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Informationsstelle Wissenschaft & Frieden
Gert Sommer Wilhelm Kempf Dossier Nummer 9


Dr. Gert Sommer ist Hochschullehrer am Fachbereich Psychologie der Universität Marburg (Teil 1 – Zur Relevanz von Feindbildern). Prof. Dr. Wilhelm Kempf lehrt an der Fak. f. Wirtschaftswissenschaften und Statistik der Universität Konstanz. (Teil 2 – Der inszenierte Krieg).


Der inszenierte Krieg

Medienberichterstattung und psychologische Kriegsführung im Golfkrieg*

Die ganzen 80er-Jahre hindurch sind die USA für ihre Kriege in der Dritten Welt von der Militärdoktrin des low-intensity conflict ausgegangen: von Kriegsführung »niedriger Intensität«, einer Strategie integrierter militärischer, ökonomischer und psychologischer Maßnahmen, die im Gegensatz zu herkömmlichen Kriegen nicht auf territoriale Eroberungen, sondern auf eine gewünschte Verhaltensänderung in der Bevölkerung abzielt.


Musterbeispiel hierfür ist der konterrevolutionäre Krieg der USA gegen Nicaragua, der nach fast 10 Jahren mit der Wahlniederlage der FSLN im Februar 1990 zu Ende ging.

Der Golfkrieg leitete demgegenüber die Anwendung einer neuen Militärdoktrin ein. Kernstück dieser Doktrin der Kriege »mittlerer Intensität« (mid-intensity conflict) ist die Überzeugung, daß die USA ihren Supermachtstatus nur erhalten können, wenn sie die Fähigkeit besitzen, jede beliebige Macht herauszufordern und zu besiegen, die den Zugang der USA zu kritischen Interessenzonen bedroht:


mid-intensity-warfare und psychologische Kriegsführung

„Unser politischer und militärischer Status als Supermacht hängt ab von unserer Fähigkeit, im Wettbewerb auf den existierenden und auf sich entwickelnden Märkten mitzuhalten, sowie von unserem ungehinderten Zugang (…) zu den für unsere Industrieproduktion benötigten Ressourcen.“ Um diesen sicherzustellen, „brauchen wir im Rahmen unserer einsatzbereiten Streitkräftestruktur ein glaubwürdiges Potential militärischer Machtprojektion, das flexibel genug ist, auf Auseinandersetzungen jeder Art im weltweiten Spektrum gewaltsamer Konflikte zu antworten“.

Während die Modelle der Aufstandsbekämpfung und der Kriegsführung »niedriger Intensität« von leichtbewaffneten Guerillas oder schwachen Militärkräften als Kriegsgegnern der USA ausgegangen waren, wurde von US-Militärstrategen bereits Ende der 80er-Jahre das Aufkommen gutgerüsteter Regionalmächte in der Dritten Welt als Hauptbedrohung der US-amerikanischen Sicherheit wahrgenommen, der durch eine Verstärkung der Fähigkeit zu abgestufter nichtatomarer Gewaltanwendung begegnet werden müsse. Dies erfordere eine bedeutende Ausweitung der Kapazitäten für High-Tech-Kriege in nicht zum NATO-Bereich gehörenden Regionen der Dritten Welt.

Dieser intensivste Einsatz modernster Waffen unterscheidet den Krieg »mittlerer Intensität« vom Konzept der Kriegsführung »niedriger Intensität«, bei welcher der direkte Einsatz US-amerikanischer Truppen nur kurzfristig und in Ausnahmesituationen vorgesehen ist.

Maßnahmen der psychologischen Kriegsführung, wie sie z.B. im Krieg gegen Nicaragua zeitweise einen Anteil von bis zu 80% erreicht hatten, bleiben jedoch nach wie vor von entscheidender Bedeutung. Im Krieg »mittlerer Intensität« ist der Anteil der psychologischen Kriegsführung zwar angesichts des massiven Militäreinsatzes relativ geringer. Indem praktisch die gesamten Medien der westlichen Welt in den Dienst der Kriegsführung gestellt wurden, muß das absolute Ausmaß der psychologischen Kriegsführung, wie es etwa im Golfkrieg zum Einsatz kam, jedoch noch um ein vielfaches höher angesetzt werden.


