuldbewußtsein entwickelt, ebensowenig wie der subjektiv
gesund sich Fühlende zum Psychiater geht.“
Die USA konnten zudem mit dem Irakkrieg ein Exempel statuieren für andere
Länder, die sich den weltweiten Interessen der Industrieländer zu widersetzen
gedachten (US-Verteidigungsminister „Cheney will ausgefeiltere Raketen
zum Schutz gegen Dritte Welt“, FR, 3. April 1991).
In den Regierungen der Nato-Länder erhält die militärische Konfliktlösung
hohe Priorität. „Mobile Einsatzverbände“ sollen gebildet
werden, um die weltweiten Probleme auch militärisch unterdrücken zu
können. Die bisher verlautbarte Aufgabe der Nato, Schutz der Mitgliedsländer
vor einem militärischen Angriff, wird somit erheblich gewandelt in eine Option
zur militärischen Kontrolle weltweiter Probleme.
Dazu ist in Heft 1/91 von Europäische Sicherheit u.a. folgendes zu lesen.
Nato-Generalsekretär Wörner: „(Die Golfkrise) ist … symptomatisch
für das Ausmaß ungelöster Nord-Süd-Probleme und die globalen
Aufgabenstellungen, die auch die Allianz in ihre künftigen Sicherheitsüberlegungen
einbeziehen muß: das Problem der Ressourcenverteilung, der Energieversorgung
und des Bevölkerungswachstums, die vielfältigen Auswirkungen ethnischer
Konflikte und religiöser Spannungen, die Folgen großflächiger
Umweltschäden, die Ausbreitung der Raketentechnologie sowie der nuklearen
und chemischen Waffen, der internationale Terrorismus und das Drogenproblem …“
„Die Spannungen werden nicht nur durch Machtgelüste von Tyrannen
… geschürt, sondern auch durch explosives Bevölkerungswachstum,
Ressourcenprobleme, Unterentwicklung …“.
Und General v. Sandrart: „… gibt es ein neues Sicherheitsbedürfnis:
den Schutz gegen Bedrohungen von außerhalb Europas. …hohes Bevölkerungswachstum,
Armut verbunden mit Neid … Politisch gesteuertes Krisenmanagement bedarf
dann auch abgestufter militärischer Optionen … auch Optionen für
den Einsatz sofort verfügbarer, multinationaler Eingreiftruppen. …
„Rapid Reaction Forces“ … sind in besonderem Maße Kräfte
des Krisenmanagements.“
Der Golfkrieg hat somit auch zur Konsequenz, bei Politikern Denken in militärischen
Kategorien zu stärken und bei Konfliktlösungen verstärkt militärische
Mittel einzusetzen: Krieg ist wieder ein akzeptables Mittel der Politik geworden.
Dies bedeutet zusammengefaßt für das Feindbildkonzept: Die scheinbar
erfolgreiche Bekämpfung des „Feindes“ dominiert politisches Denken,
der errungene „Sieg“ erhöht das Selbstbild. Die schrecklichen
Auswirkungen des Krieges für Millionen Menschen und die Natur werden aus
dem (politischen) Bewußtsein gedrängt, ebenso die Tatsache, daß
auch dieser Krieg mehr Probleme geschaffen als gelöst hat. Die Mitverantwortung
unserer Politiker und unsere Mitschuld erleben wir als gering, da dem „bösen
Feind“ die alleinige Schuld zugeschrieben wird. Wesentliche Probleme der
gesamten Menschheit (Hunger, Unterentwicklung und Armut, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingselend,
Umweltzerstörung) werden in ihrer Bedeutung vernachlässigt oder aber
militärisch unter Kontrolle zu halten versucht.
Anti-Amerikanismus und Anti-Israelismus oder Feindbild Friedensbewegung?
Mit Beginn der Kriegshandlungen der Alliierten gab es in Fernsehen, Rundfunk und
Printmedien eine breite und heftige Kampagne gegen die Friedensbewegung. Ihr wurde
vorgeworfen, anti-amerikanisch und anti-israelitisch zu sein; damit wurde implizit
oder auch explizit unterstellt, die Friedensbewegung unterstütze Hussein
und sei letztlich an dem Krieg schuld (dazu wurde folgende Frage ständig
wiederholt: Wann hat die Friedensbewegung für … – oder gegen
… – demonstriert?). Inhaltlich entsprach diese Argumentation der Meinung
des damaligen CDU-Generalsekretärs Geißler, der Pazifismus sei für
die nationalsozialistischen Verbrechen wesentlich mitverantwortlich. Strukturell
wird dabei nicht gesehen, daß Aktivitäten der Friedensbewegung sehr
aufwendig zu organisieren sind und daß die Friedensbewegung besonders dann
aktiv wird, wenn die eigenen Regierungen versagen. Zur Auseinandersetzung mit
dieser Kampagne sei an die Argumente der Friedensbewegung erinnert.