Manipulation der Medien

Wie der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, General Schwarzkopf, nach Beginn des Waffenstillstandes darlegte, waren die Medien gezielt manipuliert worden, um Bagdad über die wahren militärischen Absichten der USA und ihrer Verbündeten zu täuschen und zu falschen strategischen Schlüssen zu verleiten: vor allem bei der Vorbereitung der Landoffensive konnte durch gezielte Desinformation der Eindruck erweckt werden, daß ein amphibisches Landemanöver an der kuwaitischen Golfküste bevorstünde, während die alliierten Verbände sich tatsächlich an der westlichen Flanke der irakischen Armee formierten. Da Iraks Luftwaffe ausgeschaltet und die irakischen Fernmeldeeinrichtungen zerstört waren, konnten sich die Iraker nur über Rundfunkberichte ein Bild von den alliierten Aufmarschvorbereitungen machen und das Täuschungsmanöver nicht rechtzeitig erkennen. „Sorgfältig von den militärischen Informanten an die Kette gelegt halfen die Medien den Irak zu täuschen und die öffentliche Zustimmung zu diesem Krieg zu stärken“ beurteilte das Wall Street Journal die Rolle der Medien im Golfkrieg.

Um der Politik der US-Administration zur Durchsetzung zu verhelfen, kommen Propaganda und psychologischer Beeinflussung der westlichen Öffentlichkeit bereits bei der Kriegsführung »niedriger Intensität« eine besondere Bedeutung zu, welche die westliche Öffentlichkeit zu einem der Hauptziele der psychologischen Kriegsführung werden läßt.

Im Golfkrieg wurde das Kriegsziel dieser psychologischen Kriegsführung von US-Präsident Bush in seiner ersten Fernsehansprache nach Beginn der Luftangriffe klar benannt: „Ich habe dem amerikanischen Volk vorher gesagt, daß dies kein weiteres Vietnam werden wird. Und ich wiederhole dies hier heute abend. Unsere Truppen werden die bestmöglichste Unterstützung in der ganzen Welt haben. Und man wird nicht von ihnen verlangen, mit einer auf den Rücken gebundenen Hand zu kämpfen“.

Hauptelemente der psychologischen Kriegsführung, mittels derer dies erreicht werden sollte, bestanden in Desinformation bzw. Informationsverweigerung, in Maßnahmen der psychologischen Destabilisierung, sowie in Maßnahmen zur Polarisierung der Bevölkerung.


Die Erzeugung eines Feindbildes

Dabei setzten Desinformation und Informationsverweigerung nicht erst in Gestalt der Militärzensur nach Beginn der Kriegshandlungen ein, sondern schon lange im Vorfeld des Krieges findet sich in der Berichterstattung der Massenmedien eine weitestgehende Vorenthaltung aller Sachinformationen über Konfliktursachen und Konfliktgenese, die zur Besetzung Kuwaits durch den Irak geführt haben. Nur so kann das Bild entstehen: „Der Krieg beginnt – gleichsam aus heiterem Himmel – durch den „Überfall“ eines „Irren“ auf ein Nachbarland“.

Andere Informationen die von den meisten Medien bisher – d.h. solange Saddam Hussein als Verbündeter des Westens gelten konnte – „nicht dramatisiert“ wurden, wie Waffenlieferungen an den Irak oder die irakischen Giftgaseinsätze gegen die kurdische Bevölkerung nach Ende des Iran-Irakischen (Golf-)Krieges werden für die Medien jetzt zum Thema. So entsteht das Bild: „Der Irre besitzt Massenvernichtungswaffen und ist bereit, diese auch einzusetzen“. Und die logische Folgerung: „Er muß gestoppt werden, bevor die ganze Welt in Flammen steht“.

Durch selektive Informationsvorgaben, wird so innerhalb kürzester Zeit ein Feindbild geschaffen, mit den grundlegenden Strukturmerkmalen der gleichzeitigen Minderwertigkeit und Gefährlichkeit des Gegners.

Die Strukturübereinstimmung dieses neuen Feindbildes mit allen anderen, schon bekannten und vertrauten Feindbildern kommt dem Bedürfnis des Alltagsbewußtseins entgegen, jede qualitative Umformung des Bewußtseinshorizontes zu vermeiden, indem es Unbekanntes auf (scheinbar) Bekanntes reduziert, und die Desiderate alter Erfahrungen auf neue Situationen überträgt. Diese naturwüchsigen Übertragungsvorgänge werden durch publizierte Übertragungsangebote verstärkt und gesteuert. Hierher gehört die Gleichsetzung Saddam Husseins mit Hitler durch Politpoeten wie Wolf Biermann (in der Zeit) und Hans Magnus Enzensberger (im Spiegel) ebenso, wie die (historisch falsche) Gleichsetzung von Pazifismus mit Appeasement-Politik, die dann womöglich noch mit einer Warnung vor „Einäugigkeit und ahistorische(r) Betrachtungsweise“ verbunden wird, durch welche „das berechtigte, ja notwendige Infragestellen des Kriegs, die Forderung nach einem friedlichen Zusammenleben der Völker (…) nicht entwertet“ werden dürfe.

Gerade der Diskurs um die Frage, ob im konkreten Fall des Golfkonfliktes ein militärischer Konfliktaustrag unvermeidbar bzw. gerechtfertigt ist, wird dadurch de facto nicht geführt. In den Auseinandersetzungen über diese Frage kommt der Golfkonflikt gar nicht vor, da er durch Bilder wie die oben genannten aus dem Diskurs verdrängt wird, die als Ersatz für die Realitätswahrnehmung ergriffen werden.


Kriegsberichterstattung

Mit Beginn der Kriegshandlungen setzt dann eine reine Kriegsberichterstattung ein, die nicht nur Kriegsursachen und Kriegsziele weiterhin im Dunklen läßt, sondern auch so gut wie keine Informationen über Kriegsverlauf und Kriegsopfer bietet, während zugleich der Eindruck vermittelt wird, als könnte Mensch den Krieg am Fernsehschirm live miterleben.

Meldungen wie die, daß die Alliierten bereits während der ersten drei Stunden des Angriffes auf den Irak 18 000 Tonnen Bomben abgeworfen hätten, werden rein »technisch« abgehandelt: um Vertrauen in die Kriegsmaschinerie zu wecken. Die damit angerichteten Verheerungen kommen nicht ins Bild. Lediglich ein Video, welches die Präzision demonstrieren soll, mit welcher die alliierten Kampfflugzeuge ihre Ziele treffen, wird wieder und wieder gezeigt.

Kontrolliert wird die Kriegsberichterstattung durch einen Katalog von »Grundregeln«, die nach längeren Verhandlungen mit Medienvertretern vom US-Verteidigungsministerium festgelegt und mit Datum vom 14. Januar veröffentlicht wurden und strenge Zensurvorschriften und Sprachregelungen enthalten, durch welche die zulässigen Informationen vage und inhaltsleer werden. Aus der Berichterstattung ausgeschlossen wurden dadurch u.a. Informationen über:

  • Truppenstärke, Waffensysteme und Ausrüstung etc. der alliierten Streitkräfte,
  • geplante, aufgeschobene oder abgeblasene Operationen der alliierten Streitkräfte,
  • den Standort der alliierten Streitkräfte,
  • Details der Einsatzpläne,
  • Geheimdienstaktivitäten einschließlich ihrer Ziele, Methoden und Ergebnisse,
  • Truppenbewegungen der alliierten Truppen (mit Ausnahme solcher Informationen die von der Zensurbehörde freigegeben wurden),
  • Identifikation der Ausgangsbasen, von denen aus Luftangriffe geflogen wurden,
  • Effektivität oder Ineffektivität der Tarnung, Täuschung, Zielsicherheit, direkten und indirekten Beschusses, Informationsbeschaffung und Sicherheitsmaßnahmen.
  • spezifische Angaben über vermißte oder abgeschossene bzw. versenkte Flugzeuge und Schiffe, solange noch Such- oder Rettungsaktionen in Gang sind,
  • Methoden, Ausrüstung und Taktik von Spezialeinheiten, etc.
Außerdem wurden Richtlinien für die Nachrichtenmedien erlassen, wonach Journalisten die kämpfende Truppe nicht ohne Militäreskorte begleiten dürfen und sich mit »Pool-Berichten« begnügen müssen: zur Berichterstattung zugelassen sind nur wenige – fast ausschließlich US-amerikanische – Journalisten, deren Beiträge – nachdem sie von der Zensurbehörde genehmigt wurden – allgemein zur Verfügung gestellt werden.

Dadurch werden authentische Berichte verhindert, wie sie im Vietnamkrieg die öffentliche Meinung maßgebend beeinflußt hatten, als Journalisten auf eigene Faust über das Grauen des Krieges berichtet hatten. Stattdessen werden »schöne« Bilder erfolgreicher Bombardements gezeigt, die den Eindruck eines »sauberen« Krieges gegen Militäreinrichtungen vermitteln, „von dem die Bevölkerung ausgenommen ist“.

Umgekehrt werden vergleichsweise geringe Schäden vereinzelter Raketenangriffe des Irak auf Israel als Terrorangriffe ins Bild gerückt: z.B. die Bombenschäden an der Turnhalle einer Schule in Tel Aviv.

Zweifel am Realitätsgehalt dieser Berichterstattung können sich allenfalls daran festmachen, daß immer wieder dieselben Bilder gezeigt werden, die aber (angeblich) jedesmal etwas anderes darstellen sollen.

Zweifel und Informationsmangel zusammen verunsichern Öffentlichkeit wie Journalisten und versetzen sie in eine contraproduktive Double-Bind-Situation: gerade weil Mensch merkt, daß er angelogen wird, daß ihm Informationen vorenthalten werden, er sich kein Urteil bilden kann, ist er gezwungen denen zu glauben, die ihn anlügen und die ihm Informationen vorenthalten, ja ggf. noch deren Lügen weiter zu verteidigen, wo Zweifel aufkommen.


Das Phänomen der »Doppel-Bindung«

In der klinischen Psychologie wurde man auf solche »Doppel-Bindungen« zuerst als Ursache für die Entwicklung schizophrener Denkstörungen aufmerksam. Definitionsmerkmale der Doppelbindung sind: 1. Eine so intensive Beziehung zu einer anderen Person oder Institution, daß es besonders wichtig wird, deren Mitteilungen genau zu verstehen, um angemessen darauf reagieren zu können. (2) Diese Person oder Institution übermittelt mit ihrer Äußerung zwei widersprüchliche Botschaften. (3) Die betroffene Person kann zu den einander entgegengesetzten Botschaften weder Stellung beziehen, noch sich aus der Situation zurückziehen.

Eine traurige Berühmtheit erlangte der systematische Einsatz von Doppel-Bindungen im Rahmen psychologischer Foltermethoden, wobei es entweder eine Arbeitsteilung zwischen zwei oder mehr Folterern geben kann, von denen der eine die Rolle des verständnisvollen, väterlichen und freundlichen Befragers spielt, während die übrigen sich feindselig und aggressiv geben, sodaß dem Opfer entgegengesetzte Informationen über das zwischen ihm und der Institution bestehende Verhältnis, deren Absichten und seine Aussichten davonzukommen übermittelt werden. Oder ein und derselbe Folterer vereinigt die widersprüchlichen Haltungen in ein und derselben Person. Z.B. verhält er sich handlungsmäßig aggressiv, verbal aber freundlich. Oder er zeigt ein ständiges Hin und Her zwischen Sadismus und Gefälligkeit, wodurch ebenfalls erreicht wird, daß der Gefangene über seine Situation im Unklaren ist und deshalb keine angemessenen Abwehrstrategien entwickeln kann.