Lange vor Beginn des Golfkrieges haben große Teile der Friedensbewegung
u.a. folgende Forderungen erhoben: Rückzug des Irak aus Kuwait, Ende der
Kriegsvorbereitungen, Durchsetzung der UN-Resolutionen mit einem Wirtschaftsembargo;
eine Konferenz über Sicherheit im Nahen Osten, in der die vielfältigen
Probleme dieser Region (u.a. Rüstung, Herschaftsstrukturen, Unterentwicklung,
Armut vs. Reichtum, Sicherheit Israels, gesicherte Heimat für Pälästinenser
und Kurden) verhandelt werden können. Nach Beginn des Krieges war dann eine
zusätzliche zentrale Forderung, insbesondere an die US-Regierung, diesen
Krieg schnellstmöglich mit einem Waffenstillstand zu unterbrechen, um mit
allen beteiligten und betroffenen Staaten politische Lösungen zu erarbeiten
und durchzusetzen.
Mit dem Vorwurf des Anti-Amerikanismus und -israelismus sollte offensichtlich
ein Feindbild „Friedensbewegung“ aufgebaut werden, um die Akzeptanz
des Krieges zu erhöhen und um von den eigentlichen Problemen abzulenken:
dem Export von Waffen und militärisch relevanter Technologie in den Irak,
solange dieser den „richtigen“ Krieg gegen den Iran geführt hatte;
und dem Versagen von Politikern.
Die Friedensbewegung wandte sich nicht gegen „die Amerikaner“, sondern
gegen die konkrete Politik der Regierung der USA, die – nach der Annexion
Kuwaits – durch ihre unnachgiebige Position und durch den zunehmenden militärischen
Aufmarsch – auf einen Krieg in der Golfregion hingearbeitet hat. Gegen den
Krieg wandten sich auch mehrere hunderttausend US-Bürger sowie führende
Theologen in Lateinamerika und den USA. Mit einer wesentlichen Forderung der Friedensbewegung,
das Embargo längere Zeit wirken zu lassen, stimmten auch ein erheblicher
Teil der Politiker im US-Senat und selbst höchste US-Militärs überein
(vgl. oben). All diesen müßte daher auch der absurde Vorwurf des „Antiamerikanismus“
gemacht werden.
Erinnert sei an den Vietnamkrieg, der wesentlich durch die weltweiten Demonstrationen,
auch in den USA, beendet wurde. Die gleichen Politiker, die damals von „Antiamerikanismus“
redeten, bezeichnen inzwischen den Vietnamkrieg als großen Fehler.
Die Friedensbewegung wendet sich zudem grundsätzlich gegen Krieg. Denn Krieg
löst keine Probleme, er bedeutet vielmehr Leid, Tod, Grausamkeit, Verwüstung
und Entmenschlichung. Das hat auch der Golfkrieg wieder erwiesen. Zudem wurde
mit dem Golfkrieg ein Unrecht, die Annexion Kuwaits, mit einem viel größeren
Unrecht geahndet – es wird also der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
von Mitteln grob mißachtet. Die Friedensbewegung setzt sich dafür ein,
daß Konflikte friedlich gelöst werden und daß die menschlichen,
finanziellen und technischen Möglichkeiten der Menschheit endlich eingesetzt
werden zur Lösung der mannigfachen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen
Probleme der Erde.
Gegnern des Krieges wurden von vielen Seiten – u.a. Medien und Politikern,
Israelis und Kriegsbefürwortern in der Bevölkerung – heftige Vorwürfe
gemacht, die darin gipfelten, die Vernichtung Israels würde billigend in
Kauf genommen. Manche dieser Äußerungen klangen so, als habe die Friedensbewegung
Hussein politisch hervorgebracht und militärisch aufgerüstet –
eine extreme Verzerrung der Realität. Ein Beispiel von vielen möge dies
belegen (Resümee eines längeren Artikels, Der Spiegel, 18/1991):
„Ich meine nicht, daß sich die Mehrheit der Deutschen die
Vernichtung Israels wünscht. Ich meine, daß in einem quantitativ wie
qualitativ erheblichen Teil der Friedensbewegung der unbewußte, aber durchaus
heftige Wunsch am Werke war, Saddam Hussein möge die historische Chance nutzen
und den Job vollenden, den die Nazis nicht zu Ende bringen konnten.“
Das Anliegen der Kriegsgegner wurde somit ins Gegenteil verkehrt. Viele Organisationen
aus der Friedens- und Ökologiebewegung hatten sich gegen einen Krieg und
nach dessen Beginn für seine sofortige Beendigung eingesetzt. Dabei war die
Grundüberlegung leitend, daß auch dieser Krieg die bereits vorhandenen
Probleme nicht lösen und zusätzlich neue hervorbringen werde. Gefordert
wurde daher eine Friedenskonferenz, in der die vielen Probleme der Region zu verhandeln
sind, u.a. die Sicherheit Israels und eine gesicherte Heimat auch für Palästinenser
und Kurden. Zu einer friedlichen Lösung, bei der die verschiedensten Interessen
zu berücksichtigen sind, gebe es langfristig keine Alternative; denn die
Sicherheit Israels sei auf Dauer nicht durch Waffen, Gewalt und Krieg zu sichern.