Als langfristiges Resultat bleiben nicht wenige Folteropfer in ihrem Denken und ihren Wahrnehmungen dauerhaft von der Manipulation durch andere abhängig. Psychosoziale Traumata wie die – auch im Medienkrieg betriebene – Zerstörung der Bezugssysteme durch Doppel-Bindungen führen in einen Prozeß der Dehumanisierung, dessen Symptome im Rahmen der psychologischen Kriegsführung durchaus als beabsichtigt gelten können: selektive Unaufmerksamkeit und Festklammern an Vorurteilen, Absolutheitsansprüche und Idealisierungen, ausweichender Skeptizismus und paranoide Abwehrhaltungen welche u.a. die Fähigkeit klar zu denken beeinträchtigen und für das Leid anderer unempfänglich machen.

Integraler Bestandteil der psychischen Destabilisierung durch Doppel-Bindungen sind auch die vertrauensbildenden Maßnahmen, mittels welcher die angebliche Objektivität der Berichterstattunmg inszeniert wird. So überträgt der US-amerikanische Nachrichtensender CNN (und mit ihm unzählige andere Fernsehsender – wie z.B. das schweizerische Fernsehen DRS – die das CNN-Programm an diesem Morgen live übernommen haben) wenige Stunden nach Kriegsbeginn eine Pressekonferenz Fidel Castros, in der dieser bemängelt, daß die Möglichkeiten einer nichtmilitärischen Konfliktbeilegung nicht ausgeschöpft worden seien und auf die verheerenden Auswirkungen hinweist, welche der Krieg für die Länder der Dritten Welt nach sich ziehen wird.

Was auf den ersten Blick als beeindruckendes Beispiel einer objektiven und differenzierten Berichterstattung erscheint, die selbst den Erzfeind der USA zu Wort kommen läßt, gewinnt bei genauerer Betrachtung noch eine andere Bedeutung: daß nämlich für die Antikriegsbewegung zentrale Argumente dadurch diskreditiert werden, daß es ausgerechnet Castro ist, mit dem diese assoziiert werden.

Wichtig ist der »Sender« der Botschaft Wie experimentalpsychologische Studien bereits Anfang der 50er-Jahre gezeigt haben, erweisen sich dieselben Argumente für die Änderung von Einstellungen als wirkungsamer, wenn sie von einem positiv bewerteten (glaubwürdigen) »Sender« kommen: Schon von daher gesehen, war es für die öffentliche Zustimmung zum Krieg durchaus funktional, zentrale (und ohnedies nicht verhinderbare) Argumente der Kriegsgegner zuerst durch Fidel Castro an die nordamerikanische Öffentlichkeit kommen zu lassen, zumal es bei einem negativ bewerteten (unglaubwürdigen) Sender zu einer Art Bumerangeffekt kommen kann: je stärker die Einstellungsänderung ist, die er verlangt, desto weniger erreicht er. Einem Sender dieser Art gelingen höchstens kleine Einstellungsänderungen, sodaß wohl kaum die Gefahr bestand, Fidel Castro könnte die Bevölkerung der USA gegen den Krieg am Golf einnehmen. Daß die Argumente der Kriegsgegner (durch Fidel Castro) öffentlich vorgebracht wurden dürfte stattdessen dazu beigetragen haben, die Zustimmung der Öffentlichkeit zu dem Krieg für die Argumentation der Anti-Kriegsbewegung weniger empfindlich zu machen: nach gut gesicherten experimentalpsychologischen Ergebnissen sind auf »zweiseitigen Mitteilungen« basierende Einstellungen (bei deren Ausbildung die Gegenargumente schon vorweggenommen wurden) gegenüber späterer »Gegenpropaganda« widerstandsfähiger als »einseitige Mitteilungen«, die nur die Pro-Argumente enthalten.

Während die Fähigkeit zu einer eigenständigen Urteilsbildung durch Informationsmangel und psychische Destabilisierung bereits geschädigt ist, wird zugleich die Polarisierung der Öffentlichkeit betrieben, indem die Anti-Kriegsbewegung als Anti-USA-Bewegung, als Anti-Israel-Bewegung oder gar als Pro-Saddam-Bewegung denunziert wird.

So sah sich die Bundesregierung veranlaßt, im Zusammenhang mit den anhaltenden Demonstrationen gegen den Golfkrieg vor einer neuen Welle des Antiamerikanismus in Deutschland zu warnen. Es sei der Sache am Golf „absolut nicht angemessen“, daß die Verantwortung für die Entwicklung am Golf von den Demonstranten den Amerikanern zugeschrieben werde, und der Präsident des außenpolitischen Ausschusses der israelischen Knesset warf den deutschen Friedensdemonstranten vor, Saddam Hussein zu unterstützen.


Marginalisierung der Kriegsopposition

Verbunden ist diese Polarisierung mit einer klaren Marginalisierungsdrohung: wer sich nicht hinter den Krieg stellt, läuft Gefahr, sich am Rande der Gesellschaft wiederzufinden. Und zwar sowohl individuell, als auch kollektiv. So formuliert z.B. Gerd Appenzeller in einem Leitartikel des Südkurier vom 19.1.1991 die Verheißung an die Deutschen, bei einer Kriegsbeteiligung endlich aus ihrem angeblichen Abseits herauszukommen – bzw. die Drohung in solch ein Abseits zu geraten, wenn nicht: „Die Deutschen werden ohnedies, wie auch immer, die Folgen des Golfkrieges noch in Punkten zu spüren bekommen, die schmerzen. Gegen die Annexion Kuwaits kämpfen inzwischen Briten, Franzosen, Niederländer, Italiener, Kanadier, Amerikaner. Deutschland steht, verfassungsbedingt korrekt, abseits. Aber wenn der Krieg (hoffentlich erfolgreich) vorbei ist, werden sich die, die ihn gegen den Aggressor gewannen, gegenseitig auf die Schultern klopfen, und auf jene herabschauen, die sich nicht engagierten“.

Als ein wichtiges Mittel dieser Polarisierung dient dabei auch der Versuch, den Krieg als einen Krieg »der Vereinten Nationen« darzustellen, oder zumindest als einen Krieg, den die USA »im Auftrag der Vereinten Nationen« führen, während Äußerungen des UN-Generalsekretärs, die diese Darstellung zurückweisen, von den meisten Medien ebensowenig thematisiert werden, wie die berechtigten Zweifel, ob die inzwischen verfolgten Kriegsziele überhaupt noch mit den UN-Resolutionen vereinbar sind.

Selbst jene politischen Gruppierungen, die gegen die Kriegspolitik aufzutreten scheinen, vermögen in dieser Situation weder Sicherheit noch Rückhalt zu bieten. Teilweise, weil sie eh zu schwach sind, und andernteils, wie im Falle der SPD, weil sich gleichzeitig führende Identifikationsfiguren – wie etwa Willy Brandt – in Zeitungsanzeigen hinter den Krieg stellen.

Der Krieg »mittlerer Intensität«, wie er von den USA am Golf geführt wurde, erweist sich derart schon innerhalb der ersten Kriegstage als ein totaler Krieg gegen das Entstehen einer kritischen Öffentlichkeit und damit gegen die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Psychologische Kriegsführung, als Krieg um die Köpfe und Herzen der Menschen, gerät im Zuge der Kriegsführung »mittlerer Intensität« endgültig zum psychologischen Krieg gegen die Menschen im eigenen Land und gegen ihre Fähigkeit der Urteilsbildung ebenso wie gegen ihre Fähigkeit der Anteilnahme.


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* Auszugsweiser Nachdruck eines Aufsatzes, der unter dem Titel »Verdeckte Gewalt. Herausforderungen an Friedens- und Solidaritätsbewegung zu Beginn der 90er Jahre« in dem von W. Kempf herausgegebenen Buch Verdeckte Gewalt – Psychosoziale Folgen der Kriegsführung niedriger Intensität in Zentralamerika im Argument-Verlag, Hamburg, erschienen ist.
 28. Juni 2002