Daß es gelingen konnte, die Friedensbewegung im politischen Bewußtsein
zum Hauptfeind Israels zu machen, verweist auf die Relevanz des Feindbildkonzepts:
Wer sich nicht eindeutig für einen Krieg gegen Hussein bekannte, machte sich
verdächtig, dessen Freund zu sein. Der Druck zum einheitlichen „Gruppendenken“
war erheblich, Abweichungen im Sinne einer differenzierten politischen Herangehensweise
wurden sozial und moralisch verurteilt. Das Schüren intensiver Emotionen
– mit besonderem Verweis auf die Geschichte der Juden in Deutschland –
lenkte zum einen Aggressionen gegen die Friedensbewegung (statt gegen diejenigen,
die durch ihr Verhalten Hussein politisch und militärisch aufgerüstet
haben), und führte zum anderen zu einer moralischen Entlastung oder gar Erhöhung
der Kriegsbefürworter (der Krieg wird nicht wegen des Öls geführt,
sondern um hohe moralische Ziele zu erreichen, wie die Rettung Israels, Befreiung
der Geiseln und des Kuwait). Die emotionale Intensität der Vorwürfe
und die intellektuelle Entdifferenzierung der Argumentation verweisen auf die
Relevanz des Feindbildes.
Schlußbemerkungen
Feindbilder können von Herrschenden – wider besseres Wissen –
gezielt hergestellt werden, um eigene politische Interpretationen sowie wirtschaftliche
und militärische Handlungen durchzusetzen – und zwar gegenüber
der eigenen Bevölkerung und dem Ausland.
Verzerrte Informationen im Sinne von Feindbildern können aber auch als wahr
angenommen werden. Das politisch Bedeutsame an diesen Interpretationen ist, daß
sie als Grundlage der Politik dienen, auch wenn sie völlig realitätsfern
sind.
Auch wenn einer Person, politischen Gruppierung oder Bevölkerung realitätsangemessen
viele negative Eigenschaften und Verhaltensweisen zugeschrieben werden, kann es
doch lohnend sein, auf die Wirkung von Feindbildern zu achten: Kein Objekt besteht
nur aus negativen Attributen und das Auffinden und Berücksichtigen positiver
Merkmale kann wichtig sein für eine friedliche Konfliktlösung.
Feindbilder sind nach unserer Auffassung nicht Ursachen von Spannungen, Rüstung
und Krieg. Ursachen sind vielmehr reale Konflikte, Interessengegensätze,
das Streben nach besseren Lebensbedingungen, nach Reichtum und Macht, nach Einflußgebieten,
Rohstoffen, Märkten und billigen Arbeitskräften. Bei der Durchsetzung
einseitiger Interessen aber kommt Feindbildern eine wesentliche psychologische
Mittlerunktion zu, sie sind die ideologische Hauptwaffe.
Für eine friedlichere Welt kommt dementsprechend dem Abbau von Feindbildern
eine wichtige Funktion zu. Mindestens ebenso wichtig aber sind Entwickeln und
Einsetzen von Konfliktstrategien, bei denen gewaltfrei Lösungen angestrebt
werden unter Berücksichtigung der kurz- und langfristigen Interessen aller
Betroffenen und Beteiligten. Als Zielperspektiven können dabei die bürgerlichen,
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte dienen.
Die fehlgeschlagenen Versuche, einen Krieg zu verhindern, verweisen auf fehlende
demokratische Kompetenzen in der Bevölkerung und auf unzureichende demokratische
Strukturen bei politischen Entscheidungen. Denn vor Kriegsbeginn gab es in den
westlichen Ländern eine deutliche Mehrheit gegen den Krieg, die sich aber
politisch nicht durchsetzen konnte.
Literatur
Fetscher, I. (Hrsg.). Feindbilder. Psychosozial, 40, 19-36.
Frei, D. (1985). Feindbilder und Abrüstung. München: Beck.
Keen, S. (1987). Bilder des Bösen. Weinheim: Beltz.
Krell, G. & Kubbig, B.W. (Hrsg.) (1991). Krieg und Frieden am Golf. Frankfurt:
Fischer.
Ruf, W. (Hrsg.) (1991). Vom kalten Krieg zur heißen Ordnung? Münster:
Lit.
Sherif, M. & Sherif, C. (1969). Social Psychology. New York: Harper &
Row.
Sommer, G., Becker, J.M., Rehbein, K. & Zimmermann, R. (Hrsg.) (1988). Feindbilder
im Dienste der Aufrüstung. Marburg: Schriftenreihe des Arbeitskreis Marburger
Wissenschaftler für Friedens- und Abrüstungsforschung.
Spillmann, K.R. & Spillmann, K. (1990). Feindbilder: Entstehung, Funktion
und Möglichkeiten ihres Abbaus. Internationale Schulbuchforschung, 12, 253-284.
(Teile dieses Aufsatzes werden mit dem Titel „Zur Psychologie von Feindbildern“
erscheinen in Voit, H. (Hrsg.) (1991). Geschichte ohne Feindbild? Erlanger Forschungen.)
|
|
|